Eine Fahrt von Swakopmund nach Norden, an der Skelettküste entlang und weiter nach Palmwag und bis zu den Epupa-Fällen im Kunene, verspricht Spannung und Abenteuer. Alle Erwartungen werden erfüllt, und noch mehr…
Swakop ade, tschüss Zivilisation. Der Weg nach Norden – auf Salz- und Schotterstraßen in die entlegeneren, zaunfreien Gegenden von Namibia, in denen Wüstenelefanten, Nashörner und Löwen leben, und noch weiter bis zu den halbnomadischen Himba – dieser Weg gilt als eine der aufregendsten Routen Namibias. Und obwohl es zu eben diesen Zielen alternative Strecken mit etwas mehr Teer gibt, dachte ich mir, dass sie den Spaßfaktor auf meiner Fahrt etwas dämpfen könnten. Oder etwa nicht?
Obwohl ich unsicher war, entschied ich mich für die abenteuerlichere Route. Ich verabschiedete mich vom Hotel-Team im The Delight Swakopmund und tauchte in den Nebel ein, der den drückenden Ostwind abgelöst hatte. Wie ein Kind, das beglückt die Existenz von Sand entdeckt, hatte der heiße Wind fröhlich den Wüstensand umhergeschleudert. Jetzt herrschte wieder das kühle Küstenwetter, und es war erneut an der Zeit, Wärmflaschen und weiche Decken hervorzuholen. Diese Dinge würden sich für mich auf dem Weg landeinwärts in den warmen Norden rasch erübrigen. Der Nebel ließ sich allerdings nicht so leicht abschütteln und folgte mir bis zum Ugab-Tor in den sagenumwobenen Skelettküstenpark. Zuvor passierte ich die Robbenkolonie von Cape Cross, ausgedehnte Flechtenfelder und Tische mit rosa Salzkristallen, die von Salzarbeitern auf der Grundlage eines Ehrlichkeitssystems verkauft werden. Das heißt, niemand ist zum Kassieren da, und wenn Sie ein Stück mitnehmen möchten, stecken Sie das erbetene Geld in den Behälter, der an den Tisch genagelt ist. Dieser einsame Küstenstrich ist bei Anglern äußerst beliebt, immer wieder weisen Schilder den Weg zu bekannten Angelstellen. Einige sind nach alter Sitte nach der Entfernung von Swakopmund (in Meilen) benannt. Andere haben bildhaftere Namen, wie Sarah se gat, die Stelle einer bekannten Anglerin namens Sarah – oder Bennie se rooi lorrie, wo ein Kind anscheinend einen roten Spielzeuglastwagen am Strand zurückließ. Es gibt auch eine Stelle der Streitigkeiten, Baklei gat, und einen Platz namens St. Nowhere (St. Nirgendwo).
Angesichts der gruseligen Totenköpfe und gekreuzten Knochen auf dem Tor in den Skelettküstenpark läuft es mir immer kalt den Rücken hinunter. Schließlich wurde dieser Küstenabschnitt am Rande der Wüste nach den Wal- und Robbenknochen benannt, die dort zu finden waren, und nach dem Treibgut der vielen Schiffe, die in diesen tückischen Gewässern Havarie erlitten haben. Entgegen der häufigen Vorstellung gibt es an den Stränden aber keine Ansammlung von Schiffswracks. Im tosenden Atlantik brechen sie bald auseinander und verschwinden in Sand und Wellen – nur die jeweils jüngsten Wracks bleiben noch eine Zeitlang sichtbar.
Ich hatte südlich von Henties Bay kurz am Wrack der Zeila angehalten, einem Fischtrawler, dessen Schleppleine ihm 2008 zum Verhängnis wurde, als sie in den frühen Morgenstunden riss. Längst haben sich Kormorane auf dem rostigen Schiffsrumpf häuslich eingerichtet, und da er eine Attraktion an diesem Teil der Küste ist, bieten dort auch Steinverkäufer ihre Ware an. Doch bald nachdem ich das Ugab-Tor passiert hatte, stieß ich auf das Wrack der South West Seal. Auf dem 90 Tonnen schweren südafrikanischen Fischereifahrzeug brach 1979 ein Brand aus, und es lief hier auf Grund. Es bietet das Bild eines perfekten Wracks: seine Rippen ragen gleichmäßig an der Wasserlinie aus dem Sand. Daneben lagen einige Walknochen, Schakalspuren zeichneten sich auf dem Strand ab, die Sonne funkelte auf den Wellen und außer dem Rauschen der Brandung war nichts zu hören. Und keine Seele weit und breit. Ich sog alles genüßlich in mich auf.
Nur zwei Fahrzeuge begegneten mir auf der 103 km langen Strecke landeinwärts zur Parkausfahrt bei Springbokwasser. Zu meiner Linken begleitete mich der Veterinärzaun, der Wildtiere zur Eindämmung von Krankheiten daran hindert, von Norden nach Süden zu ziehen, und zu meiner Rechten entdeckte ich eine regelrechte Ansammlung von Welwitschien. Die Taxonomie dieser eigenartigen großen Wüstenpflanze, die gerne als lebendes Fossil bezeichnet wird, gab Wissenschaftlern jahrelang Rätsel auf. Schließlich klassifizierten sie das endemische Gewächs der Namib als eine eigene Familie.
Die Sonne stand bereits tief über dem Horizont, als ich am Straßenrand anhielt, um mit Willibard Ketjivandje zu plaudern, der seit Jahren mit Planiermaschinen auf den Schotterstraßen im Einsatz ist. Er erzählte mir, dass es in diesen nordwestlichen Landesteilen einen gesunden Bestand an Löwen und Elefanten gibt. Der Bauwagen, in dem er übernachtet, ist mit einem Sonnenkollektor ausgestattet, der Strom für eine Lampe und für sein Mobiltelefon liefert. Dafür ist er dankbar und er ist froh, dass ihm ein Kollege Gesellschaft leistet. Mir war klar, dass ich mich jetzt im wilden Westen von Namibia befand.
Um mich herum dehnte sich das Huab-Tal aus und stellte seine Schönheit zur Schau. Eine grüne Baumreihe hebt sich von der trockenen Umgebung ab und verrät den Verlauf des unterirdischen Flusses. Aber als ich mich Richtung Palmwag wendete, verschlug mir die herrliche Landschaft fast den Atem: Tafelberge und felsiges Land, in sattem Rot getönter Basalt, übersät mit den grünen Farbtupfern von stangenartigen Euphorbien und robusten Mopane- und Hirtenbäumen. Eine Schönheit der Superlative, für die mir die Worte fehlten. Bald erreichte ich die Abzweigung, und als sich die Sonne endgültig am Himmel verneigte, kehrte ich in der Palmwag Lodge ein. Die Makalani-Palmen dieser Oase werden vom unterirdischen Lauf des Uniab mit Wasser versorgt.
Mein eindrucksvolles Zuhause für die nächsten Tage ist Teil der Palmwag-Konzession, ein wildreiches Hegegebiet mit einer Fläche von 582.000 Hektar. Palmwag Lodge & Camp arbeitet mit benachbarten Hegegebieten, mit dem Ministerium für Umwelt und Tourismus und der Stiftung Save the Rhino Trust zusammen. Sie alle wollen dieses kostbare wilde Erbe schützen, das Gästen ein außergewöhnliches afrikanisches Erlebnis bietet. Es ist eine Partnerschaft, von der alle profitieren, auch die Tierwelt. Einige der Tiere, wie Jimbo, der alte „Haus-Elefant“, besuchen regelmäßig das Gelände der Lodge und den Campingplatz. Als ich ankam, war Jimbo spazieren gegangen und tat sich vermutlich im Garten einer Siedlung gütlich. Palmwag hat ein breites Angebot an Aktivitäten, und ich begann am nächsten Morgen mit einer Fahrt in das Konzessionsgebiet, um den Aub Canyon zu besichtigen. Am Spätnachmittag schloss ich mich einer kleinen Wanderung an. Während wir uns die Beine vertraten, informierte uns unser Guide über Flora, Fauna und Geologie. Von einer Anhöhe hatten wir den perfekten Blick auf die Lodge. Ich atmete die Schönheit und die reine Luft des Damaralandes ein.
Tags darauf war ich vor den Vögeln auf, verzichtete beim Duschen auf duftende Seifen und Lotionen (wir waren darum gebeten worden) und zog sämtliche Winterklamotten an, die ich dabei hatte. Wir wollten mit den Wildhütern des Hegegebietes Nashörner aufspüren. Wie sich herausstellte, war es unser Glückstag. Auf einem Hügel in der Ferne entdeckten die Ranger ein schwarzes Nashorn mit Kalb. Leise machten wir uns auf den Weg. Die Wildhüter prüften die Windrichtung und schätzten die Laune des Nashorns ab. Sie gaben Entwarnung, und wir pirschten uns bis auf eine Entfernung von etwa hundert Metern an. Schwarze Nashörner sind als übellaunig bekannt, und eine Mutter mit Kalb verleiht dem Erlebnis zusätzlichen Nervenkitzel. Als sich das Kalb zum Schlafen niederlegte, wollten wir keinen weiteren Stress für die Mutter verursachen und zogen uns langsam zurück. Ganz aufgeregt kamen wir bei unserem Fahrzeug an, und die Ranger erläuterten, wie sie die Nashörner identifizieren und welche Unterlagen sie zur Überwachung jedes einzelnen Tieres bereithalten. „Unser“ Nashorn war Matti, 1999 geboren und dreifache Mutter. Wir erfuhren zudem, dass fast alle Nashörner im Hegegebiet enthornt wurden, um sie vor Wilderei zu schützen. Matti wirkte ohne Horn keineswegs hässlicher, und wieder einmal fragte ich mich, wieso diese mächtigen Tiere ihrer Hörner wegen getötet werden, die nichts anderes sind als Keratin – wie unsere Finger- und Zehennägel.
Der Rest des Tages war mit Lunch an der Poolbar und einer Sonnenuntergangsfahrt in die felsigen Hügel ausgefüllt. Die Landschaft erstrahlte im späten Nachmittagslicht und beeindruckte uns mit ihren schönsten Farben. Ehrfurchtsvoll und mit gebührendem Respekt schauten wir zu, wie die Sonne hinter dem Horizont versank.
Der Weg von Palmwag Richtung Sesfontein ist die reinste Achterbahnfahrt: voller Senken und Steigungen, Kurven und Verspülungen. Es geht langsam voran, bis die Straße in der Nähe von Opuwo ebener wird. Das abgelegene Städtchen im Kaokoland bietet sich immer zum Tanken und zum Ergänzen der Vorräte an. Zudem ist es ein faszinierender Ort. Himba, Zemba und Hakahona schlendern in traditioneller Tracht durch die heißen, staubigen Straßen und Herero-Frauen schreiten in ihren langen voluminösen Kleidern zwischen modern gekleideten Zeitgenossen daher. Es ist ein Schritt in eine andere Welt, ein Übergang, der sich auf der Weiterfahrt nach Epupa ganz im Norden verstärkt. Dort leben Himba wie schon seit undenklichen Zeiten.
Es schien, als warteten an diesem Sonntagnachmittag alle Anhalter darauf, von mir mitgenommen zu werden. Erst waren es Schüler, die in ihre Schule zurück mussten und dann eine Himba-Frau, die ins nächste Dorf wollte. Wir hatten keine gemeinsame Sprache, mit der wir uns verständlich machen konnten und brachen schließlich in Gelächter aus, als wir jede für sich begriffen, dass wir trotz aller Unterschiede einfach zwei Menschen sind, die auf die gleiche Weise lachen.
Affenbrotbäume am Straßenrand kündigen an, dass man sich Epupa nähert. Aber erst wenn der Kunene gesäumt von Makalani-Palmen in Sicht kommt, weiß man, dass man in der kleinen Siedlung angekommen ist. Die Omarunga Epupa-Falls Camp liegt am Flussufer unter Palmen und versprüht den ganzen Charme von Epupa. Der Wind streicht durch die Palmen, Rosenpapageien mit rosigen Gesichtern flattern zwitschernd von Baum zu Baum, Brillentauben lassen ein zufriedenes Gurren vernehmen und das sanfte Lied der Wasserfälle, ein kurzes Stück flussabwärts, verstärkt die friedliche Träumerei. Zu dem, was Sie an diesem zauberhaften Reiseziel auf keinen Fall versäumen dürfen, gehören ein Sonnenuntergang über den Wasserfällen und ein Besuch in einem Himba-Dorf.
Geleitet von einem Kaokoland-Guide namens Ruiter, der hier in der Region aufgewachsen ist, besuchten wir ein nahe gelegenes Himba-Gehöft. Es war eine aufschlussreiche Erfahrung, mit dem gebotenen Respekt für den Alltag, die Privatsphäre und die Bräuche der dort lebenden Familie. Ruiter führte uns durch das Dorf, erläuterte Traditionen und die Himba-Tracht und brachte uns mit seinen Informationen diese faszinierenden Menschen näher, die in abgelegenen Gegenden leben, aber allmählich von der westlichen Welt beeinflusst werden. Als ich eine der Hütten betrat, fiel mir auf, dass der Zierrat der Frau die Wand schmückte, ähnlich wie bei einer Frau aus der westlichen Welt. Nur war der Zierrat aus anderem Material gefertigt und wurde auf andere Weise präsentiert. Die angenehm temperierte Hütte aus Lehm und Dung fühlte sich kühl, behaglich und bequem an und ich verspürte den Drang, mich zusammenzurollen und einzunicken.
Es fiel mir schwer, Omarunga zu verlassen – diesen friedlichen Ort aus Holz und Riet. Und es fiel mir schwer, Epupa den Rücken zu kehren, wo das Leben in einem anderen und vernünftigeren Tempo zu verlaufen schien. Doch nachdem ich meinen Aufenthalt bereits um einen Tag verlängert hatte, konnte ich meine Abreise nicht länger aufschieben. Unterwegs standen wieder Himba-Frauen am Straßenrand, die per Anhalter mitfahren wollten und mich mit weiteren Erlebnissen bereicherten.
Wieder in Opuwo ging es weiter nach Süden, zuerst nach Kamanjab, dann nach Khorixas. Irgendwer hatte leider auf Zeitraffer geschaltet und meine Reise ging rapide ihrem Ende zu. Die Nacht vor meiner Rückkehr nach Windhoek verbrachte ich in der Damara Mopane Lodge. Es schien, als ginge es auf dieser Fahrt um Oasen unterschiedlicher Art. Zwischen Mopane-Bäumen gelegen hat jedes Chalet dieser Lodge ein Gärtchen mit einer wundervollen Auswahl an Gemüse, samt Vogelscheuche und Sonnenblumen. Die frischen Zutaten machen das Abendessen zum Fest. Die Damara Mopane Lodge ist ein reizvoller Zwischenstopp auf langer Fahrt.
Nach einer erholsamen Nacht hatte ich wieder Teer unter den Reifen und rollte gen Süden, nach Windhoek. Die außergewöhnliche Gelegenheit, weite Landschaften und alte Kulturen zu erleben, hat tiefen Eindruck auf mich gemacht. Es tat mir im Herzen weh, als ich mich der Hauptstadt näherte – die Wildnis rief mich zurück. Wenn ich eine solche Gelegenheit noch einmal haben sollte, werde ich sie mit beiden Händen am Schopfe packen, das wusste ich tief in meinem Inneren. Ich würde zurückkehren und erneut Namibias Wild-West-Rodeo reiten.
Ron Swilling
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