Der Kampf gegen die Wilderei erleidet auch in Namibia immer wieder Rückschläge. Erst vor einer Woche gab Umweltminister Pohamba Shifeta die aktuelle Zahl entdeckter gewilderter Nashörner bekannt: 55. Das sind bereits elf mehr als im gesamten Jahr 2021.
Vier Tage später kam ein weiteres Nashorn hinzu. Ein Breitmaul-Nashorn. Eigentlich sogar zwei. Denn die Wilderer töteten eine tragende Kuh. Das Baby starb rund fünf Monate vor seiner Geburt. Für die Eigentümer, die Familie Rust, ist es der dritte harte Schlag innerhalb von nur 18 Monaten.
Ihr Rundbrief an die Reisebranche von gestern erreichte auch NamibiaFocus. Weil er einen guten Hintergrund der Problematik bietet, entschloss sich die Redaktion, ihn zu veröffentlichen. NamibiaFocus hat den englischen Text übersetzt und die deutsche Fassung leicht bearbeitet (siehe eckige Klammern) sowie mit Zwischenüberschriften versehen.
Der Klimawandel, die Zerstörung von Lebensräumen, das Aussterben von Pflanzen- und Tierarten. Es besteht kein Zweifel: Der Mensch zeigt sich gnadenlos gegenüber seiner Umwelt. Auch in Namibia.
Meine Familie hält seit 2006 Nashörner. Viele Gäste besuchen unsere Farmen oft nur aus diesem Grund - ein unvergessliches Nashorn-Erlebnis. Mittlerweile hängen 120 Arbeitsplätze an unseren Farmen und an diesen Tieren.
Im Jahr 2017 hatten wir unsere erste ernsthafte Erfahrung mit Nashorn-Wilderei. Wilderer drangen auf unsere Farm vor und schossen auf eine Kuh. Mit viel Glück und beherztem Eingreifen konnte das Tier gerettet werden.
Seitdem ist die Wilderei ein ständiges Thema. Es folgten zahlreiche Angriffe. Es kostete viel Mühe, schlaflose Nächte und einen hohen finanziellen Aufwand, sie abzuwehren. 17 Festnahmen und die Beschlagnahmung zahlreicher Gewehre - darunter auch automatische Sturmgewehre - waren nur Teilerfolge. Es folgten immer wieder neue Attacken.
Im Jahr 2020 bedrohte die Corona-Krise unsere (und mehrere andere) Naturschutzgebiete und trieb uns fast an den Rand des Bankrotts. Keine Touristen, kein Gastgewerbe. Kein Gastgewerbe, kein Lebensunterhalt für die Menschen und keine Einnahmen für die Erhaltung der Wildtiere.
Nach einer langen Rezession und einer schweren Dürre hatten wir auf eine gute Reisesaison gehofft, die wir (und das ganze Land) dringend für die Erholung unserer Wirtschaft benötigten.
Von der Regierung war absolut keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. Die Unternehmen waren sich selbst überlassen - Überleben des Stärkeren. Um unsere Unternehmen am Leben zu erhalten, mussten wir unsere Rücklagen aufbrauchen und neue Hypotheken aufnehmen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Privatbanken sich auf ihre vierteljährliche Rendite konzentrieren und die Dividenden für ihre Aktionäre im Auge haben. Damit ließ sich kein langfristiger Plan verwirklichen. Die Auswirkungen jedoch werden wir noch lange spüren.
Aufgrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit hat sich das Problem der Wilderei immer mehr verschärft. Und wieder lebt der Mensch auf Kosten der Natur. Diesmal mit Folgen, die nur schwer (unmöglich?) zu beheben sind.
Im Jahr 2021 erlebten wir den Inbegriff des Grauens. Immer noch Corona-geschädigt, mussten wir finanzielle Löcher stopfen und gleichzeitig den Schutz der Tiere aufrechterhalten. Ein Spagat, der fast unmöglich war.
Auf Ghaub [in den Otavi-Bergen] haben wir vier Nashörner verloren. Einige von ihnen wurden sinnlos angeschossen und erlagen erst Stunden später ihren Verletzungen. Ein weiteres Nashorn folgte zwei Monate später am Waterberg. Und es gab keine Verschnaufpause. In den vergangenen Monaten wehrten wir immer wieder weitere Angriffe auf unsere Tiere ab.
Am 9. 10. 2022 (grausame Ironie des Schicksals - mein Geburtstag) wurde am Waterberg eine weitere trächtige Nashornkuh getötet und ihre Hörner gestohlen.
Es ist erschreckend zu sehen, mit welcher Professionalität die Wilderer vorgingen. Die Schüsse waren gut platziert und von einem geeigneten Großkaliber-Gewehr abgegeben worden.
Innerhalb von 20 Minuten, nachdem wir die Schüsse gehört hatten, waren wir bereits vor Ort. Die Hörner waren abgehackt, und die Wilderer waren uns durch die Finger geschlüpft. Diese Verbrecher scheinen eine umfassende Ausbildung und Erfahrung mit der Wilderei von Großtieren zu haben.
Zurück bleiben eine tote Kuh und ihr ungeborenes Kalb - ebenfalls ein Weibchen. Ein großer Verlust für den erhofften Zuchterfolg.
Wir sind zutiefst enttäuscht, und ich bin überzeugt, dass es unseren Mitarbeitern genauso geht. Es ist offensichtlich, dass Nashörner auf diese Weise nicht geschützt werden können. Der Schutz wird immer teurer und beeinträchtigt zunehmend unsere Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Die tägliche Sorge um die Tiere und auch die erdrückende und ständige Bereitschaft fordern ihren Tribut.
Sicherheitstore [an den Durchfahrtsstraßen], Kameras und bewaffnete Wächter sind keine ausreichenden Garanten mehr für ein sicheres Refugium. Wir müssen unsere Situation überdenken und unsere Abläufe und Verfahren noch einmal anpassen.
Um die Möglichkeit eines Insider-Jobs auszuschließen, muss unser Team Befragungen, Verhöre und sogar Lügendetektor-Tests über sich ergehen lassen. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass dies für die gesamte Belegschaft eine ungeheuer belastende Prozedur ist und den Teamgeist nicht unbedingt fördert.
Ich bin oft gefragt worden, warum wir diese Vorfälle immer wieder öffentlich bekanntgeben? Müssen wir nicht befürchten, dass dies als Versagen im Tierschutz interpretiert werden könnte? Müssen wir nicht befürchten, dass sich solche Nachrichten negativ auf unsere Lodge-Einrichtungen auswirken?
Es gab sogar ein paar Stimmen, die sagten: "Ihr seid selbst schuld, wenn ihr Nashörner habt." Und: "Wozu braucht der Mensch überhaupt Nashörner?" Zum Glück sind es nur wenige.
Doch das ist ein Grund, warum viele betroffene Farmer schweigen. Nach dem schmerzlichen Verlust der Tiere braucht es Mut, die öffentliche Meinung zu ertragen. Auch wenn wir denken, dass es keinen Grund gibt, diese grausame Wahrheit zu verbergen. Wir opfern zu viel, um dann einfach zu schweigen.
Es ist kein Versagen, sondern eine Tragödie, die die Nashörner weltweit bedroht. Und doch fühlt es sich wie ein verlorener Kampf an, den wir bisher nur verlängern konnten.
Oft genug liest man in Zeitungen [Meldungen wie]: "55 Nashörner in diesem Jahr gewildert". Das Trauma, das dies für die Tiere bedeutet, aber auch für all die Menschen, die sich für diese Tiere einsetzen, wird dabei leider zu oft übersehen. Deshalb halten wir es für wichtig, die Nachricht zu verbreiten. Wir werden den Kampf jedenfalls fortsetzen und hoffen, dass alle Betroffenen ermutigt werden, dasselbe zu tun.
Was ich noch nicht erwähnt habe und mir für einen angenehmeren Abschluss aufgehoben habe: Unsere Berichte berühren viele Menschen emotional. Wir erfahren oft tiefe Anteilnahme und wissen uns im Kreise einer großen Zahl von Gleichgesinnten. An Sie alle: DANKE! [...]
Mit freundlichen Grüßen, Martin Rust
Namibia hat seinen Kampf gegen die Wilderei erst vor wenigen Monaten verstärkt - siehe Hintergrundbericht von NamibiaFocus. Ermittler nahmen kurz darauf eine Reihe mutmaßlicher Wilderer fest, die für den Tod und das Entwenden des Horns mehrerer Nashörner im Etosha Nationalpark verantwortlich sein sollen.
Jeder Namibia-Urlauber hilft beim Schutz der bedrohten Dickhäuter. Nicht nur indem seine Aufenthalte, Safari-Ausflüge und Parkeintritte für Einnahmen sorgen, mit denen Naturschutzmaßnahmen finanziert werden können. Sondern auch in Form von Beschäftigung. Statistisch betrachtet schaffen acht bis zehn Urlauber einen Arbeitsplatz.
Gute Beispiele dafür sind die Lodges der Gondwana Collection am Etosha Nationalpark und im Palmwag-Naturschutzgebiet in der Kunene-Region. Zudem engagiert sich Gondwana Collection Namibia auch übergreifend für den Nashornschutz. Wie beim jüngsten Welttag des Nashorns vor drei Wochen mit einer Aktion für das Rhino Momma Project.
Autor dieses Beitrags ist Sven-Eric Stender. Er stammt aus Hamburg und arbeitet seit 1986 als Journalist. Seit 1998 lebt er in Windhoek und hat sich auf die Themen Reise, Natur, Menschen und Geschichte Namibias spezialisiert. Für Fragen oder Anregungen ist er zu erreichen unter editorial@namibiafocus.com.