Die Eingliederung der Hafenstadt Walvis Bay in namibisches Territorium fand erst 1994, vier Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias, statt. Langwierige Verhandlungen mit Südafrika waren vorausgegangen. Diese einzigartige Erfolgsstory zeigt, dass der friedliche Weg zum Ziel führt. Walvis Bay ist der einzige natürliche Tiefseehafen entlang Namibias Küste und hatte seit jeher wirtschaftliche und strategische Bedeutung. (Lesen Sie hierzu auch den Artikel Walvis Bay – Biographie eines Platzes Teil 1 und Teil 2).
Verschiedene Interessen der Politikbühne
Am 22. Dezember 1988 machten die Vereinten Nationen die historische Ankündigung über die mit Südafrika erzielte Einigung, dass Namibia am 21. März 1990 unabhängig werden sollte. Vom 1. April 1989 bis zum Unabängigkeitstag war ein Übergangsjahr unter UN-Aufsicht vorgesehen. Namibias Unabhängigkeit ebnete den Weg für ein demokratisches Südafrika.
Kurzer Rückblick: Schon 1981 wurden auf einer UN-Konferenz in Paris bedeutungsvolle Worte über Walvis Bay geäußert. Einige Exil-Südafrikaner waren in Paris anwesend, darunter Oliver Tambo, damals Präsident des African National Congress (ANC), der jetzigen regierenden Partei Südafrikas. Tambo teilte der UN-Konferenz mit, dass Walvis Bay Teil von Namibia werden sollte, sobald in Südafrika Demokratie herrsche. Namibias Freiheitsbewegung SWAPO (South West African Peoples Organisation) hatte ihrerseits immer darauf bestanden, dass Walvis Bay und die Enklave zu Namibia gehören. Ohne die Hafenstadt gebe es keine Unabhängigkeit. Die Dinge entwickelten sich ein wenig anders, das Ziel wurde dennoch erreicht.
UN-Resolution 432
Die UN-Generalversammlung beschloss am 4. November 1977, dass „Walvis Bay ein integrer Teil von Namibia ist“. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin am 27. Juli 1978 Resolution 432, die festlegte, dass Namibias territoriale Integrität durch die Eingliederung von Walvis Bay und allen Küsteninseln bewahrt werden müsse.
Am 2. Februar 1990 kündigte der damalige südafrikanische Präsident Willem de Klerk an, dass Nelson Mandela nach 27 Jahren Haft entlassen werden sollte. Am 9. Februar 1990 verabschiedete Namibias verfassungsgebende Versammlung die Verfassung des Landes – sechs Wochen vor der Unabhängigkeit am 21. März.
Ein wichtiger Brief
Ein schwedischer Transport-Experte, der kurz vor 1990 von der SWAPO gebeten wurde, eine Studie über Verkehr und Kommunikation im zukünftigen unabhängigen Namibia durchzuführen, erwähnt in seinen Memoiren einen wichtigen Brief. Den hatte Gründungspräsident Sam Nujoma am 20. März 1990, einen Tag vor Namibias Unabhängigkeit, an den damaligen UN-Generalsekretär geschrieben: „…dass ab dem 21. März 1990 Walvis Bay als bona fide (auf Treu und Glauben) Import-Hafen für Öllieferungen und andere Güter anerkannt werden sollte.“
In seinem 2017 veröffentlichten Buch How the Port of Walvis Bay became Namibian schreibt Nils Bruzelius, während Namibias Unabhängigkeitsfeier in Windhoek sei kein Wort über Walvis Bay gesprochen worden. Das war verwunderlich, da der UN-Generalsekretär, Südafrikas Außenminister Pik Botha, Präsident de Klerk und Namibias neuer Außenminister Theo-Ben Gurirab anwesend waren.
Namibias neue Regierung meldete sich erst Anfang 1991 mit einem Brief von Gurirab an seinen Amtskollegen Pik Botha. Gurirab schlug ein Treffen vor, um Walvis Bay zu erörtern. Der schwedische Experte Bruzelius war bald auf technischer Ebene hautnah dabei, als es um Walvis Bay ging.
In seinem Buch erinnert er sich, dass Namibias Regierung drei Möglichkeiten in Betracht zog: eventuelle rechtliche Implikationen wegen der Hafennutzung nach der Unabhängigkeit; Bau eines neuen Hafens an anderer Stelle oder Notmaßnahmen für den Transport von Waren und Gütern nach und aus Namibia unter Vermeidung Südafrikas. Die dritte Möglichkeit sollte nur erfolgen, falls Südafrika die Nutzung des Hafens in Walvis Bay verbieten sollte.
Neue Grenzposten in der Wüste
Gleich nach Namibias Unabhängigkeit hatten südafrikanische Behörden „Grenzposten“ im Süden und im Norden der Enklave um Walvis Bay eingerichtet. Diese „Posten“ waren kleine Armeezelte. Gleich hinter der Brücke über den Swakop-Fluss bei Swakopmund musste jeder, der nach Walvis Bay wollte, seinen – zumeist südafrikanischen – Pass vorzeigen. Das gleiche galt für Autofahrten von der Hafenstadt nach Osten in die Wüste und nach Swakopmund. Die Einwohner beider Orte waren wenig erbaut über diese „Grenzübergänge“.
Endlich ein Treffen
Die Außenminister Gurirab und Botha trafen sich am 14. März 1991 in Walvis Bay und am 17. Mai ein zweites Mal. Sie einigten sich darauf, „eine Lösung für Walvis Bay durch Verhandlungen“ zu finden, ebenso für die Inseln vor Namibias Küste. Beide Staaten blieben nun am Ball und beschlossen einige Monate später, am 20. September eine gemeinsame Verwaltungsbehörde (JAA = Joint Administrative Authority) für die Hafenstadt einzurichten. Obwohl dieser Beschluss laut Bruzelius am 26. März 1992 „bestätigt“ wurde, dauerte es bis zur Unterzeichnung des JAA-Abkommens noch bis November 1992. Je ein namibischer und südafrikanischer Geschäftsführer sollte die JAA leiten, unterstützt von Experten. Namibias Nangolo Mbumba – jetzt Vizepräsident – und der südafrikanische Diplomat Carl von Hirschberg (mit deutschen Wurzeln) teilten sich die Geschäftsführung.
Einer der ersten Beschlüsse der Behörde war die Abschaffung der „Grenzposten“ am 3. Dezember 1992, zur großen Erleichterung der Küstenbewohner. Der tägliche Hafenbetrieb lief wie gewohnt weiter, manche Hafenarbeiter und Einwohner der Stadt machten sich jedoch Sorgen um ihre Zukunft.
Parallele Entwicklung bei TransNamib
Das staatliche Transportunternehmen TransNamib schien andere Pläne zu haben als die Politiker. Die Behörde nahm ihre eigenen Gespräche mit Südafrikas Hafenbehörde Portnet auf, um gemeinsam den Hafen von Walvis Bay zu verwalten!
In seinem Buch beschreibt Bruzelius auf den Seiten 75 bis 85 wie Namibias Transportminister von TransNamib und dessen Geschäftsführer Francois Uys quasi übergangen wurde. Das staatliche Unternehmen kommunizierte sogar direkt mit dem Kabinett. Mbumba erfuhr davon und forderte in einem Brief vom 13. August 1993 den Staatssekretär des Ministeriums auf, diesen Sachverhalt zu klären.
Dramatische Kehrtwende in Südafrika
Angesichts der absehbaren politischen Veränderungen hatten in Südafrika im Dezember 1991 die Verhandlungen der politischen Parteien für eine neue Verfassung begonnen. Die wichtigen CODESA-Beratungen (Convention for a Democratic South Africa) fanden im World Trade Centre in Johannesburg statt. Am 9. August 1993 wurde dort Walvis Bay erwähnt: Südafrikas Minister für regionale Angelegenheiten und Landfragen, André Fourie, sprach über neue Grenzziehungen für Provinzen. Die Enklave Walvis Bay sollte Teil der neuen Kapprovinz und von Kapstadt verwaltet werden, wie das schon seit Jahrzehnten der Fall war, sagte er.
Mitglieder der ANC-Partei waren dagegen, hatte man doch immer betont, dass die Hafenstadt zu Namibia gehöre. Die kleinere Partei Pan-Africanist Congress (PAC) teilte die Ansicht. ANC und PAC begannen Lobby-Arbeit zu betreiben, Namibias neuer Transportminister Marco Hausiku und sein Staatssekretär Peingeondjabi Shipoh wurden mit einbezogen. Der PAC setzte das Thema Walvis Bay auf die CODESA-Tagesordnung für den 12. August. Der Entwurf für einen Antrag lag parat, er war schon Monate vorher mit namibischen Regierungsvertretern erstellt worden. Er sah vor, dass Namibia und Südafrika alle noch ausstehenden Punkte zu Walvis Bay und der Enklave aushandeln und ein Datum für die Eingliederung festlegen sollten. Am 16. August 1993 wurde der Antrag einstimmig angenommen!
Nachdem diese wichtige Hürde geschafft war, legten die beiden Außenminister Gurirab und Botha kurz darauf bei einem Treffen am 8. September in Pretoria das Datum fest: Binnen sechs Monaten sollte die historische Eingliederung am 28. Februar 1994 erfolgen.
Der Countdown beginnt
Das namibische Kabinett beschloss auf einer Sondersitzung am 28. September 1993, die Hafenbehörde NamPort (Namibia Ports Authority) zu gründen. TransNamib musste seinen Traum, den Hafen zu verwalten, aufgeben.
Technische Experten beider Ländern bereiteten binnen weniger Monate detaillierte Abkommen für die Übergabe vo eund erstellten neue Gesetze, die beide Parlamente in Windhoek und in Kapstadt verabschieden mussten. Beratungen, welche leitenden Hafenangestellten in Walvis Bay bleiben und welche nach Südafrika zurückkehrten, wurden notwendig. Südafrikanische Regierungsgebäude der Hafenstadt mussten auf Namibias Regierung übertragen werden. Die Post- und Telekommunikationsdienste von Walvis Bay mussten in die relevanten namibischen Staatsbetriebe eingegliedert werden. Die Dienstleistungen der Stadtverwaltung mussten übertragen werden.
Beide Verteidigungsministerien mussten die Übergabe des militärischen Flughafens Rooikop, der Marine im Hafen, der Militärbasis in Walvis Bay und den Stützpunkt Rand Rifles) am Strand Richtung Swakopmund) verhandeln. Es gab sehr viel zu tun, die Zeit war knapp.
Letze Runde und Zahlungsforderungen
Die fünfte und letzte Verhandlungsrunde um Walvis Bay und die Küsteninseln fand am 21. Januar 1994 in Pretoria statt. Der ehemalige Vize-Transportminister Klaus Dierks schreibt in seinem Buch Chronologie der namibischen Geschichte, dass den ganzen Tag „hart“ verhandelt wurde. Obwohl Pretorias alte Apartheidsregierung nur noch knapp acht Wochen am Ruder war, wurde der namibischen Delegation klargemacht, dass Windhoek für Immobilien und Infrastruktur der Hafenstadt zahlen sollte. Auch Südafrikas Stromversorgungsunternehmen Eskom forderte plötzlich N$23 Millionen (damals etwa 4,6 Millionen D-Mark), die Hafenbehörde Portnet sogar N$84,7 Millionen (damals etwa 17 Millionen D-Mark).
Falls Namibia nicht zahle, wollte Portnet im Hafen von Walvis Bay alles abmontieren und nach Südafrika bringen. Die Provinzregierung von Kapstadt wollte Geld für Regierungsgebäude, und die Telekom wollte N$4,8 Millionen (etwa knapp 1 Million D-Mark). Transportminister Marco Hausiku bot N$15 Millionen (damals etwa 3 Millionen D-Mark) an.
Bis zum 28. Februar konnte man sich nicht auf alles einigen. Namibia berief sich auf internationales Recht, dass bei der Nachfolge von Staaten für Liegenschaften und Eigentum nicht gezahlt werden müsse. So steht es in der Wiener Konvention von 1983, die Regierungsnachfolge in Staaten und für Staatseigentum regelt.
Dierks zufolge war klar, dass bis Ende Februar unmöglich alles geregelt werden konnte. Beide Seiten kamen überein, dass an dem Stichtag auf der geplanten Veranstaltung NamPort die Hafenverwaltung übernehmen sollte. Am 21. Februar verabschiedete Namibias Parlament das Gesetz zur Besitznahme der Stadt Walvis Bay, der Enklave und der Küsteninseln. Am 23. Februar wurde das NamPort-Gesetz verabschiedet. Das Parlament in Kapstadt tat das Gleiche.
Am 28. Februar 1994 war der große Moment gekommen: Präsident Sam Nujoma lobte bei der offiziellen Feier zur Übergabe „die frohe Veranstaltung, bei der Namibia nun vollkommene Unabhängigkeit erlangt“ habe. „Wir können uns freuen, da die Fehler der Vergangenheit korrigiert wurden. Die Eingliederung von Walvis Bay ist ein hervorragendes Beispiel für friedliche Lösungen durch Verhandlungen und Versöhnung zwischen zwei zuvor antagonistischen Mächten“, sagte Nujoma.
Die frohe Stimmung der Feierlichkeit wurde allerdings getrübt als entdeckt wurde, dass südafrikanische Soldaten beim Abzug vom Rooikop-Militärstützpunkt vieles zerstört hatten. Das hinterließ einen bitteren Nachgeschmack
Abwicklung endet erst 1996
In Südafrika fanden die ersten demokratischen Wahlen im April 1994 statt. Nelson Mandela wurde zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt. Namibia wollte die Besitzverhältnisse für die Infrastruktur des Hafens von Walvis Bay klären, war aber nicht erfolgreich. Die neue Regierung in Pretoria betrachtete die Angelegenheit als rein kommerzielle Transaktion zwischen den Hafenbehörden beider Länder. NamPort beantragte die schriftliche Genehmigung der namibischen Regierung, die N$30 Millionen (damals etwa 6 Millionen D-Mark) zahlen zu dürfen. Transportminister Haufiku hatte das Angebot inzwischen auf diesen Betrag erhöht.
Alles zog sich hin. Erst im Oktober 1995 konnte alles ausgehandelt werden. NamPort nahm einen Kredit für die N$30 Millionen auf und zahlte im Dezember 1995. Eine offizielle Übergabe allen Eigentums fand erst am 22. März 1996 statt. Sechs Jahre nach der Unabhängigkeit war Namibia endlich in vollem Besitz aller Hafen-Infrastruktur. Seit der Eingliederung der Enklave waren 25 Monate vergangen.
Am 28. Februar 2019 wird in Namibia das 25. Jahr der Eingliederung von Walvis Bay und der 1.124 Quadratkilometer großen Enklave als Jubiläum feiern. Jahrhundertelang hatten verschiedene Großmächte den Hafen beansprucht, dieses Kapitel wurde 1996 endgültig abgeschlossen.
Brigitte Weidlich
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