Im Oktober 2022 hatte er in seiner Pressemitteilung noch dick aufgetragen: Das Rätsel der Feenkreise in der Namib sei endgültig gelöst. Nicht Termiten würden die kahlen Kreise erzeugen, sondern die Gräser selbst. Das würden seine jüngsten Untersuchungen belegen, so Dr. Stephan Getzin damals (siehe Veröffentlichung "Plant water stress, not termite herbivory, causes Namibia’s fairy circles"). Getzin ist in der Abteilung für Ökosystem-Modellierung an der Universität Göttingen tätig.
Bei seinem Vortrag in Windhoek am vergangenen Donnerstag konnte der Ökosystem-Modellierer nun jedoch nicht einmal erklären, wie ein Feenkreis konkret entsteht und wie er wächst. Erkenntnisse der Feenkreisforschung, die die konkurrierende Termiten-Theorie stützen, verschwieg er. Ebenso die Vorab-Veröffentlichung zweier Experten, die seine Schlussfolgerungen von Oktober 2022 wissenschaftlich widerlegen.
Vor rund 45 Besuchern im Saal der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft hält Ökosystem-Modellierer Dr. Stephan Getzin seinen Vortrag über die Feenkreise der Namib. Foto: Sven-Eric Stender
Getzin bot einen Rückblick auf mehr als zwei Jahrzehnte der Forschung zu den kahlen Kreisen in den Grasflächen am Ostrand der Namib. Auf drei Erklärungen ging er näher ein, zwei davon bezeichnete er als entkräftet: die Euphorbien- und die Termiten-Theorie.
Dass Rückstände giftiger Euphorbien die Ursache sein könnten, hatte die Forschung eigentlich schon vor Jahren ausgeschlossen. Denn es gibt Feenkreis-Gebiete, so stellte auch Getzin fest, in denen Euphorbien nicht vorkommen und auch nicht vorkamen.
Fake Facts zu Termiten
Bei seiner "Widerlegung" der Termiten-Theorie griff Getzin auf Argumente zurück, die sich in der Forschungsdebatte bereits als falsch erwiesen hatten. Termiten würden nur totes Pflanzenmaterial fressen, so Getzin mit einem Zitat der Namib-Expertin Mary Seely von 1994. Das Laborexperiment der Biologin Kelly Vlieghe (siehe Veröffentlichung "Herbivory by subterranean termite colonies and the development of fairy circles in SW Namibia" von 2014) dagegen verschwieg er. Dies hatte bewiesen, dass die Sandtermite Psammotermes allocerus Teile lebender Gräser frisst.
Getzin zeigte außerdem Fotos von jungen Graspflanzen, die in den Kreisen abgestorben waren, und behauptete, die Wurzeln würden keinerlei Fraßspuren aufweisen. Einwände, man brauche vielleicht ein Mikroskop, um mögliche fatale Schäden mit Sicherheit auszuschließen, wischte er als "neue Ausreden der Termiten-Theoretiker" vom Tisch.
Wie in seiner Veröffentlichung vom Oktober 2022 betonte der Ökosystem-Modellierer, in keinem seiner untersuchten Kreise seien Termiten zu finden gewesen (siehe Aufzeichnung der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft auf YouTube bei 28:44). Konfrontiert mit einem Termiten-Nest, das ein Besucher frisch aus einem Feenkreis in der Namib mitgebracht hatte, räumte er auf Nachfrage plötzlich ein, sehr wohl Sandtermiten gefunden zu haben (siehe Aufzeichnung bei 1:11:28).
Aber "correlation is not causation", machte er nun geltend. Ein durchaus berechtigter Einwand: Die Tatsache, dass man in den Feenkreisen Sandtermiten findet, heißt noch nicht, dass sie sie auch tatsächlich verursachen. Auf Hinweise und Belege, die Termiten-Theoretiker mittlerweile gesammelt haben, ging der Ökosystem-Modellierer nicht ein.
Fake Facts zu Gräsern
Im dritten Teil seines Vortrags präsentierte Getzin seinen Erklärungsversuch, die Kahlstellen würden sich bei Wassermangel durch Selbstorganisation der Gräser bilden. Dabei stützt er sich auf ein Modell des britischen Mathematikers Alan Turing, mit dem sich die Muster der Feenkreise und ihre kreisrunde Form nachbilden lassen.
Die Grundannahme für die Anwendung dieses Modells auf die Feenkreise der Namib jedoch stößt bereits beim Laien auf erhebliche Zweifel: Die Gräser außerhalb der Kreise, so der Ökosystem-Modellierer, würden mit ihren Wurzeln eine Sogkraft entwickeln, die jungen Gräsern innerhalb des Kreises das Wasser entziehe.
Ist dieser horizontale "Fluss" der Feuchtigkeit über mehrere Meter belegt? Schließlich gibt es Feenkreise mit mehr als zehn Metern Durchmesser. Getzin verweist auf Nachfrage von NamibiaFocus - wie schon im November (siehe Bericht "Jüngste Lösung des Feenkreis-Rätsels: Eine Ente") - auf den Biologen Michael Cramer von der Universität Kapstadt. Cramer, übrigens kein Bodenkunde-Spezialist, habe dies in einem Experiment nachgewiesen.
Experten dagegen schütteln den Kopf: Dies widerspricht jeglicher Theorie und Erkenntnissen der Bodenkunde (siehe Vorab-Veröffentlichung "Sand termite herbivory, not plant water stress, causes Namibia's fairy circles" von Januar 2023, S. 4 - 6). "Facts are facts", beharrt der Ökosystem-Modellierer.
Auf die erste Frage aus dem Publikum, wie denn der Prozess der Entstehung eines Feenkreises abläuft, kann Getzin nicht konkret antworten. Stattdessen versucht er es abstrakt (siehe Aufzeichnung bei 1:01:54). Auch dass ein Kreis wächst, indem STARKE Gräser am Rand sterben, aber nicht die SCHWÄCHEREN Gräser weiter außen, die im Gegenteil erstarken, kann der Ökosystem-Modellierer nicht erklären (siehe Aufzeichnung bei 1:23:52). Denn der von ihm ins Feld geführte generelle Wassermangel würde die schwächeren Gräser natürlich zuerst absterben lassen und die stärkeren Gräser zuletzt. Worauf seine Erklärung der Feenkreise ja letztlich beruht.
Widerlegt die Erklärung der Selbstorganisation von Gräsern: Gewachsener Feenkreis mit Büscheln abgestorbener Gräser des ehemaligen Luxusgürtels. Bei allgemeinem Wassermangel hätten sie aufgrund ihrer Stärke und fehlender Konkurrenz auf einer Seite länger überleben müssen als die Gräser weiter außen in der Matrix, die jetzt den neuen Luxusgürtel bilden. Foto: Norbert Jürgens
Selbstorganisations-Erklärung wissenschaftlich widerlegt
Im Januar hat das Wissenschaftsjournal PPEES, bei dem Getzins Studie erschienen war, vorab eine wissenschaftliche Antwort von Feenkreis-Experte Prof. Norbert Jürgens und Bodenkunde-Spezialist Dr. Alexander Gröngröft von der Universität Hamburg veröffentlicht (siehe "Sand termite herbivory, not plant water stress, causes Namibia's fairy circles" von Januar 2023). Sie entzieht seiner Selbstorganisations-Erklärung die theoretische und faktische Grundlage.
Auch legt sie einen Widerspruch zwischen seinen Messungen und seinen Schlussfolgerungen offen, der ihm, seinen Co-Autoren und den Gutachtern des Wissenschaftsjournals PPEES eigentlich nicht hätte entgehen dürfen. Eine der Co-Autoren ist Getzins Chefin, Prof. Kerstin Wiegand. Übrigens gehört sie auch der Kernredaktion des Journals ("Editors in charge") an und ist Fachgutachterin für Ökologie an der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Studie Getzins gefördert hat (Grant No. 433057155).
Hier die Punkte, die Jürgens und Gröngröft ausführlich begründen, in Kurzfassung:
1. Getzin widerlegt sich selbst. Seine Messungen zeigen, dass der Boden im Feenkreis stets ähnlich feucht oder feuchter ist als außerhalb, in der Matrix. Daher kann Wassermangel nicht die Ursache für das Sterben junger Gräser im Kreis sein.
Übrigens liefern Getzins Messungen (2020 bis 2022, in 20 cm Tiefe) keine neuen Erkenntnisse, sondern bestätigen die Messwerte von Jürgens (2008 bis 2013, in vier Bodentiefen), ohne dies im Text anzugeben. Ein klarer Verstoß gegen Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens.
2. Getzins Grundannahme, Gräser außerhalb der Kahlflächen würden die Feuchtigkeit aus dem Boden der Kreise heraussaugen, widerspricht Theorie und gesammelten Daten der Bodenhydrologie. Die Feuchtigkeit "fließt" nicht binnen weniger Tage mehrere Meter weit in horizontaler Richtung - und schon gar nicht fünf Meter, wie das in Feenkreisen von mehr als zehn Metern Durchmesser nötig wäre.
3. Wie Getzin beschreibt, in Bestätigung der Beobachtungen von Jürgens, sterben die jungen Gräser im Kreis sehr früh, obwohl selbst die oberflächennahe Schicht dann noch feucht ist. Wassermangel kann daher nicht die Ursache für das Sterben sein.
4. Die Annahme, dass die Gräser außerhalb des Kreises die Feuchtigkeit heraussaugen, würde auch bedeuten, dass das Gräser-Sterben im Kreis von außen nach innen erfolgt. Es vollzieht sich jedoch vom Zentrum des Kreises nach außen hin.
5. Selbst dort, wo Getzin keine Sand-Termiten gefunden haben will, gibt es sie, wie mehrere, auch unabhängig von Jürgens durchgeführte Studien und sogar PhD-Projekte der Universität Kapstadt nachgewiesen haben. Die entsprechenden Publikationen werden von Getzin in seiner Veröffentlichung nicht zitiert.
Feenkreise mit ausgeprägtem "Luxusgürtel" in der Graslandschaft des Gondwana Namib Parks am Ostrand der Namibwüste. Foto: Norbert Jürgens
Autor dieses Beitrags ist Sven-Eric Stender. Er stammt aus Hamburg und arbeitet seit 1986 als Journalist. Seit 1998 lebt er in Windhoek und hat sich auf die Themen Reise, Natur, Menschen und Geschichte Namibias spezialisiert. Für Fragen oder Anregungen ist er zu erreichen unter editorial@namibiafocus.com.
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