Die unberührte Natur und geradezu mystische Schönheit von Namibias Nordwesten fasziniert jeden, der sie erlebt und man spürt die Millionen Jahre alte Geschichte unsere Erde unmittelbar.
Das Gestein ist uralt, Geröll von längst erodierten Bergen bedeckt ganze Flächen.
Neuerdings trifft man dort auf menschenähnliche Gestalten hie und da am Wegesrand – auf einem Felsen nachdenklich sitzend, oder stehend auf einem Stock gestützt, oder an einem Baumstamm angelehnt.
Es sind Stein(zeit)- Menschen, männliche Figuren kunstvoll aus Steinen der Umgebung geformt und mit Rundeisen zusammengehalten.
Die Begegnung zwischen den Reisenden und den fast lebensgroßen Steinmännern ist zwar einseitig, aber doch gewissermaßen interaktiv. Man staunt und ist fasziniert, berührt die – übrigens angeketteten - Figuren und tastet sie ab, fragt sich selbst und die Mitreisenden, warum sie mitten im Nirgendwo hingestellt wurden, was der Sinn dahinter sein könnte.
Die stummen Gestalten regen Gemüt und Gehirn an und sorgen bei der Weiterfahrt jedenfalls für Gesprächsstoff. Man setzt sich also mit diesen steinernen Figuren auseinander. Die aufgenommenen Fotos und „Selfies“ werden später online auf sozialen Medien veröffentlicht.
Wollte der Künstler das bezwecken? Nur für Selfies und dann weiterfahren? Das wäre zu schade und zu oberflächlich. Sollen die Steinfiguren sozusagen die Seele der Menschen berühren und zum Nachdenken über den Sinn des Lebens und die Zukunft der Menschheit anregen? Man weiß es nicht.
Der Künstler will anonym bleiben
Das Pseudonym des Künstlers ist „RENN“. Er soll kaukasischer Herkunft sein, über sechzig Jahre alt, im Tourismussektor arbeiten und recht spät im Leben sein künstlerisches Talent entdeckt haben. Diejenigen, die wissen, wer RENN ist, schweigen und hüten sein Geheimnis.
Erschafft er diese Figuren allein und ohne Hilfe vor Ort? Dann wären Reisende ihm sicher schon begegnet. Die steinernen Skulpturen wirken wie hingezaubert, vielleicht stellt ihr Schöpfer sie nachts hin?
RENN gibt weiterhin Rätsel auf. Kunstwerke sind wichtiger als ihre Schöpfer, scheint seine Devise zu sein.
Im Jahr 2014 sind diese steinernen Skulpturen zum ersten Mal gesichtet worden, auch in Windhoek, doch leider blieben sie in der Hauptstadt nicht vom Vandalismus verschont.
Die Figuren in der Kunene-Region, zu der Damaraland und Kaokoland gehören, wirken einsam. Faszinierend sind sie allemal, auch wenn manche Kritiker meinen, sie stören die Erhabenheit der Landschaft und verschandeln sie.
Von Namibia zur Biennale in Venedig
Ein italienischer Berater für den Bau von Tourismus-Lodges in Namibia seit 2014 hat informierten Kreisen zufolge die Kontakte zu den Veranstaltern der berühmten Biennale in Venedig, eine internationale Kunstausstellung in der italienischen Lagunenstadt, hergestellt.
Zum ersten Mal ist Namibia auf der La Biennale di Venezia vertreten mit einem namibischen Pavillon auf der Insel La Certosa. Nur RENNs Skulpturen sind dort zu besichtigen - bis zum 27. November 2022.
Der Ausgangspunkt des Pavillons ist eine dokumentarische Fotoausstellung im alten „Castello delle Polveri“ auf der Insel. Es zeigt eine Auswahl von 23 Fotografien, die einige Skulpturen von RENN darstellen und das Projekt bildhaft erläutern. Die Ausstellung beherbergt auch einige abstrakte Skulpturen, die von RENN mit wiederhergestelltem Material auf der Insel geschaffen wurden, einschließlich der Lebenskreise und der Metamorphose.
Die Ausstellung wird im Park des alten Castello fortgeführt und lädt die Besucher zu einer „Jagd nach Kunst“ auf der Insel ein. Zu finden sind einige Steinmänner, die rund 11.000 km von Namibia nach Venedig transportiert wurden.
Die Gestaltung des namibischen Pavillons bei der 59. Biennale ist dem Katalog der Ausstellung zufolge eine künstlerische Zusammenarbeit zwischen RENN und dem kreativen Duo Amebe. Dies ist die allererste Ausstellung von RENNs Werken. Das Motto des Pavillons lautet „eine Brücke zur Wüste“ – obwohl der Nordwesten Namibias bis auf den schmalen Küstenstreifen keine Wüste ist.
Kritik von namibischen Künstlern
Einige namibische Künstler haben sich öffentlich enttäuscht gezeigt, dass nur ein einziger Künstler bei der ersten Beteiligung des Landes an der Biennale in Venedig dabei ist. RENN sei in der namibischen zeitgenössischen Kunstszene unbekannt, seine Skulpturen seien vorher „nie in irgendeiner Galerie oder einem Museum gezeigt“ worden.
Namibias Kunst-Debüt in Venedig sei daher „schlecht konzeptualisiert und unangemessen“, heißt es in einer Online-Petition. Es hätten mehrere und vor allem bekannte namibische Künstler eher verdient, in Venedig dabei zu sein. Beigefügt ist eine Grafik mit dem Schriftzug „Nicht unser namibischer Pavillon“.
Wie dem auch sei, die einsamen Steinmänner von RENN im Nordwesten Namibias faszinieren viele Menschen und sind beliebte Fotomotive, die auf sozialen Medien weltweit für Erstaunen und digitalen Gesprächsstoff sorgen.
In Venedig sind einige der Skulpturen noch bis zum 27. November 2022 auf der Biennale zu sehen.
Autorin dieses Beitrags ist Brigitte Weidlich.
Sie war nach ihrem Musik- und Germanistikstudium fast 20 Jahre lang als Berufsmusikerin tätig. Nebenbei machte sie Sendungen für das deutschsprachige Radio der Namibian Broadcasting Corporation (NBC). Inzwischen arbeitet Brigitte vollberuflich als freischaffende Journalistin im Print- und Rundfunksektor. Seit 2014 berichtet sie auch für Gondwana Collection. Für Fragen oder Anregungen ist sie zu erreichen unter info@namibiafocus.com.
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