Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" feiert in diesem Jahr (2017) sein 70-jähriges Bestehen - und klopft sich für seine investigative Berichterstattung kräftig auf die Schulter. Seine Leser/innen in Namibia nehmen das Eigenlob eher kopfschüttelnd zur Kenntnis. Manch Namibia-Bericht war wenig investigativ, wenn nicht gar bewusst falsch...
"Die Deutschen müssen raus!", heißt es reißerisch auf der Titelseite des Spiegel vom 1. November 1976. In der zwölf Seiten langen Titelstory ist von einem Beschluss der UNO die Rede, demzufolge Südwestafrika/Namibia "in zwei Jahren unabhängig werden" soll. "Dann spätestens wird die achtfache farbige Mehrheit die Macht (...) übernehmen" und "weiße Afrikaner, die dort geboren sind und das Land als ihre Heimat ansehen, müssen weichen".
Die Titelseite sorgt heute für Schmunzeln in der Redaktion der Allgemeinen Zeitung, wo sie als Schwarzweiß-Kopie neben anderen kuriosen Relikten der Vergangenheit die Wand im Büro von Chefredakteur Stefan Fischer ziert. Der Journalist ist nur einer von Hunderten in Namibia, die die Druck- und Online-Ausgaben des Spiegel wahrnehmen. Bei vielen, die die selbstzufriedenen Passagen in der Jubiläumsausgabe zum 70-jährigen Bestehen lesen, geht das Schmunzeln in stirnrunzelndes Kopfschütteln über.
"Sagen, was ist", wird der Ausspruch des Gründers Rudolf Augstein zitiert, der als tägliche Mahnung für die Redakteure "in metallenen Lettern in der Eingangshalle des Hamburger Spiegel-Gebäudes" stehe. "70 Jahre, das sind (...) 378 000 Artikel, die von rund 2 000 Redakteuren verfasst, von rund 500 Dokumentaren verifiziert und von 27 Chefredakteuren verantwortet wurden."
Die Ausweisung oder Flucht der auf rund 30.000 bezifferten Deutsch-Stämmigen erweist sich noch in den 1970er Jahren als wilde Spekulation, also als Gegensatz von dem, was ist. Unreflektiert und ohne auf gravierende Unterschiede zu achten, schließt der Spiegel von den kurz zuvor unabhängig gewordenen Kolonien Angola und Mosambik, aus denen insgesamt 450.000 Portugiesen geflohen waren, auf Namibia.
Auch bezeichnet der Bericht die Deutsch-Stämmigen in Bausch und Bogen als arrogant und rassistisch, obwohl einige unter ihnen bereits damals der Befreiungsbewegung Swapo angehören. Die eingefügte verzerrte Darstellung der Kolonialgeschichte gipfelt in der grob falschen Aussage, deutsche Farmgründer "nahmen sich (...) das Vieh bei den Schwarzen". Gründliche Recherche? Verifizierung?
28 Jahre später. Namibia ist seit 14 Jahren unabhängig und die Swapo an der Regierung, der Massenexodus der Deutsch-Stämmigen ist ausgeblieben, im Gegenteil: Viele Deutsche sind eingewandert, einige Namibia-Deutsche sind Minister. Im Juli 2004 berichtet der damalige Afrika-Korrespondent des Spiegel, Thilo Thielke, unter dem Titel "Kriegstrommeln in Südwest" über die Enteignung eines deutsch-stämmigen Farmers. Auch er verzerrt das Bild, nennt falsche Fakten (heute Fake News genannt) und stilisiert den Fall zum Paradebeispiel für eine ihm zufolge wahnwitzige Bodenreform - um die es jedoch hierbei gar nicht geht, wie ihm ein Experte vor Ort ausdrücklich erklärt hat.
Und welche Kehrtwende: Der Spiegel stellt sich nun auf die Seite des deutschen Farmers, der nach einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Konflikt mit seinen Arbeitern enteignet wird. Unabhängig davon, ob dies rechtens ist oder nicht: Die Millionenentschädigung bleibt ebensowenig unerwähnt wie die Sicht der Arbeiter, die der Farmer von der Farm verwiesen hatte.
Darüber hinaus stellt Thielke Swapo-Chef Sam Nujoma, seit der Unabhängigkeit 1990 Präsident Namibias, unterschwellig als irrationalen Wilden dar und bemüht sogar das Vorurteil vom mega-potenten Afrikaner: Der Obelisk zum Gedenken an die Opfer des Befreiungskampfes auf dem Heldenfriedhof am Südrand der Hauptstadt Windhoek werde von den Deutsch-Stämmigen als "Gedenkphallus" und "Nujomas letzte Erektion" verspottet. Obwohl rhetorisch geschickt als indirektes Zitat eingewoben, ist das genüssliche Grinsen des Autoren - und mit ihm des Spiegels - über den sexistischen und rassistischen Tiefschlag nicht zu übersehen.
"Lügner müssen Lügner genannt werden", heißt es im Leitartikel der Spiegel-Jubiläumsausgabe: "Rassisten sind zu entlarven als das, was sie sind. Auch Facebook und Twitter sind zu beschreiben: als manipulative Medienkonzerne, die Verantwortung tragen für das, was sie verbreiten."
In einem offenen Brief an die Redaktion weist Gondwana den Spiegel im Juli 2004 ausführlich auf seinen manipulativen Bericht voller rassistischer Untertöne hin und auf seine Verantwortung für das, was er verbreitet. Ein offener Brief deshalb, weil sich Gondwana auch in den Medien Namibias ausdrücklich von dem Bericht distanzieren will. Das Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter aller Volksgruppen, die im Blick auf ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten, und wünscht sich dies auch für die gesamte Gesellschaft Namibias. Der Spiegel dagegen stellt die Deutsch-Stämmigen fälschlich als Sondergruppe dar, die sich dem gemeinsamen Ziel des sozialen Friedens durch Umverteilung gegen Entschädigung widersetzt und die Regierung verspottet. Autor und Redaktion des Spiegel bleiben eine Antwort schuldig - bis heute.
Nun sind dies nur zwei Berichte, die der Spiegel in den 70 Jahren seines Bestehens veröffentlicht hat, und unter den 378.000 Artikeln sind auch ausgewogenere zu Namibia. Die Verdienste des Nachrichtenmagazins für "Freiheit, Aufklärung und Demokratie", vor allem in Deutschland, sollen an dieser Stelle nicht geschmälert werden. Allerdings muss auch der Spiegel immer wieder einen kritischen Blick in den Spiegel werfen.
Das gilt besonders für die Auslandsberichterstattung, bei der die Hauptleserschaft in Deutschland im Gegensatz zu Inlands-Themen weniger oder kaum die Möglichkeit hat, die Informationen zu überprüfen. Mittlerweile hat der Spiegel mit Bartholomäus Grill einen neuen Afrika-Korrespondenten, der seit Jahrzehnten in verschiedenen Ländern des Kontinents arbeitet und sich auch mit dem Buch "Ach, Afrika" einen Namen gemacht hat.
Sein Bericht "Gab es wirklich einen Völkermord an den Herero?" im Juni 2016 sorgt für heftige Kritik, weil er sich hauptsächlich auf einen Hobby-Historiker stützt, der zugleich Zehntausende Hektar Farmland am Waterberg besitzt, das Hereros abgenommen worden war. Anerkannte Historiker, die die Kernfrage längst bejaht haben, werden kaum zitiert.
Zudem erscheint der Artikel just, als auch die deutsche Regierung das Vorgehen des Kaiserreiches gegen Herero und Nama als Völkermord anerkennt und damit den Boden für den Dialog mit Namibia zur Bewältigung der gemeinsamen Vergangenheit ebnet. Im Gespräch mit Gondwana betont Grill später, es habe vor allem vor der inflationären Verwendung des Begriffs warnen wollen - denn der Massentod der Herero und Nama war in der Tat nicht in dem Maße geplant und herbeigeführt worden wie der der Juden im Dritten Reich.
In einem Essay in der Jubiläums-Ausgabe des Spiegel zeichnet Grill unter dem Titel "Der K-Kontinent" ein düsteres Bild von Afrika: "K für Katastrophen, Kriege, Krankheiten, Korruption". Positive Entwicklungen wie in Namibia kommen nicht zur Sprache: Hier herrscht Frieden und Sicherheit, wird Korruption öffentlich angeprangert und floriert nachhaltiger Tourismus, der Arbeitsplätze schafft und Naturschutz finanziert. Nicht zu vergessen die Pressefreiheit: Laut "Reporter ohne Grenzen" liegt Namibia weltweit auf Platz 24 und in Afrika auf Platz 1.
Trotz - oder besser: MIT - diesem kritischen Beitrag möchte Gondwana dem Spiegel in seinem 70sten Jubiläumsjahr alles Gute wünschen. Auf die nächsten 378.000 Artikel, darunter Beiträge mit einem ausgewogenen Spiegel-Bild von Namibia.
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