Die Farm Hornkranz südwestlich von Namibias Hauptstadt Windhoek liegt im Khomas Hochland und hat eine interessante Vergangenheit. Ein unrühmlicher Überraschungsangriff der deutschen Schutztruppe auf den Clan des legendären Nama-„Kapitäns“ Hendrik Witbooi am 12. April 1893, also heute vor genau 126 Jahren, brachte Hornkranz einen festen Platz in den Geschichtsbüchern ein. Zwei Gedenksteine am Haus und zwei Schutztruppengräber bei den Ställen erinnern daran.
Witbooi hatte sich ab 1887 mit seinem Volk auf einer Fläche nahe der Quelle mit dem Namen Hornkranz niedergelassen. Schon lange vorher nutzten Ureinwohner diese Wasserstelle am Goab-Trockenfluss, von der es nicht weit zum Kuiseb-Fluss war. Auf der Ebene wurde in der Nähe der Quelle zur deutschen Kolonialzeit eine Polizeistation gebaut, die Umgebung wurde später Farmland. Das geräumige Gebäude der Polizeistation diente den damaligen Farmbesitzern als Wohnhaus.
Die Farm erlebte verschiedene Eigentümer, so manche Gräber sind stumme Zeugen. Die jetzigen Besitzer sind einheimische Namibier. In den ehemaligen Pferdeställen aus deutscher Zeit wird heute das Vieh untergebracht.
Die Frühzeit
Das Khomas Hochland dehnt sich mit seinen zerklüfteten und steilen Schluchten westlich bis südwestlich von Namibias Hauptstadt Windhoek bis hin zum Kuiseb-Fluss aus. Diese schroffe Bergwelt mit dem flachen Plateau des majestätischen Gamsbergs in seiner Mitte bot tausende Jahre wilden Tieren und auch Jägern und Sammlern Schutz und Wasser. In jüngster Zeit entdeckte Felszeichnungen, die vom Universitätsdozenten und Autor Piet van Rooyen auf den Farmen Hornkranz und Hornkranz-Süd gefunden wurden, sind ihre Zeitzeugen.
Ab 1800 herum nutzten viele Nama- und Herero-Gemeinschaften die verschiedenen Schluchten und Flussbetten des Khomas Hochlands als Reiserouten. Die schattigen Schluchten bieten lange über die Regenzeit hinaus Wasser in Mulden.
Ursprung des Namens
Hornkranz bedeutet Ring oder Kranz von Tierhörnern. Angeblich sollen an dieser Quelle im Goab-Fluss oft sehr viele Wildtiere ihren Durst gestillt haben. Es heißt, nachdrängende Tiere hätten sich dabei manchmal gegenseitig tot getrampelt. Die Hörner der verendeten Tiere sollen wie ein Kranz um die Quelle gelegen haben. So beschreibt es A.P.J. Albertyn in seiner Enzyklopädie über Ortsnamen in Namibia. Ältere Nama-sprechende Einwohner berichten, dass der Zugang zur Wasserstelle, die in einer Flussbiegung tief zwischen Felsen liegt, für die herandrängenden Tiere so steil war, dass viele hinunterstürzten, mit gebrochenen Gliedern liegenblieben und verendeten. Das traf später auch auf Rinder und Kleinvieh der Nama zu.
Der Name soll aus dem Deutschen stammen, gelegentlich wurde die Schreibweise durch den Einfluss von Kap-Holländisch und Afrikaans auf „Hoornkrans“ geändert. Die Nama nennen den Ort in ihrer Sprache „Natas“ (mit Schnalzlaut auf dem N). Das Wort bedeutet „Schweiß“, und der Bezug zu Hornkranz wird so erklärt: Manchmal tritt das Wasser dort in ganz dünnen Rinnsalen aus den Felsen, die aussehen wie menschlicher Schweiß.
Der Heitsi-Eibeb
Erreicht man von Windhoek aus nach knapp 120 Kilometern die Abfahrt zum Farmtor, liegt nur wenige hundert Meter dahinter ein größerer Steinhaufen unter einem Baum. Einheimische berichten, es sei ein Heitsi-Eibeb, ein Ort wo der Halbgott Heitsi ruht.
Der Heitsi (früher: Heiseb) ist Heinrich Vedder zufolge in der Mythologie der Nama-sprechenden Bevölkerung halb Mensch, halb göttlich. Sein Name bedeutet „der Baumgleiche“, schreibt Vedder in seinem dicken Wälzer Das alte Südwestafrika. Der Überlieferung nach wurde der Heitsi als Mensch geboren, soll aber außergewöhnliche Fähigkeiten gehabt haben. Sooft er starb, ist er immer wieder auferstanden. Er soll sich in Baumwipfeln aufhalten.
Ein „Beb“, also ein Ort, an dem sich der Heitsi zwischendurch ausruht, ist nach Andreas Vogt so ein Steinhaufen. Physisch begraben ist dort niemand, schreibt Vogt in seinem Buch National Monuments in Namibia. Wer an einem symbolischen Ruheplatz des Heitsi vorbeikommt, legt einen Stein hinzu und bittet um eine gute Reise, ein gelungenes Vorhaben – heute noch!
Zurück zum Heitsi-Eibeb auf Hornkranz: Die Alten erzählen, dass Hendrik Witbooi mit seinen Männern an diesem Steinhaufen den Heitsi um gute Reise und gutes Gelingen ihrer Vorhaben gebeten haben soll. Steht man heute vor dem Steinhaufen, sieht man unwillkürlich vor dem geistigen Auge Witbooi mit seinen Männern vorbeireiten.
Witbooi besiedelt Hornkranz
Um 1860 herum sind Nama-sprechende Gruppen unter ihrem Anführer Kido Witbooi aus dem südafrikanischen Nordkap über den Oranjefluss nach Norden in das heutige Namibia gezogen. 1863 ließen sie sich an der Wasserquelle Kachatsus im Fischfluss nieder, Kido Witbooi nannte sie Gibeon. Sein Enkelsohn Hendrik war damals 36 Jahre alt. Die Witboois lebten von Raub- und Beutezügen gegen andere Nama-Clans und Hereros.
Ab 1880 begann der Krieg gegen die Hereros. 1884 zog Hendrik Witbooi mit etwa 300 Namas von Gibeon nach Norden, er soll sich mit seinem Vater Moses – inzwischen Clan-Chef – nicht mehr gut verstanden haben. Ab 1888 siedelte Witbooi sich auf Hornkranz an, manche Quellen berichten, es sei schon 1887 gewesen.
In kurzer Zeit etablierte sich Hendrik als führender Nama-„Kapitän“, wie die Anführer damals genannt wurden. Hornkranz wurde immer größer mit hunderten Hütten. Um das Dorf herum gab es eine hüfthohe Mauer aus aufgeschichteten Steinen. Inzwischen hatte sich die deutsche Kolonialverwaltung etabliert und Schutzverträge mit verschiedenen Stammesführern abgeschlossen. Witbooi war dagegen.
Um ein Exempel zu statuieren und Witboois Macht zu brechen, überfiel der damalige Governeur Major Curt von Francois am 12. April 1893 mit 200 Soldaten überraschend Hornkranz. Die Schutztruppe tötete etwa 80 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Witbooi selbst konnte mit fast allen waffenfähigen Männern fliehen. Zwei Schutztruppler verloren ihr Leben. In historischen Quellen besteht Uneinigkeit darüber, ob der Gouverneur gegen die allgemeine Order des Auswärtigen Amtes in Berlin verstoßen hatte, kriegerische Handlungen zu unterlassen, oder ob diese Anordnung kurz zuvor geändert worden war. Von Francois wurde kurz nach dem Überfall degradiert und 1894 nach Deutschland zurückgerufen.
Verschiedene Besitzer
Witbooi und andere Einheimische ließen sich nach 1893 nicht mehr dauerhaft in Hornkranz nieder. Der Platz wurde Kronland. Eine amtliche Besitzstandkarte von 1902 zeigt an, dass Hornkranz der Kolonialregierung gehörte. Der erste Farmbesitzer auf Hornkranz war der Ingenieur Curt Bieder aus Berlin, der 1906 ins Land kam. Er hatte sich 1907 fast gleichzeitig mit Eduard Zachau darum beworben, das inzwischen etwa 10.000 Hektar große, als Farm vermessene Hornkranz zu kaufen. Zachau verlor die Farm 1908, da er, um die 4.000 Mark Beihilfe von der Regierung zu bekommen, falsche Angaben über seinen Viehbestand gemacht hatte. Bieder wurde dann später Besitzer von Hornkranz.
1910 ist einem amtlichen Briefwechsel zu entnehmen, dass dort eine Polizeistation mit Pferdestall gebaut werden sollte. Das Vorhaben wurde 1911 umgesetzt. Nach der deutschen Kolonialzeit wurde das Gebäude als Farmhaus benutzt.
1928 verkaufte Bieder etwa 10.670 ha an Barend Smit, ein Jahr zuvor hatte er etwa 320 ha an Arwed Scholl verkauft. Die Farm erlebte viele Besitzer und wurde in drei Teile aufgeteilt, darunter Hornkranz-Süd. 1949 wurde die Farm – inzwischen nur noch 9.661 ha – sogar zwangsversteigert. Nur sechs Wochen später kauften zwei Familienmitglieder hugenottischer Abstammung die Farm. Ein Nachfahre blieb dort bis 2006, obwohl er Hornkranz schon 1999 an den jetzigen Besitzer verkauft hatte. Der Nachfahre nahm jedoch ein Wohn- und Bleiberecht in Anspruch.
Er hatte sich inzwischen in eine einheimische junge Frau verliebt. Die beiden wohnten in einer schlichten Zweizimmerwohnung aus Containern im Westen der Farm. Das Liebesglück währte nicht allzulange, die junge Frau verließ den Mann, der einsam sein Container-Dasein mit atemberaubenden Blick auf den Gamsberg fristete und 2006 verstarb. Eine bronzene Plakette erinnert an ihn.
Der Fluch
Über manche Nachbarfarmen von Hornkranz kursieren interessante Geschichten. Da wird von tödlichen Feuersbrünsten und fatalen Verkehrsunfällen berichtet und von mindestens einem Farmhaus, in dem es heute noch spuken soll. Die einst üppig wachsenden Gräser nach guten Regenzeiten – bis in die siebziger Jahre hinein – waren gut für das Vieh; inzwischen regnet es dort nur noch wenig.
So mancher pensionierte Farmarbeiter aus der Umgebung, der Nama-Damara spricht, berichtet mit gesenkter Stimme, dass der legendäre Hendrik Witbooi, übrigens ein bekennender Christ, nach dem schlimmen Angriff der Schutztruppe auf Hornkranz die Gegend angeblich verflucht habe und die Seelen der Toten von 1893 nicht zu Ruhe kämen.
Nur der Heitsi weiß, ob dieser Mythos wahr ist.
Brigitte Weidlich
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