Mitte Mai rief mich die Windhoekerin Nadja Visagie an und sagte mir, dass ihr Schwiegervater eine kleine verletzte Eule mit einem Ring am Bein zu ihr gebracht habe. Er hatte das Käuzchen morgens vom Jan-Jonker-Weg in Klein Windhoek aufgehoben. Ich kannte Nadja, weil wir vor einigen Jahren Geierküken auf der Farm ihres Vaters beringt hatten. Sie fragte, ob ich den kleinen Raubvogel in Pflege nehmen wollte.
Zu Hause stellte ich fest, dass ich diesen Perlkauz, Ringnummer 5H63061, zusammen mit seinem Partner, Ringnummer 5H63062, selbst im Juni letzten Jahres bei mir zu Hause (in der Nähe des Postamts von Klein Windhoek) beringt hatte.
Wahrscheinlich war Perlkauz 5H63061 mit einem Fahrzeug zusammengeprallt. Sein linkes Auge schien geschwollen und er hielt es geschlossen. An einigen Federn war etwas Blut, aber es gab keine sichtbaren Verletzungen. Weder an den Flügeln noch an den Beinen konnte ich Brüche feststellen. Vorsichtshalber rief ich jedoch Liz Komen bei NARREC (Namibia Animal Rehabilitation Research and Education Center) an, die bereits unzählige Raubvögel jeder Art und Größe rehabilitiert hat. Sie befand sich gerade in Südafrika auf einer Konferenz in Kapstadt und riet mir, den verletzten Vogel in einen abgedunkelten Behälter zu setzen und ihm etwas zu fressen zu geben. Wenn er fresse, sei dies ein gutes Zeichen!
Ich packte den ausgewachsenen, aber nur 80 Gramm schweren Perlkauz in einen kleinen Karton und legte ihm eine tote Maus vor. Nach einer Stunde war die Maus immer noch da. Zwei Stunden später hatte er sie gefressen. Am nächsten Tag bekam der Perlkauz erneut eine tote Maus. Nach einer Stunde war sie verschwunden. Das Gleiche wiederholte sich am Donnerstag und Freitag. Inzwischen schien das Auge abgeschwollen: Der Kauz sah mich mit beiden Augen an, wenn ich den Deckel des Kartons öffnete, blieb aber ruhig sitzen.
Doch als ich ihn am Samstagnachmittag einer Bekannten zeigen wollte, war der Karton leer. Nur drei kleine Gewölle lagen darin. Nirgendwo in der Garage war der kleine Kerl zu entdecken. Entweder versteckte er sich in dem vollgepackten Raum, oder er war durch die offenen Oberlichter entkommen. Oder er war davongeflogen, als ich morgens aus der Garage fuhr.
Am späten Montagnachmittag hörten wir einen Perlkauz in der Nachbarschaft rufen. Ich stellte ein Netz auf. Der Kauz kam zwar näher, flog aber nicht in das Netz. Tags darauf riefen zwei Perlkäuzchen in unserem Garten. Einer konnte nach einer halben Stunde gefangen werden. Er trug einen Ring – 5H63062! Der zweite saß in einem großen Kameldornbaum. Immer wieder flog er über das Netz in den nächsten Baum. Schließlich saß er nur noch wenige Meter entfernt und hing nach weiteren 20 Minuten endlich im Netz. Es war 5H63061! Er war wohlauf, konnte wieder fliegen und hatte seinen Partner wiedergefunden. Fast jeden Tag hören wir die beiden Perlkäuzchen in der Nachbarschaft oder in unserem Garten rufen. Dabei werden sie von aufgeregten Maskenbülbüls und Trauerdrongos lauthals begleitet.
Ohne den Ring mit der Nummer 5H63061 hätten wir nie etwas über den Perlkauz, der auf der Straße saß, gewusst; auch nicht, ob er noch lebte, nachdem er geflüchtet war.
Dirk Heinrich
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