Ununterbrochen peitscht der Wind in kräftigen Böen über die Landschaft. Bäume und Sträucher werden stundenlang hin und her geschüttelt. Schoten von Kameldornbäumen und Weißdorn prasseln auf den Boden. Unzählige noch grüne Blätter verschiedener Bäume sind der Kraft des Windes nicht gewachsen, reißen ab und werden davongeweht. Einige Meter über dem Boden hängt an einem dünnen dornigen Ast eines Wart-ein-bisschen-Strauchs (Ziziphus mucronata) ein fast weißes Nest, etwa 15 cm hoch, 9 cm breit und ebenso tief. Es ist aus weichem Pflanzenmaterial gebaut, das wie Watte aussieht. Im Innern hocken drei wenige Zentimeter große und knapp 7 Gramm schwere, fast flügge Küken der Weißstirn-Beutelmeise (Anthoscopus minutus).
In Gegenden, in denen viel mit Schafen gefarmt wird, bauen die Beutelmeisen ihre beutelartigen Nester aus Schafwolle. Der Bau eines Nestes nimmt 20 bis 35 Tage in Anspruch.
Das Nest wird vom Wind hin und her geworfen, manchmal steht es fast auf dem Kopf. Doch die Eltern haben das weiche Nest mit Spinnweben sehr gut an dem dünnen Ast verankert. Das Besondere am Beutelmeisennest ist jedoch eine raffinierte Konstruktion, um Feinde in die Irre zu führen und somit die erwachsenen Vögel, Eier und Küken im Innern zu schützen: Es gibt einen falschen Eingang. Über dem fast soliden unteren Teil des Nestes ist an einer Seite eine Einbuchtung, die wie ein Eingang aussieht. Darüber ein kleines „Dach“. Der Eingang führt aber nicht in das Nest, sondern endet kaum dass er begonnen hat. Der eigentliche Eingang befindet sich über dem falschen Eingang. Es ist das Dach, denn der richtige Zugang faltet sich zusammen, sobald ein Vogel in das Nest gekommen ist oder es verlassen hat.
Die Weißstirn-Beutelmeise, einer der kleinsten Vögel im südlichen Afrika, muss vor dem Eintreten mit dem Fuß den Eingang öffnen. Beim Verlassen des Nestes schiebt sie sich durch die Öffnung, die hinter ihr wieder zuklappt. Vermutlich krallen sich die Jungvögel während eines Sturmes am faserigen Boden des Nests fest. Trotz des starken Windes kamen die Altvögel und die Jungen vom Vorjahr immer wieder mit Futter angeflogen. Die winzigen Vögel schienen es ohne große Mühe in den Busch zu schaffen und flogen schließlich zum Nest, an dem sie sich festhielten. Kurze Zeit später kletterten sie zum Eingang, öffneten ihn und verschwanden im Innern, um die Küken zu füttern. Kurz darauf erschienen sie wieder draußen, hielten sich kurz am Nest fest und flogen erneut davon.
Das stabile weiche Nest wird jedoch nicht nur zur Aufzucht der Jungen benutzt, sondern dient nach der Brutsaison der ganzen Familie als Schutz während der Nacht. Dicht gedrängt verbringen manchmal mehr als zehn Beutelmeisen die Nacht in dem schützenden Nest. Es ist deshalb wichtig, die Nester, die gern als Dekoration verwendet werden, an den Bäumen hängen zu lassen, um den winzigen Vögeln ihren ganzjährigen Zufluchtsort zu erhalten.
Dirk Heinrich
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