Sie ist kühl und hält sich oft bedeckt. Dann wiederum zeigt sie sich gemäßigt lieblich. Ihre Opponenten betiteln sie als unnahbar, „wie eine launische Frau“; die treuen Anhänger hingegen lieben diesen Star. Sie ist inzwischen eine stattliche, alte Dame, aber mit junggebliebenem Herzen. Namibias Perle des Atlantiks: Swakopmund.
September 1892: Drei fensterlose Baracken sind notdürftig am Strand errichtet worden. Hier soll Curt Karl Bruno von Francois, Hauptmann der deutschen Schutztruppe für die Kolonie Deutsch-Südwestafrika, mit sechs Freiwilligen einen Hafen errichten. Nur wovon? Im Westen nichts als Ozean und rings herum nichts als Wüste, Sand, angeschwemmtes Treibholz und Walknochen.
Einige Jahre später: Das „Make-up“ sitzt; die Pioniere haben ganze Arbeit geleistet. Mit Riesenschritten hielt um 1900 die neue Zeit Einzug in Swakopmund, wie diese Siedlung nun heißt.
Margarethe von Eckenbrecher, Autorin und Frau eines deutschen Farmers, berichtet aus der Epoche: „In dieser Einöde haben Menschenfleiß und Ausdauer Unglaubliches geleistet. Windmotore sind in voller Tätigkeit um das Wasser zu pumpen; die größeren Straßen haben gepflasterte Fußwege und Beleuchtung. Vor vielen Häusern sind kleine Gärtchen, die mit unendlicher Sorgfalt gepflegt, spärlich mit kümmerlichen Blümchen die Mühe lohnen.“
Der Swakopmunder ist ein flotter Otto
Ihr Name ist allerdings aus einer weniger „gepflegten“ Benennung entstanden. Die Nama nennen den Platz um die Trockenfluss-Mündung „Tsoa-xou-!gaos“ (Tsoa = anus, Xou = Exkrement und !gaos = mund). Wer schon einmal das Naturspektakel erleben durfte, wenn nach einem anständigen Regenjahr das Swakoprivier braune Wassermassen in den Ozean schiebt, wird’s verstehen.
Zudem schlägt das aus dem Flussbett gepumpte, brackige Wasser mächtig auf den Magen. Schnell macht folgende Aussage ihre Runde: „Entweder man ist ein Swakopmunder oder man hat einen“. Doch kein noch so flotter Otto kann die Entwicklung dieser Stadt stoppen. Dass es in Swakopmund an nichts fehlt und der Swakopmunder nicht auf dem Trockenen sitzen muss, dafür sorgt die Hamburger Woermann-Reederei mit ihrer importierten Ware aus Deutschland. In der Stadt fließt der Schnaps in Strömen und Ochsenwagen um Ochsenwagen halten Einzug, um wieder mit den Handelsgegenständen ins Inland abzufahren. Plötzlich herrscht ein solch reger Verkehr, dass sich die Behörden 1897 veranlasst sehen, mittels einer Verordnung die Störung der Sonntagsruhe zu unterbinden.
Die Sonntagsruhe ist bis dato geblieben. „Die Straßen sind wie ausgestorben. Nur ein paar Kirchgänger sind unterwegs. In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Poststraße beginnt gleich der Gottesdienst. Die Kirche im neubarocken Stil könnte in Bayern stehen. In der Tat wurde sie von einem bayerischen Regierungsbaumeister namens Otto Ertl entworfen.” Ein Bericht von Henning von Löwis, Radiomoderator des Westdeutschen Rundfunks, anlässlich Swakopmunds 90-Jahrfeier.
Mit den Jahren entwickelt sich Swakopmund zu einer der faszinierendsten Städte Namibias, allein wegen der alten Kolonialgebäude, die Gott sei Dank heute alle unter Denkmalschutz stehen und Anziehungspunkt für Touristen geworden sind. Swakopmund ist „Deutscher als Deutsch“, ein „Vorort Hamburgs“. Ihre Bewohner und die Urlauber profitieren in erheblichem Maße davon. Im Café Anton gibt es Baiser mit frischen Erdbeeren und Schlagsahne, im Swakopmund Brauhaus Eisbein und im eleganten Hansa Hotel saisonbedingt frischen Spargel mit Schinken.
Das südlichste Seebad Deutschlands
„Ein erfrischendes, kühles Bad im Meer, die staubfreie Meeresluft, heilende Sonnenstrahlen tragen dazu bei, einer müden Seele und überreizten Nerven einen tiefen, erholsamen Schlaf, Vitalität und Lebensfreude zu bringen“, wirbt die Küstenstadt 1948 im SWA-Jahrbuch um Gäste und verspricht eine vollständige Genesung. „Dies sind die wohltuenden Wirkungen und die gesundheitsfördernden Vorteile eines Besuchs in Swakopmund, dem Seebad Südwestafrikas, zusammen mit dem außerordentlich günstigen Einfluss seiner natürlichen, medizinischen Quellen auf diejenigen, die gesund, krank oder in Not sind und Erholung brauchen.“
Eigentlich wollte Swakopmund eine Schulstadt werden, aber die südafrikanische Mandatsregierung behandelt ihre deutschen Bewohner stiefmütterlich. Der Hafenversuch „Mole“ bleibt versandet, die Landungsbrücke „Jetty“ brach liegen. Es dauert auch eine Weile, bis endlich das Staatskrankenhaus gebaut oder eine kleine Flugzeug-Landebahn genehmigt wird. Immer wieder heißt es: „Braucht Swakopmund nicht, sie hat doch den guten Nachbarn Walvis Bay.“ Mit 7000 Einwohnern im Jahr 1967, was will man da auch groß investieren?
Ein neuer Köder im SWA-Jahrbuch soll locken: „Swakopmund – der Urlaubsort von Südwestafrika bietet an: ein liebliches, gemäßigtes Klima, einen ausgedehnten Badestrand, Erholungseinrichtungen für Alt und Jung und Anglerparadies.“
Das ist es. Jetzt flüchten nicht nur die Regierenden mit ihren Akten aus dem heißen Windhoek in die Küstenstadt, auch so manch Inländer fühlt sich plötzlich zu Swakopmund hingezogen. Da nimmt man auch die wiederkehrenden Erkrankungen der Verdauungsorgane in Kauf. Allein im Dezember 1971 verbucht die Stadt 17 972 Urlauber.
„Der erste Besuch nach langer, glühender Fahrt durch die Wüste galt immer der Jetty“, sagt Almuth Styles, Inhaberin von „Namib i“, dem Tourismus-Informationsbüro in Swakopmund. „Erst einmal Seeluft schnuppern.“ Schon als Kind habe sie sich geschworen, „wenn ich groß bin, ziehe ich nach Swakopmund“. Und das, obwohl sie als Teenager des Öfteren ihre Ferien im Prinzessin-Rupprecht-Heim verbringt und es dort „eklig schmeckenden Fisch“ zu essen gibt. Fisch isst sie seitdem nicht mehr, nach Swakopmund ist sie dennoch gezogen.
Wilfried Groenewald ist gebürtiger Swakopmunder. Sein Urgroßvater Adolf Winter kommt mit einer Mark und 50 Pfennig ins Land und baut 1925 auf eine Klippenbank den wohl größten Tisch der Welt: die Guanoinsel Bird Rock. Groenewald ist Ratsherr, setzt sich für die Belange seiner Heimatstadt ein und sagt von ihr: „Nicht alles ist ideal, so wie ich es mir vorstelle und auch wünsche, aber wir Ratsherren sind bemüht und dürfen Swakopmund, den Afrikastandarden entsprechend, immer noch als überdurchschnittlich gut betiteln.“
Und dank einer Entsalzungsanlage ist das brackige Wasser aus dem Swakoptal inzwischen kalter Kaffee. Das Leitungswasser sei genauso gut wie das abgefüllte Flaschenwasser aus dem Supermarkt, behauptet die Stadt.
Eine Leiche im Keller
Malerisch, romantisch verzückt, harmonisch, stilvoll, sauber und kultiviert sind nur ein paar Attribute, die aber alle auf Swakopmund passen. Selbst während in den 70er und 80er Jahren und besonders im Norden des Landes der Kampf um die Unabhängigkeit tobt, lebt Swakopmund idyllisch vor sich her. Einmal jedoch springt der Funke politischer Gewalt in die Küstenstadt über. Im betriebsamen Bäckerladen und Putensen Café des Inhabers Paul Pohl explodiert 1978 eine Bombe. Zwischen 80 und 100 Personen befinden sich zu dem Zeitpunkt im Laden. Schock, Bestürzung und Entsetzen unter den Bewohnern. Zum Glück kommt niemand zu Tode. Das Gebäude wird als Café Treffpunkt wieder aufgebaut.
Keine weiteren Leichen im Keller? Doch, eine gibt es. Die Erzählung von Doc Wotan Swiegers, der kürzliche verstorbene Mediziner und eine Swakopmunder Persönlichkeit. Er meinte immer so ein bedrückendes Gefühl gespürt zu haben, wenn er alleine in seiner damaligen Praxis im Bismarck Medical Centre saß. Als sei da etwas „herumgegangen“. Als das Zentrum renoviert und der Boden seines Büros herausgerissen wird, machen die Bauarbeiter eine grausige Entdeckung. Das Skelett einer Frau liegt im Sand vergraben. Die Polizei wird gerufen, doch recht schnell findet das forensische Institut heraus, dass es sich bei dem Fund um sehr alte Knochen handelt – wohl aus der Anfangszeit, als die Gemäuer noch ein Hotel waren. Die Kripo legt den Fall zu den Akten, doch Swiegers forscht weiter. War die Frau etwa ein Opfer von Jack the Ripper? Denn dieser Schurke soll ja zwischen 1905 und 1906 nicht nur in Windhoek, sondern auch in Swakopmund sein Unwesen getrieben haben. Das zumindest behauptet der Historiker Charles van Onselen. Mit der Umbettung der alten Knochen sei bei Swiegers im Büro ganz plötzlich Ruhe eingekehrt.
Es gibt noch so viele Geschichten über die Küstenstadt und ihre Bewohner. Lustige Überlieferungen, unglaubwürdig aber wahr, aus der Gründerzeit, aus den Kriegsjahren und danach. Viele Bücher berichten inzwischen über Swakopmunds Leben, und ihr einmaliges Museum lädt förmlich zu einem Besuch ein. Eines bleibt gewiss. Die Swakopmunder halten zusammen. Als die 1920er Rezession viele Familien in bittere Not stürzt, sitzen die Männer an der Straßenecke und kloppen Skat. Wer die Runde gewinnt, bekommt den Auftrag. Mit Tauschgeschäften halten sie sich über Wasser. „Besorg du mir ein paar Säcke, dann bekommst du von mir das Salz.“
Die Perle des Atlantiks, einst als verschlafenes Städtchen verschrien, ist heute lebendiger denn je. Wenn man oben auf dem Woermann-Turm über die Dächer Swakopmunds schaut und die vielen kleinen Türmchen betrachtet, die zusätzlich den Charakter der Stadt prägen, kann man nur bestätigen: das „Make-up“ sitzt. Die Pioniere haben wirklich ganze Arbeit geleistet, aus diesem einst unbewohnbaren Fleckchen Erde diese Oase zu schaffen.
Kirsten Kraft
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