Die Sonne brennt, die Luft vibriert. Vor den Augen nichts als flimmerndes Gestein. Damaraland, eine endlos herbe Landschaft, gewaltig, ungezähmt. Die Reifen des Allrad holpern die ausgefahrene Fahrspur entlang. Trotz Klimaanlage im Wagen meldet sich der Durst. Ein Griff in die „Coolbox“… doch sie ist leer.
So etwas könnte mir nicht passieren, sagen Sie? Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert mit entweder einer Hütte oder Tankstelle mit Imbissladen hinter jedem Hügel!
Mai 2003: Ein Niederländer verdurstet im Damaraland keine 25 Kilometer von der Zivilisation entfernt; seine Frau konnte in letzter Minute gerettet werden. Im selben Jahr und keine sechs Wochen später verfahren sich vier deutsche Touristen und befinden sich kurz darauf in einer ähnlich prekären Situation. 15. Dezember 2017: Ein US-Amerikaner begibt sich am Brandberg auf Wanderschaft und ist seitdem verschollen.
Die Grundvoraussetzung einer jeden Safari ist, gut gewappnet zu sein. Nützliche Verhaltenstipps und vor allem wie man in der Wildnis überleben kann, beschreibt der Brite Francis Galton in seinem Buch „the Art of Travel“ (die Kunst des Reisens). Das Buch ist allerdings 1855 gedruckt worden und somit inzwischen – sage und schreibe – 163 Jahre alt; der wohl erste Ratgeber für Reisende überhaupt.
In der Tat! Galton war u. a. Afrikaforscher. Er kartierte das Damaraland und das Ovamboland. Über sein Leben wird gesondert berichtet.
Zurück zu der „Kunst des Reisens“: Ein guter Reiseführer muss fundiertes Fachwissen beinhalten. Galtons Buch ist keine kitschige Lagerfeuerromantik, hier geht es ums nackte Überleben. Sein erstes Kapitel widmet er daher der Wassersuche. Immerhin ist Wasser für den menschlichen Organismus lebensnotwendig. Ein Mensch kann wesentlich länger ohne feste Nahrung auskommen als ohne das erforderliche Nass.
Nützlich sei dafür ein Eisenstab, rät Galton. Berge sorgen für eine perfekte Bodenentwässerung. Lange nachdem die Schluchten und Bäche schon trocken seien, ließen sich immer noch hier und da Pfützen und „Tassen“ voll Wasser in Löchern, Ritzen und unter großen Steinen finden.
Besonders die kleinen Nebenflüsse an dem Punkt, wo sie in den Hauptfluss münden, sollten dabei nicht außer Acht gelassen werden.
„Wenn keine feuchte Erde zu sehen ist, es aber Wasser zu geben scheint, sollte man den Eisenstab in den Boden rammen. Haften beim Herausziehen feuchte Sandkörner am Stab, lohnt es sich zu graben“, schreibt er.
„Hinweise auf mögliche Wasserstellen geben Vögel, die abends in diese Richtung fliegen“, bemerkt Galton. Auch die frischen Spuren von Tieren, die hangabwärts führen, könnten ein rettender Pfad sein. Zudem sei eine grüne, dichte Vegetation ein Fingerzeig, dass eventuell dort Grundwasser vorhanden sein könnte.
Ist eine Wasserstelle gefunden, gilt es das kostbare Nass aufzufangen. In schwer erreichbares Wasser wird ein Tuch getunkt und die aufgesaugte Flüssigkeit in einen Behälter gewrungen oder direkt aus dem Tuch gesaugt, um den ersten quälenden Durst zu stillen.
Befindet sich in der Wasserstelle nichts als flüssiger Schlamm, so könne zur Not ein Büschel Gras als Trichter dienen. „In die Form eines Kegels zusammengebunden wird der breitere Bund in die Pfütze getaucht und danach nach oben gehalten. Durch das Ende fließt dann ein kleines Rinnsal“, behauptet der Afrikaforscher. Ein Taschentuch könne zusätzlich als Filter herhalten.
Weitere Wasserquellen seien Tautropfen, die vor dem Morgengrauen ebenfalls mit einem saugfähigen Tuch von den Pflanzen gesammelt werden könnten. „Ist kein Tuch vorhanden, tut es ein zusammengedrückter Grasklumpen auch.“
Galton berichtet, dass in der damaligen Jagdzeit sogar der Magen eines Breitmaulnashorns vor dem Verdursten retten konnte. Ohne zu zögern sei von dem aufgeschnittenen Pansen getrunken worden. Vom Mageninhalt des Spitzmaulnashorns rät er jedoch ab: „Dieses Tier frisst auch giftige Kakteen.“
Fauliges Wasser sollte auf jeden Fall zuerst abgekocht werden. „Dazu braucht man Feuer“, räumt der Safarikenner ein. „Wenn wir aber einen Funken wollen und nicht unsere genialen Feuermacher zur Hand haben, ist es schwer möglich.“ Zur Not helfe ein Achat. Auch ein einfacher Quarz funktioniere besser als ein Feuerstein, sein Funke sei heißer, versichert er. Zudem habe er mal irgendwo gelesen, „dass die Augenlinse eines toten Tierauges im Notfall auch erfolgreich als Brennglas benutzt werden kann.“ (Die Brille auf der Nase nicht zu vergessen.)
Brennholz finde man unter den Büschen. Auch der Dung von Tieren könne gut als Brennmaterial benutzt werden. In der heutigen modernen Zeit ist ein Feuer ohnehin die erste und beste Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen. Das müsste dann allerdings schon ein recht großes Feuer sein.
Auf Hilfe konnte Galton sich auf seinen Expeditionsreisen nicht verlassen. Auch gegenwärtig kann es dauern bis Rettung naht, deshalb ist es wichtig sich, auf eine längere Wartezeit einzurichten. Von Bedeutung sei daher, sich um einen geeigneten Schlafplatz zu bemühen und genug Brennholz für die Nacht zu sammeln, bemerkt der Forscher. Brennt die Sonne noch erbarmungslos vom Himmel sollte man seine Haut bedeckt halten, um die Verdunstung des Schweißes zu verlangsamen. Sein Nachtlager unter einem großen Baum aufzuschlagen, sei keine gute Idee. „Bäume sind zwar ideale Schattenspender, aber kein Schutz vor nächtlicher Kälte“, teilt Galton mit, „es ist ein Dach, aber keine Wand.“ Eine Buschhecke sei ein guter Windschutz und größere, von der Sonne erhitzte Felsen gäben nach Sonnenuntergang noch lange Wärme ab.
Galton empfiehlt auch, für die Nacht lieber ein bis zwei große Holzstumpen brennen zu lassen, statt kleines Geäst. Der Stumpf eines Baumes, der fast bis zum Boden verfault ist, besitze noch eine prächtige Wurzel, die eine ganze Nacht Wärme spenden könne. In einem Gebiet, wo es lediglich kleines Geäst gibt, rät er, es dem Ovambovolk nachzutun. „Große Steine zu einem Kreis geformt und in der Mitte das Feuer verhindern, dass die Glut herumfliegt.“
Auch wenn der Schlafsack noch so eng und muffig ist, „die Herausforderung, eine eiskalte Nacht in der Wüste und auf Mutter Erde zu (üb)erleben, besteht darin, die kalte Luft nicht in den Schlafsack, sondern draußen zu lassen“, empfiehlt Galton. Wer keinen Schlafsack hat, sollte in Erwägung ziehen, sich im Sand einzubuddeln. Nur der Kopf stecke dann heraus. (Nur mit dem Umdrehen hapert es dann.)
Ebenfalls im Buch vermerkt: „Als Napoleon seine Truppen aus Russland abziehen musste, sind viele Soldaten in die Kadaver verendeter Pferde gekrochen und haben sich so das Leben gerettet.“
„Es scheint, dass kein Fleisch, mit Ausnahme einiger Fische, für den Menschen giftig ist“, bemerkt er. Aber bei der Vegetation sei Vorsicht geboten. „Es wurde beobachtet, dass dem Magen des Menschen nichts schadet, was der Vogel verdauen kann.“ Ein weiterer interessanter Tipp aus der damaligen Zeit war, zuerst den Hund kosten oder trinken zu lassen und dann eine gute Stunde abzuwarten, wenn man Fleisch eines gerissenen Tieres findet oder einem das Wasser eines Tümpels verdächtig vorkommt.
In der Zwischenzeit „schmecken geröstete Heuschrecken und Grashüpfer gar nicht mal so schlecht“, bietet Galton als Alternative an. Oder: „Fang eine Biene, binde ihr eine Feder oder einen leichten Strohhalm ans Bein - Eingeborene pieksen diese in dessen Körper – dann werfe sie wieder in die Luft und folge ihr. Sie wird zurück zum Bienenstock fliegen.“
Alle alten ungegerbten Häute oder Felle jeglicher Art seien noch essbar. Sie könnten für eine schmackhafte Suppe oder - weichgeklopft und geröstet – als „Snack“ dienen. Lange gekocht wird ein Gelee daraus. Wer also kein Glück bei der Nahrungssuche hat, dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als seine Lederstiefel oder -sandalen noch einmal aufzukochen. In diesem Sinne, guten Appetit.
In diesem Bericht sind nur ein paar wenige „Survival Fähigkeiten“ beschrieben worden. Galtons Buch umfasst 189 Seiten, vollgepackt mit Tipps für den Fall eines Falles. Er weist auf die richtige Kleidung hin, spricht das disziplinierte Verhalten in der Wildnis an und listet natürlich alles auf, was für einen großen Treck mit Ochsenwagen und Gespann notwendig ist.
Aber wer braucht das heute noch? Wer verlässt heutzutage noch seine Komfort-Zone, um sich auf Wasser oder Nahrungssuche zu begeben? Es schadet aber auch nicht, sich wieder mal intensiver und tiefer mit der Natur zu verbinden und gewisse Verhaltenshinweise im Hinterkopf zu behalten. Eine Safari durch Namibia – auch in der heutigen modernen Zeit, mit satellitengesteuerten Navigationssystemen oder detailliertem Kartenmaterial – darf nämlich niemals unterschätzt und als lockere Spazierfahrt gesehen werden.
Kirsten Kraft