Besucher der namibischen Stadt Walvis Bay finden einen modernen Hafen vor, die Stadt selbst bietet gute Einkaufsmöglichkeiten. Touristen können zwischen verschiedenen Restaurants und Unterkünften wählen und Scharen rosa Flamingos in der Lagune beobachten. Schon phönizische Seefahrer sollen alten Aufzeichnungen zufolge 600 Jahre vor Christus die „Bucht der Wale“ auf dem Weg zur Südspitze Afrikas während einer dreijährigen Weltreise entdeckt haben.
Heutzutage ist wenig bekannt, dass die Geschichte der Hafenstadt über Jahrhunderte mit Besitzansprüchen verschiedener Großmächte wie Portugal, Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Südafrika bis 1994 verknüpft ist.
Portugals Karavellen ankern 1487
Der portugiesische König Joao II., ein Neffe des berühmten Prinzen Heinrich der Seefahrer, schickte Bartolomeo Diaz mit einer Flotte Karavellen nach Süden. Diaz sollte Afrikas Südspitze umrunden und eine Segelroute nach Indien finden. Sein Vorgänger, Diogo Cão war 1485 bis zum Kreuzkap (Cape Cross) nördlich vom heutigen Swakopmund gesegelt und hatte dort ein „Padrao“ aufgestellt, eine steinerne Stele mit Kreuz obendrauf. Die Stele steht heute in einem Berliner Museum. Am Kreuzkap wurde eine Nachbildung aufgestellt.
Diaz ankerte seine Karavelle ,São Cristóvão‘ und zwei weitere Segelschiffe am 8. Dezember 1487 in der Bucht, die heute Walvis Bay heißt, und nannte sie ‘Golfo de Santa Maria da Conceição’ (Golf der Empfängnis der Heiligen Maria). Das Delta des Kuiseb-Flusses ist ganz in der Nähe. Ab 1506 wurde die Bucht in portugiesischen Seekarten vermerkt. Portugals Könige hatten damals noch keinen Anspruch auf die Bucht erhoben, die im 16. Jahrhundert in ,Bahia das Bahleas‘ (Bucht der Wale) umbenannt wurde. Das schreibt Klaus Dierks in seinem Artikel Namibia’s Walvis Bay Issue. Archäologische Funde ergaben, dass die Topnaars, den Khoisan zugehörig, seit hunderten Jahren an den Ufern des Kuiseb lebten und bis heute dort ansässig sind. Die Topnaars kannten die ,Walfischbucht‘, ihre Lagune und Sandwich-Hafen südlich der Bucht.
Niederländische Interessen
Inzwischen hatte die niederländische Firma Vereinigte Ostindische Compagnie (VOC) in ihrem Bestreben, den Handel mit Indien zu vertiefen, 1652 eine Zwischenstation am Kap eingerichtet, dem heutigen Kapstadt.1670 schickte die VOC ihr Segelschiff ,Grundel‘ auf Erkundungsreise an die südwestliche Küste Afrikas, um eventuell mehr Zwischenstationen einzurichten. So sollte den VOC-Schiffen ermöglicht werden, Wasser, frisches Gemüse und Frischfleisch zu laden.
,Grundel‘-Kapitän Gerrit Ridder Muijs (später ,Muys‘ in englischen Dokumenten) übersah die Walfischbucht, ankerte aber etwas weiter südlich in Sandwich-Hafen. Seine Matrosen hatten eine wenig geglückte Begegnung mit den ansässigen Topnaars, das Schiff lichtete eiligst seinen Anker und segelte davon. Sieben Jahre später landete das holländische Schiff ,Boode‘ (manchmal auch ,Bode‘) dort und hatte einen freundlichen Austausch mit den Topnaars. Das vermerkte der namibische Historiker Wolfram Hartmann in seinem Artikel Early Dutch-Namibian Encounters. Die VOC unterließ es aber, dort eine Zwischenstation zu gründen.
Anfang 1793 wurde das holländische Schiff ,Meermin‘ auf eine ähnliche Erkundungsfahrt geschickt und ankerte in der Bucht des heutigen Walvis Bay. Kapitän Duminy (auch ,Du Menie‘ geschrieben) erklärte am 26. Februar 1793, dass Walvis Bay und Angra Pequena (heute: Lüderitzbucht) sowie die Halifax-Insel unter niederländischer Verwaltung stünden. Die Insel gehört zu den Pinguin-Inseln. Der Kapitän ließ eine Bake bei Walvis Bay errichten. Es war der erste formale Anspruch einer Fremdmacht. Nur zwei Jahre später warf ein britisches Schiff dort seinen Anker aus.
Der Walfang beginnt
Schon die ,Dutch West India Whaling Company‘ hatte ab 1723 bei Walvis Bay Walfang betrieben. Knapp 55 Jahre später erschienen ab 1778 nordamerikanische Walfangschiffe, um sich ebenfalls an dem lukrativen Walfang zu beteiligen. Manchmal wurden bis zu vierzig Schiffe gezählt. Sie holten frisches Trinkwasser bei Sandwich-Hafen. Frischprodukte erhielten sie von den Topnaars im Tausch mit Glasperlen und anderen Dingen. 1804 kenterte das Walfangschiff ,Hope‘ in Sandwich-Hafen. Das Schiff kam aus Salem bei Bedford im US-Bundesstaat Massachusetts. 1848 havarierte ein weiteres Schiff , ,American Whaler‘ aus Salem, in der Nähe von Walvis Bay. Inzwischen hatten sich einige europäische Händler in der Bucht niedergelassen, sie lebten in Holzhütten.
1844 begann der internationale Guano-Rausch, der Kot von Seevögeln war als hervorragendes Düngemittel entdeckt worden. Auch an der namibischen Küste suchte man nach Guano und wurde fündig. Britische und amerikanische Firmen schickten Schiffe hierher und verdienten gut an dem Guano, der mit Schaufeln von den Küsten-Inseln abgetragen wurde.
Britische Interessen gemeldet
Bis Anfang 1795 dominierten Großbritannien und die Niederlande den Indischen Ozean und seine lukrativen Handelsrouten. Die Niederlande kontrollierten die Kap-Route und hatten die Kap-Kolonie gegründet. Das änderte sich: Am 3. April 1795 schickte das britische Königreich 515 Soldaten ans Kap. Der dortige niederländische Gouverneur wehrte sich zuerst gegen die Besetzung, ergab sich aber am 15. September 1795. Im gleichen Jahr landete das britische Schiff ,Star‘ in Walvis Bay. Kapitän Alexander hatte strikte Anweisungen, alle Buchten und Inseln vom Oranjefluss bis zur Kunene-Mündung für die britische Krone zu beanspruchen. Für kurze Zeit war das Kap ab 1802 wieder unter niederländischer Kontrolle, aber 1806 wurde wieder der britische Union Jack gehisst. Auf dem Wiener Kongress wurden 1815 alle niederländischen und portugiesischen Ansprüche aufgegeben. Die Kap-Kolonie blieb bis 1910 britisch.
Deutsche Missionare treffen ein
Etwa 1840 hatte Chief Jonker Afrikaner, Anführer eines Nama-Clans mit Khoisan-Ursprung, den Topnaars am Kuiseb-Fluss in der Namib-Wüste mitgeteilt, dass sie fortan seine Untertanen seien. Der Afrikaner-Clan war einige Jahre zuvor aus dem Nord-Kap über den Oranje-Fluss eingewandert. Im Jahr 1842 ließ Jonker Afrikaner Straßen nach Walvis Bay anlegen, darunter den alten ,Bai-Weg‘, um sich am Handel an der Küste zu beteiligen.
Deutsche Missionare wollten bei Walvis Bay eine Missionsstation gründen und mussten Chief Jonker Afrikaner um Erlaubnis bitten. Dieser erteilte die Genehmigung. Missionar Heinrich Scheppmann begann im Dezember 1845 mit seiner Missionsarbeit bei Rooibank, nur wenige Kilometer östlich von Walvis Bay. Die Regierung der Kapkolonie annektierte 1866 alle zwölf Inseln vor Namibias Küste.
Die Palgrave-Kommission
1876 entsendete die Kap-Regierung Kommissar William Coates Palgrave in das heutige Namibia, um die mögliche Annexion der gesamten Küste zu untersuchen. Palgrave empfahl dieses Vorhaben, die Regierung am Kap entschied sich später dagegen. Am 6. März 1878 landete das britische Schiff ,Industry‘ in Walvis Bay. Sechs Tage später am 12. März annektierte Kapitän Richard Dyer die Bucht und das umliegende Gebiet für die britische Krone: bis Rooibank im Osten, bis zum Südufer des Swakop-Flusses im Norden und „zehn Meilen“ landeinwärts entlang des Swakop bis zur schwarzen Nuberoff-Kuppe.
Der Text dieser Proklamation ist in dem Buch The History of the Port and Settlement of Walvis Bay, 1878-1978 von Jan Wilken und G. Fox abgedruckt. Die Enklave bedeckte eine Fläche von 1.124 Quadratkilometern.
Das deutsche Kaiserreich im Wettbewerb
Nur wenige Jahre nach Palgrave erschienen 1883 die deutschen Händler Adolf Lüderitz und Heinrich Vogelsang auf der Bildfläche. Sie „kauften“ die Angra Pequena-Bucht für einen Pappenstiel von Nama-Chief Josef Fredericks und wenige Monate später „erwarben“ sie ein großes Gebiet im Hinterland. Lüderitz beantragte in Berlin Schutz für seinen Besitz im Südwesten Afrikas. Reichskanzler Otto von Bismarck zögerte. Erst am 7. August 1884 erklärte er Deutsch-Südwestafrika zum Schutzgebiet. Angra Pequena wurde in Lüderitzbucht umbenannt. Interessanterweise hat die Kap-Regierung am selben Tag Walvis Bay und die umliegende Enklave in die Kap-Kolonie einverleibt.
Disput um die Grenzen
Das Kaiserreich und das britische Empire mussten nun die Grenzen genau vermessen und festlegen. Es gab Diskrepanzen wegen Rooibank (auch als Scheppmannsdorf bekannt) und Rooikop, die teilweise im Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890 zwischen Berlin und London beigelegt wurden. Es gab immer noch einige Uneinigkeit, die selbst von drei Grenz-Kommissionen nicht gelöst werden konnten.
Spanischer Experte ernannt
Beide Mächte kamen schließlich überein, Spaniens König Alfonso XIII. als Schlichter zu akzeptieren. Der König beauftragte den Professor für internationales Recht an der Universität von Madrid, Joaquin Fernandez Prida, damit, den Grenzdisput um die Enklave zu lösen.
Prida hielt sich von Dezember 1910 bis Januar 2011 in Walvis Bay auf, begleitet von britischen und deutschen Vertretern. Am strittigsten war die Südgrenze. Großbritannien betrachtete Rooibank/Scheppmannsdorf und die nahe Topnaar-Siedlung Ururas als zur Enklave gehörig. Deutschland erhob ebenfalls Anspruch darauf.
Professor Prida veröffentlichte seine Entscheidung am 23. Mai 1911. Auf 33 Seiten beschrieb er den Hergang und befand, dass die Grenzmarkierung des britischen Landmessers Philip Wrey von 1885 korrekt war. Rooibank war britisch. Die Briten und die Deutschen akzeptierten Pridas Befund. Namibia Focus Online erhielt Einsicht in Pridas Befund, von dem eine Kopie in englischer Sprache in der Sam-Cohen-Bibliothek der Wissenschaftlichen Gesellschaft Swakopmund existiert.
Nach dem Ersten Weltkrieg
Die britische Kolonie Südafrika wurde 1910 Union. Im selben Jahr wurde Walvis Bay per Gesetz der neuen Union Teil von Südafrika. Deutschland verlor nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) alle seine Kolonien. Südwestafrika (SWA) wurde vom Völkerbund als Kategorie-C Mandat erklärt und ab dem 1. Januar 1921 unter Südafrikas Verwaltung gestellt. Walvis Bay und die Enklave sowie die Küsteninseln gehörten nicht zum Mandatsgebiet.
1922 verabschiedete Südafrika das sogenannte SWA-Gesetz, dass Walvis Bay und die Enklave unter die Verwaltung der „SWA Administration“ (aber unter Südafrika) in Windhoek stellte. Die Inseln wurden weiterhin direkt von Pretoria aus verwaltet. Das Gesetz von 1922 blieb 55 Jahre in Kraft. Am 1. September 1977 wurde es widerrufen und durch Proklamation ,R202‘ ersetzt. Diese Proklamation unterstellte die Hafenstadt samt Enklave der südafrikanischen Regierung.
Unabhängigkeit
Namibia wurde am 21. März 1990 unabhängig. Die neue Regierung musste vier Jahre mit Pretoria verhandeln, bis Walvis Bay, die umliegenden 1.124 Quadratkilometer und die Küsteninseln am 28. Februar eingegliedert wurden. Damals hatte die Hafenstadt 28.000 Einwohner, 2018 sind es 120.000 (s. Artikel am 8. August über die Verhandlungen zur Eingliederung).
Wie hat sich Walvis Bay von 1922 bis 1990 entwickelt? Lesen Sie morgen Teil 2 des Artikels ,Walvis Bay – Biographie eines Platzes‘.
Brigitte Weidlich
SUBMIT YOUR COMMENT