Wussten Sie, dass Namibia vor mehr als einem Jahrhundert für den Gebrauch von 4x4-Fahrzeugen Pionierarbeit leistete? Im Jahr 1908 wurde eines der ersten Allradfahrzeuge der Welt nach Deutsch-Südwestafrika verschifft. Empfänger war der deutsche Kolonialsekretär. Das Fahrzeug wurde speziell für lange Strecken und unwegsames Gelände konzipiert. Robust konstruiert, betrug seine Höchstgeschwindigkeit auf Teer 40 Stundenkilometer, etwas langsamer war als bei den anderen damaligen Automobilen. Aber im Gelände war es wesentlich schneller als alle anderen Transportoptionen, wie zum Beispiel Ochsenwagen.
Als ich im vergangenen Jahr nach Deutschland reiste, machte ich einen Zwischenstopp im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart, entdeckte die Nachbildung des Fahrzeugs im Maßstab 1:4 und las seine faszinierende Geschichte. Das Fahrzeug wurde 1907 in einer Fabrik in Berlin-Marienfelde von der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) hergestellt, aus der später Mercedes Benz hervorging.
Paul Daimler entwarf das Fahrzeug speziell für die extremen afrikanischen Bedingungen. Es handelte sich um ein Unikat. Der 6,7-Liter-Vierzylindermotor mit 35 Pferdestärken hatte einen permanenten Allradantrieb und war für Steigungen von 25 Prozent ausgelegt. Das Fahrzeug besaß statt der damals üblichen Speichenräder massive Stahlräder und war mit Luftreifen statt der Vollgummireifen ausgestattet. Nur die Hinterreifen hatten ein Profil. Der Motor, das Getriebe und die Räder waren angesichts der ungeteerten Straßen in Deutsch-Südwestafrika Spezialanfertigungen. Für das Klima wurde ein spezielles Kühlsystem mit zwei Kühlern installiert, die 140 Liter Kühlmittel enthielten. Dieser Vorläufer unserer modernen 4x4-Fahrzeuge hatte vorn zwei Sitze und hinten vier, war 4,9 Meter lang und 2,7 Meter hoch. Er brachte 3,6 Tonnen auf die Waage, ein hohes Gewicht für die eher schmalen Reifen.
Nachdem der Geländewagen auf einer Probefahrt in Deutschland gründlich getestet worden war, wurde er mit seinem Fahrer, der gleichzeitig Mechaniker war, nach Swakopmund verschifft. Der Kolonialsekretär Bernhard Dernburg nahm ihn einen Monat später freudig in Empfang. Dernburg war dafür zuständig, die Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Kolonien zu koordinieren und zu verbessern. Er benötigte ein zuverlässiges und leistungsfähiges Fahrzeug. Das allradgetriebene Fahrzeug erhielt später den Spitznamen „Dernburg-Wagen".
Der Wagen war für die damalige Zeit bemerkenswert. Die 600 Kilometer lange Reise von Keetmanshoop über Berseba nach Gibeon und von Maltahöhe über Rehoboth nach Windhoek dauerte nur vier Tage. Eine Rekordzeit für eine Reise, für die ein erfahrener Reiter normalerweise zwölf Tage gebraucht hätte. Dernburg war sogar in der Lage, unterwegs mobile Kommunikation zu nutzen, da das Fahrzeug ein Feldtelefon hatte, das an die Telegrafendrähten an der Strecke angeschlossen werden konnte.
Bis 1910 hatte der Dernburg-Wagen 10 000 Kilometer zurückgelegt. Aufgrund seines großen Gewichts und des häufigen Geländefahrens waren die Reifen schnell abgenutzt. In dieser Zeit wurden 36 Reifendecken und 27 Schläuche ersetzt.
Es ist nicht bekannt, was mit dem Wagen im Ersten Weltkrieg oder danach geschah. Paul Ritter, der Fahrer und Mechaniker des Wagens, kehrte 1919 nach Marienfelde zurück und nahm die Arbeit in der Fabrik wieder auf.
Heute, mehr als hundert Jahre später, sind mit Dachzelten ausgestattete 4x4-Fahrzeuge bei Individualreisenden in Namibia sehr beliebt.
Während die Welt wegen der Conona-Pandemie fast zum Stillstand gekommen ist, und deswegen viele Reiselustige nicht ins Ausland reisen können, stehen Tausende von 4x4 Fahrzeugen in Autovermietungen und warten auf den Tag, an dem sie wieder die aufregenden Routen durch Namibia zurücklegen werden. Es wird nicht mehr allzu lange dauern. Und da wir aus der Vergangenheit lernen und uns weiser in die Zukunft bewegen sollten, kann der Dernburg-Wagen bildlich als Mahnung verstanden werden, manchmal eine etwas ruhigere und langsamere „Fahrt“ durch das Leben zu genießen.
Manni Goldbeck
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