Koloniale Vergangenheit - Neo-koloniale Gegenwart? Dieser Frage ist die Bundestags-Abgeordnete Sevim Dağdelen in ihrem Vortrag an der University of Namibia nachgegangen. Die Obfrau der Partei Die Linke im Auswärtigen Ausschuss befindet sich auf einem offiziellen fünftägigen Besuch in Namibia.
Dağdelen zog in ihrem Vortrag einen großen Bogen. Von den Spuren der deutschen Kolonialzeit in Namibia und - weniger bekannt - in China. Über das Verhältnis anderer Staaten der Europäischen Union zu ihren ehemaligen Kolonien. Bis hin zur geplanten Gewinnung von "grünem Wasserstoff" durch das deutsche Firmen-Konsortium Hyphen (siehe Bericht von NamibiaFocus) im Tsau ǁKhaeb Nationalpark bei Lüderitz.
"Die Gespräche zwischen Deutschland und Namibia über die Kolonialzeit spielen sich in einem internationalen Gefüge von Machtpolitik und Wirtschaftsinteressen ab", erklärte Dağdelen gegenüber NamibiaFocus. "Es war mir wichtig, diesen internationalen Rahmen zu skizzieren." Die Expertin für internationales Recht war von der Fakultät für Politikwissenschaft eingeladen worden. Unter den nicht-studentischen Besuchern waren auch überraschend viele Deutschstämmige.
Auf einer Pressekonferenz im Hotel The Weinberg zog Sevim Dağdelen gestern Nachmittag eine positive Zwischenbilanz ihres Besuches. "Premierministerin Saara Kuugongelwa-Amadhila und Außenministerin Netumbo Nandi-Ndaitwah haben mich empfangen. Auch mit Parlamentspräsident Peter Katjavivi habe ich gesprochen. Für diese Anerkennung meines Besuches bin ich sehr dankbar."
Nach Okahandja und zum Waterberg
Hauptthema ihres Aufenthaltes in Namibia ist die Joint Declaration, das so genannte Versöhnungsabkommen der Regierungen Deutschlands und Namibias zur Bewältigung der Kolonialvergangenheit. Darin wird das damalige Vorgehen der Deutschen gegen OvaHerero und Nama 1904 bis 1908 als Völkermord bezeichnet.
Die im Mai 2021 abgezeichnete Vereinbarung ist in Namibia überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Kritisiert wird vor allem, dass die Summe der Entschädigung von 1,1 Milliarden Euro zu niedrig sei und dass die Nachkommen der hauptsächlich betroffenen OvaHerero und Nama nicht ausreichend an den sechsjährigen Verhandlungen beteiligt gewesen seien.
Heute fährt Sevim Dağdelen nach Okahandja und zum Waterberg. Dort hatte im August 1904 das Hauptgefecht zwischen der deutschen Schutztruppe und den Verbänden der Ovaherero stattgefunden. Die Bundestags-Abgeordnete will an Gräbern Kränze niederlegen und Vertreter der betroffenen Gemeinschaften treffen. Morgen fliegt Dağdelen nach Deutschland zurück.
Autor dieses Beitrags ist Sven-Eric Stender. Er stammt aus Hamburg und arbeitet seit 1986 als Journalist. Seit 1998 lebt er in Windhoek und hat sich auf die Themen Reise, Natur, Menschen und Geschichte Namibias spezialisiert. Für Fragen oder Anregungen ist er zu erreichen unter editorial@namibiafocus.com.
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