Namibia Focus

Wie es das Schicksal so wollte

Geschrieben von Namibia Focus | Jul 27, 2020 11:56:09 PM

Namibia hat eine äußerst vielfältige und wissenswerte Geschichte. Fast überall im Land trifft man heute noch auf Bauten im Kolonialstil, die mittlerweile zu nationalen Denkmälern erklärt wurden. Bei genauerem Hinsehen stellt man schnell fest, dass diese Gebäude vor allem einem Mann zu verdanken sind: Gottlieb Redecker.

Gottlieb Redecker wurde am 30. April 1871 in Otjimbingwe geboren. Sein Vater Wilhelm war ein Missionar, der 1867 nach Otjimbingwe kam und auch als Kaufmann und Landwirt tätig wurde.

Der junge Gottlieb besuchte ab 1876 die Missionsschule in Otjimbingwe, damals ein wichtiger Grenzort. Er sprach fließend Nama, Herero, Deutsch, Englisch und Niederländisch und genoss schon als kleiner Junge die Freiheiten, die dieses einfache Leben zu bieten hatte. Er ging oft mit seinen Freunden in den Busch, wo sie jagten und die Natur kennen und zu schätzen lernten.

Im Jahre 1882, als Gottlieb 11 Jahre alt war, starb seine Mutter. Ihr letzter Wunsch war, dass Gottlieb nach Deutschland gehen und dort eine Ausbildung machen sollte. Dieser verließ daraufhin schweren Herzens Otjimbingwe.

Postamt und ehemalige Stadtverwaltung von Swakopmund. Fotosammlung Georg Erb

 

Die viermonatige Reise startete mit einem Ochsenwagen nach Walvis Bay. Von dort aus ging ein Schiff nach Kapstadt, dann weiter nach England und schließlich nach Deutschland. Bei seiner Ankunft in Deutschland hatte Gottlieb Probleme wegen seiner Staatsbürgerschaft, da Vater Wilhelm seine deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatte und Südwestafrika noch nicht als deutsche Kolonie galt. Auf die Frage, woher er stamme, sagte er, dass er aus Otjimbingwe im Damaraland (wie das Gebiet damals genannt wurde) komme. Seine Staatsangehörigkeit wurde daher als Damara erfasst.

Während seiner Schulzeit in Deutschland wohnte er bei seinen Verwandten und schrieb so oft er konnte an seine Familie in Otjimbingwe. Er schrieb auch oft in Nama und Herero an seine Geschwister und in Englisch an seinen Vater, um seine Sprachkenntnisse aufrechtzuerhalten.

Nach dem Schulabschluss studierte er Bauingenieurwesen. Er arbeitete für eine Firma in Duisburg, als  Eduard Hälbich – ein Freund aus Gottliebs Jugend, ihn kontaktierte. Eduards Vater besaß zu diesem Zeitpunkt die Waggonfabrik und ein Handelsgeschäft in Otjimbingwe. Gottlieb sollte bei der Erweiterung der bestehenden Waggonfabrik helfen.

Gottlieb kam daraufhin 1895 zurück nach Otjimbingwe, wo er sich sofort an die Arbeit machte. Per Schiff brachte er Materialien mit. Er baute die Fabrik aus und errichtete die erste Windmühle des Landes. Die Windmühle erzeugte Strom für die Fabrikanlagen und diente auch als Wasserpumpe. Die Windmühle konnte sich automatisch an die Windrichtung anpassen und war zu dieser Zeit eine bemerkenswerte Konstruktion. Die Überreste der Windmühle wurden 1963 zum nationalen Denkmal erklärt, wurden jedoch unglücklicherweise im Laufe der Jahre abgebaut.

Christuskirche in Karibib. Fotosammlung Georg Erb

 

Die Fabrik wurde 1896 eröffnet, danach kehrte Gottlieb nach Duisburg zurück. Er lernte seine Frau Marie kennen und wurde 1899 zum Leiter des Bauwesens in der neuen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ernannt. Aufgrund seiner Kenntnisse von Land und Leuten und einiger Landessprachen war er auch gelegentlich als Übersetzer für die Behörden tätig.

Gottlieb war am Bau der Kirche und der Schule in Karibib sowie des alten Postamtes von Swakopmund beteiligt, welches dann zur Stadtverwaltung wurde, bevor diese später erneut umzog.

Aber es war in Windhoek, wo Gottlieb bedeutenden Einfluss auf das damalige Baugeschehen hatte. Obwohl viele seiner älteren Gebäude mittlerweile modernen Entwicklungen gewichen sind, ist heute noch einiges von ihm in Windhoek zu sehen.

Er entwarf das alte Gefängnis in Windhoek, das heute das Zentrale Veterinärlabor (Central Veterinary Laboratory) beherbergt und ein Verwaltungsgebäude an der Robert Mugabe Avenue, das heute von der namibischen Zentralbank genutzt wird. Er entwarf auch ein Entbindungsheim, das „Elisabethhaus", das heute von der NUST (Namibia University of Science and Technology) genutzt wird. Außerdem entwarf er 1908 das 10-Mann-Haus und die erste Deutsche Schule in Windhoek, die heute als Hauptsitz des Nationalmuseums gelten.

Zwei weitere Gebäude, die zu den Ikonen des Windhoeker Stadtbilds gehören, verdanken ihr Bestehen Gottlieb Redecker. Im Jahre 1907 wurde der Grundstein für die Christuskirche gelegt. Sie wurde 1910 fertiggestellt und am 16. Oktober 1910 geweiht.

Christuskirche in Windhoek. Foto: Gondwana Collection Namibia

 

Im selben Jahr wurde der Bau eines Verwaltungsgebäudes angekündigt. Redecker präsentierte drei Entwürfe, und nach vielen Beratungen und Meinungsverschiedenheiten wurde einer davon ausgewählt. Es gab viele Proteste gegen den Standort des Gebäudes. Viele meinten, es sei zu weit entfernt vom öffentlichen Leben und würde zu hoch oben auf dem Berg liegen, aber 1913 wurde der Tintenpalast früher als geplant offiziell eingeweiht. Heute beherbergt er die Nationalversammlung des namibischen Parlaments.

1914, während des Ersten Weltkriegs, als General Botha und die Truppen der südafrikanischen Union nach Windhoek marschierten und die Schutztruppe sich zurückzog, wurde Redecker die Finanzverwaltung der Stadt übertragen. Nachdem General Botha Windhoek erobert hatte, wurde Gottlieb in Kimberley interniert. Nach der Unterzeichnung des Friedenvertrags von Khorab 195 wurde er freigelassen.

Redecker blieb im neuen südafrikanischen Mandatsgebiet und wurde 1919 Teil des Regierungsrates. Er kehrte 1921 nach Deutschland zurück, wo er Teil der „Entschädigungsbehörde“ wurde, die für die deutschen Kompensationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich war.

Luftaufnahme von Windhoek mit Gebäuden, an deren Planung und Bau Gottlieb Redecker maßgeblich beteiligt war: #1 - 10-Mann-Haus, #2 - Verwaltungsgebäude der Bank of Namibia, #3 - Sitz des namibischen Museumsverbandes (National Museums Association of Namibia), #4 - Christuskirche, #5 - Tintenpalast, Sitz der Nationalversammlung. Foto: Georg Erb

 

1931 ging Gottlieb Redecker nach 53 Dienstjahren in den Ruhestand. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebte er als Rentner in Berlin. Wegen der zunehmenden Luftangriffe auf Berlin zogen Gottlieb und Marie nach Gütersloh. Wie es das Schicksal wollte, starb er bei einem Luftangriff am 21. Januar 1945. Sein Haus in Berlin blieb unversehrt.

Christiaan Jacobie