Tausende und Abertausende Jahre hatte er Sonne, Wind und Regen getrotzt. Der Mûgorob, wie ihn die Nama nannten, oder auch Mukorob oder Finger Gottes im Süden Namibias. Erhaben überragte die Felssäule östlich der Teerstraße Mariental - Keetmanshoop nahe Asab die Landschaft. Eine Laune der Erosion. Oder ein Zeichen Gottes? Am 7. Dezember 1988, heute vor genau 30 Jahren, war der Mûgorob plötzlich verschwunden; er war von seinem Sockel gestürzt und hatte unter einem Haufen auseinander gebrochenen Sandsteins auch zahlreiche Erinnerungen begraben.
Es war ein Sommertag im Jahr 1973. Der 19-jährige Rodney Lichtman und der 17-jährige Patrick Evans machen sich zum Aufstieg bereit. Die beiden energiegeladenen jungen Männer wollen den Mûgorob bezwingen. Schon als Pfadfinder hatten sie mit dem Bergsteigen begonnen und sich während des Studiums in Kapstadt dem Bergsteiger Club angeschlossen. Nun suchten sie eine neue Herausforderung. Rodney Lichtman erinnert sich: „Damals ging es beim Bergsteigen darum, neue Wege zu erschließen oder einen bisher unbezwungenen Gipfel zu erobern. Der Finger Gottes war für uns eine große Verlockung. Es war, als gebe er uns ein Zeichen.“
Die beiden Studenten begannen den Aufstieg in den frühen Morgenstunden mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Hatten sie sich zuviel vorgenommen? Sie konzentrierten sich auf die Felssäule, ihren Geruch und die Spalten, in denen sie Halt finden konnten. Ihnen war bewusst, dass das Gestein brüchig und porös sein könnte; dass ihre Haken und Klemmen sich lösen könnten; dass der Mûgorob bereits eine lange Lebensgeschichte hinter sich hatte.
Vor etwa 280 Mio. Jahren, als die heutigen Kontinente Südamerika, Antarktis, Afrika und Australien noch vereint waren und gemeinsam den Ur-Kontinent Gondwana formten, bedeckten gewaltige Gletscher das Land. Dann wurde es wärmer und die Gletscher schmolzen. Im Süden des heutigen Namibia befanden sich ausgedehnte Flutgebiete, in denen sich dicke Schichten Schlamm und Sand ablagerten.
Diese Ablagerungen treten heute im Weißrand östlich der Teerstraße Mariental - Keetmanshoop zu Tage: Sand wird im Laufe der Jahrmillionen zu Sandstein und Schlamm zu Tonschiefer. Der widerstandsfähigere Sandstein bildet die Decke des Weißrands.
Vor rund 120 Mio. Jahren brach Gondwana auseinander und Afrika begann sich zu heben. Dadurch beschleunigte sich die Erosion. Vor etwa 30 Mio. Jahren wurden die Sandstein- und Tonschiefer-Schichten wieder freigelegt. Der Fischfluss und seine Nebenflüsse nagten daraufhin an diesen Schichten und drängten sie nach Osten zurück. Dieser Prozess verlief nicht gleichmäßig; hier und da entstanden Felsinseln, die der Erosion länger widerstanden als das Gestein um sie herum. Der Mûgorob war der letzte Rest solch einer Felsinsel. Wie ein besonders hartnäckiger Fels in der Brandung ragte er 200 m westlich der geschlossenen Abbruchkante in die Luft. Rein rechnerisch datierten Geologen die Stunde seiner Geburt als Felsinsel auf einen Zeitpunkt vor etwa 50.000 Jahren.
Der Körper aus Sandstein war 12 m hoch, bis zu 4,5 m breit und etwa 450 t schwer. Er ruhte auf einem Sockel, der mit 3 m Länge und 1,5 m Breite erschreckend schmal war. Dass er sich bei diesen Maßen überhaupt halten konnte, glich einem Wunder – deshalb bestaunten ihn ja auch soviele Besucher.
Und zwei von ihnen kletterten an einem Sommertag im Jahr 1973 unermüdlich an dieser Felssäule hoch: Rodney Lichtman und Patrick Evans brauchten dazu fast den ganzen Tag. Wenn einer der beiden müde wurde, schlug er seinen Haken in den höchsten Punkt und ruhte sich in den Sicherungsseilen aus. Der andere kletterte vorbei und übernahm die Führung. Für ihr Abenteuer gab es keine Zeugen. Sie waren ganz allein in der weiten Landschaft unter blauem Himmel. Die großen Momente hielten sie mit der Kamera fest. Erst am Nachmittag standen sie erschöpft und durstig auf der Fingerspitze Gottes.
Der Abstieg ging ungleich schneller und unbeschwerlicher vonstatten. Nach gelungener Mission kehrten die beiden Studenten im Asab Hotel ein und erzählten einem skeptischen Barmann von ihrem Erlebnis. Später verkauften sie ihre Geschichte mit Bildmaterial an die südafrikanische Zeitschrift Huisgenoot und verdienten sich damit das Benzingeld für die Ferien und das Proviant für die lange Fahrt. Übrigens statteten sie dem Asab Hotel einen weiteren Besuch ab und lieferten dem erstaunten Barmann den Artikel über die Mûgorob–Besteigung frei Haus.
Der Finger Gottes blieb danach 15 weitere Jahre Anziehungspunkt für Reisende im Süden Namibias, bis er plötzlich – vermutlich am 7. Dezember 1988 – einstürzte. Augenzeugen gab es dafür nicht. Die Geologen Roy Miller und Karl Heinz Hoffmann sowie der Geophysiker Louis Fernandez kamen in einem 1990 veröffentlichten Aufsatz zu dem Schluss, dass Regen und der von oben wirkende Druck der Felssäule auf den Sockel die Hauptursachen für den Einsturz waren. Hinzu kam vermutlich das verheerende Erdbeben, das an eben diesem Tag Armenien erschütterte. Die Ausläufer der Druckwellen wurden auch in Namibia registriert - nicht von den Menschen, aber von der Seismologischen Station in Windhoek.
Um den Mûgorob rankten sich seit jeher zahlreiche Geschichten. Eine davon sah in der Felssäule ein Symbol für die Herrschaft des 'Weißen Mannes'. Sobald der Mûgorob umstürze, stürze auch das System der Apartheid. War der Fall des Mûgorob also möglicherweise ein Fingerzeig Gottes? Allerdings könnte diese Geschichte erst nach dem Fall des Mûgorob und vielleicht auch erst nach der Unabhängigkeit 1990 erdichtet worden sein...
Ron Swilling
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