Würde man von Kapstadt bis hinter Keetmanshoop im Süden Namibias eine ein Meter hohe und ebenso breite Betonmauer bauen, bräuchte man die gleiche Menge Beton, wie sie beim Bau des kürzlich eingeweihten Neckartal-Damms westlich von Keetmanshoop verwendet wurde. Für den Bau der Staumauer, die am oberen Kamm 540 m lang und am Boden 60 m breit ist, wurden mehr als eine Million Kubikmeter Beton benötigt. Die Höhe der Staumauer beträgt 82,5 m vom tiefsten Punkt bis zur absturzsicheren Kuppe. Die gesamte Speicherkapazität des Stausees beläuft sich auf 857 Millionen Kubikmeter Wasser. Das ist dreimal so viel wie im Hardap-Damm bei Mariental gespeichert werden kann. Der Neckartal-Damm erstreckt sich 38 km stromaufwärts und hat eine Fläche von 25 km². Der Schwerkraftdamm ist am Fischfluss angesiedelt, 40 km westlich von Keetmanshoop und einige Kilometer nördlich von Seeheim.
Der Damm wird hauptsächlich für Bewässerungszwecke genutzt. Die Regierung plant, 5000 ha für den Anbau von Luzerne, Datteln, Trauben und Gemüse zur Verfügung zu stellen. Das Wasser wird mit einer Geschwindigkeit von 50 m³ pro Sekunde freigesetzt. Dafür sorgen zwei Turbinen mit jeweils einem Durchmesser von drei Metern, die zusammen 3,5 Megawatt pro Stunde erzeugen können. Das Wasser wird 13 km den Fischfluss hinunterfließen, wo es an einem Abstraktionswehr gestaut und in ein neun Kilometer entferntes Reservoir auf einem Hügel gepumpt wird. Von dort aus wird das Bewässerungssystem mit Wasser versorgt. Die notwendige Infrastruktur ist bereits vorhanden.
Am 13. März dieses Jahres (2020) wurde der Neckartal-Damm vom namibischen Vizepräsidenten Nangolo Mbumba offiziell eingeweiht. Die Bauarbeiten hatten am 11. September 2013 begonnen und wurden im September 2019 abgeschlossen. Die ursprünglichen Pläne, an dieser Stelle im Fischfluss einen Damm zu bauen, gehen bis in die deutsche Kolonialzeit zurück.
In den Jahren 1896 und 1897 führte Theodor Rehbock auf Einladung des Syndikates für Bewässerungsanlagen in Deutsch-Südwest-Afrika eine Expedition durch Namibia und Südafrika durch. Dabei wurde er zum Visionär eines Landes, das sich im Laufe der Jahrzehnte eine dauerhaftere Wasserversorgung durch Farmdämme und massive Staudämme in Flussbetten sichern würde. Er entwarf die Pokkiesdraai- und Avispoort-Dämme für Windhoek, Hatsamas bei Dordabis sowie den De Naauwte oder Naute-Damm im Löwen-Fluss südwestlich von Keetmanshoop in der heutigen Karasregion. Ferner plante er ein System von Terrassendämmen im Fischfluss, das mit dem Kommatsas-Nord-Damm (dem heutigen Hardap-Damm) begann und mit dem Kokerboomnaute- oder Neckartal-Damm seinen Höhepunkt erreichte. In seinen beiden Büchern Deutsch-Südwest-Afrika, seine wirtschaftliche Erschliessung unter besonderer Berücksichtigung der Nutzbarmachung des Wassers (Berlin 1898) und Deutschlands Pflichten in Deutsch-Südwestafrika (1904) skizzierte er seine Entwürfe und Pläne zur Finanzierung der Projekte. Für die Dämme waren die einzelnen Farmer verantwortlich, die in Genossenschaften organisiert und von staatlich-geförderten Kreditinstituten unterstützt wurden. Größere Dämme würden staatlich finanziert werden und könnten mit landwirtschaftlichen Genossenschaftskomplexen verbunden werden.
Neckartal und Kokerboomfontein sind die Namen zweier Farmen, die sich außerhalb von Keetmanshoop und dem Berseba-Reservat befinden. Theodor Rehbock, geboren 1864 in Amsterdam, ging in den Niederlanden und in Deutschland zur Schule. In Deutschland studierte er Ingenieurwesen an den Technischen Hochschulen in Berlin und München. Nach seinem Studium war er an renommierten Projekten beteiligt: dem Bau der innovativen Großen Weserbrücke in Bremen und dem Bau des Deutschen Reichstags in Berlin. 1899 wurde Rehbock Professor für Wasserbau in Karlsruhe. In den 35 Jahren, die er dort verbrachte, wurde er durch sein Flussbau-Laboratorium berühmt, in dem er das Verhalten von Wasser testete, bevor er seine Pläne umsetzte. Seine akademischen Verpflichtungen standen nationalen und internationalen Engagements in Spanien, Südamerika (Panamakanal) und Neuseeland nicht entgegen. Er leistete einen wichtigen Beitrag zum Bau des Abschlussdeichs der Zuidersee in den Niederlanden und unterstützte die Pläne zur Schiffbarmachung des Rheins bis zum Bodensee. Er war weiterhin bestrebt, seine namibischen Staudammprojekte in die Tat umzusetzen.
Seine Ideen zur Wasserversorgung des damaligen Deutsch-Südwestafrikas konnten zunächst wegen des Hererokriegs von 1904 bis 1908 nicht verwirklicht werden, unter anderem wegen der enormen Geldsummen, die während des Krieges ausgegeben wurden. Es wurden zunächst landwirtschaftliche Dämme gebaut. Die Pläne für die größeren Dämme wurden erst 1912 genehmigt, jedoch wegen des Ausbruch des Ersten Weltkriegs nie verwirklicht. Seine Visionen gerieten in Vergessenheit, obwohl er als internationale Berühmtheit im Ingenieurwesen galt. Die armen weißen Siedler, die aus dem Süden ins damalige Südwestafrika strömten, erhielten Kredite der Landbank, um auf ihren Farmen Bohrlöcher zu schlagen. Im Jahr 1933, dem Höhepunkt einer Dürre und der globalen Depression, wurden im Rahmen eines Hilfszahlungsprogramms in Avis und im Ovamboland in aller Eile Staudämme gebaut.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und zwischen 1955 und 1969 bauten Otto Wipplinger und Heinz Stengel vom südwestafrikanischen Wasserbauamt viele der heutigen Staudämme in Namibia, wobei sie sich an Rehbocks Ideen und Visionen orientierten. Nach ihrem Ausscheiden wurde es ruhig um die Wasserbauprojekte.
Nun wartet die zweite Phase des Neckartal-Projekts auf seinen Abschluss, um den Damm voll zu nutzen, damit auch die Menschen in der Umgebung davon profitieren. Die Bewässerungslandwirtschaft wird Arbeitsplätze und Ernährungssicherheit schaffen. Ferner kann der Stausee durchaus für touristische Zwecke genutzt werden. Wassersportarten wie Wasserski und Angeln am größten Stausee Namibias könnten zum Anziehungspunkt für viele Touristen werden, ein Aspekt, den Rehbock wahrscheinlich nie in Betracht gezogen hatte. Das verfügbare Wasser kommt auch der Natur zugute. Ein weiteres Paradies für Wasservögel könnte sich in diesem Teil des Landes etablieren.
Manni Goldbeck und Dirk Heinrich
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