Die namibische Küste, an der die lebensfeindliche Namib-Wüste und der tosende Atlantik aufeinandertreffen, fasziniert auf ihre ganz eigene Art. Schiffwracks und so manches verfallene Gebäude zeugen von gescheiterten Träumen; gleichzeitig ist die Küste ein Paradies für Naturliebhaber, passionierte Angler, Surfer und Abenteurer.
Das zentrale Küstengebiet vom Kuiseb-Delta bei Walvis Bay bis zum Ugab-Fluss im Norden wurde 2010 zum Dorob Nationalpark erklärt. Er dient als Bindeglied zwischen dem Namib-Naukluft-Park im Süden und dem berühmten Skelettküstenpark. Eines seiner Highlights ist das Kreuzkap, das Zuhause einer der größten Robbenkolonien der Welt.
Dort wollen wir heute hin, Robben gucken; nicht ahnend, dass uns dieser Ausflug viele weitere interessante Eindrücke vermitteln wird. Nach einem leckeren Frühstück im The Delight Swakopmund – der Name sagt alles -, machen wir uns auf den Weg.
Schon bald hinter Swakopmund fällt uns eine kniehohe Absperrung neben der Straße auf, die über viele Kilometer Fahrzeuge daran hindern soll, in die Wüste abzubiegen. Da das Auge beim ersten Hinsehen nichts Außergewöhnliches registriert (Wüste halt!), fragt man sich warum.
Die Absperrung schützt ein riesiges Lichenfeld, das Nahrung und Lebensraum für viele andere Organismen der Wüste bietet und den Boden stabilisiert. Lichen sind Flechten, eine Symbiose aus Schlauchpilzen und Blaualgen; erstaunlicherweise zählen sie nicht zu den Pflanzen. In der Namib gibt es 120 Flechtenarten, die meisten von ihnen sind selten, viele endemisch. Sie können unter rauen Bedingungen überleben, sind jedoch sehr anfällig für Verschmutzung und mechanische Beschädigung. Deshalb versucht man in Namibia, Menschen und Fahrzeuge durch Beschilderung, Aufklärung und Abgrenzungen von den Lichenfeldern fern zu halten.
Die 130 Kilometer von Swakopmund bis zum Cape Cross vergehen wie im Flug. Kurz bevor wir dort ankommen, entdecken wir einfache kleine Tische am Straßenrand, auf denen schimmernde Salzkristalle ausgestellt sind. Verkäufer sind weit und breit nicht zu sehen. Hier ist Ehrlichkeit gefragt. Wer sich ein Kristall aussucht, hinterläst einfach einen Obulus in einer Dose. Arbeiter aus Salzgewinnungsanlagen in der Nähe verdienen sich hier ein Taschengeld dazu. Aber aufgepasst. Egal, wie hübsch die Salzkristalle aussehen, in geschlossenen Räumen lassen sie Metall rosten.
Nachdem wir an der Rezeption des Cape Cross Seal Reserve unsere Eintrittgebühr gezahlt haben, fahren wir weiter in Richtung Atlantik, um die Robben zu sehen. Sie liegen überall und blockieren den Aussichtspunkt. Wir öffnen die Autotür, um zwei Gedenkkreuze am Straßenrand und den davorliegenden Gedenkstein näher in Augenschein zu nehmen. Es verschlägt uns den Atem. Was für ein Gestank! Zum ersten Mal in Coronazeiten freuen wir uns, einen Mundschutz dabei zu haben und tragen ihn klaglos.
„Im Jahre 6685 nach der Schöpfung der Welt und 1485 nach Christi Geburt beauftragte der hervorragende, vorausschauende König Johann II. von Portugal einen Ritter seines Hofes, Diogo Cão, dieses Land zu entdecken und das Padrão hier zu errichten.“ So lautet die Inschrift des Gedenksteins.
Diogo Cão betrat nach langer Seereise im Jahr 1486 als erster Europäer die Landspitze am späteren Cape Cross und errichtete dort auftragsgemäß ein Steinkreuz. Gut 400 Jahre später wurde das von Wind und Wetter gegerbte Padrão von einem Korvettenkapitän aus der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika entfernt und nach Deutschland gebracht. Am Kreuzkap wurde eine Nachbildung errichtet, zu der Ende des 20. Jahrhunderts ein weiteres, dem Original eher entsprechendes Steinkreuz hinzukam. Das Originalkreuz von Diogo Cão befindest sich seit 2019 wieder in Namibia.
Um die beiden Steinkreuze tummeln sich die Robben und sonnen sich. Das Robbenreservat Cape Cross ist eines der größten Sammelgebiete der Südafrikanischen Seebären Arctocephalus pusillus, einer Ohrenrobben-Art. Mehr als 200.000 Robben gibt es hier, die entweder faul am Strand liegen oder in den Wellen des Atlantiks spielen. Die Rangerin an der Rezeption erzählt uns, dass normalerweise Braune Hyänen und Schabrackenschakale dabei behilflich seien, den Strand sauber und die Robbenpopulation in Schach zu halten. Doch die Tollwut habe bei den Schakalen einen hohen Tribut gefordert, ihr Bestand sei enorm geschrumpft.
In der Umgebung der Rezeption, die zur Parkstation des Cape Cross Seal Reserve gehört, wird emsig gebaut. Einige neue Gebäude entstehen, daneben stehen nagelneue Sonnenkollektoren. Wir erfahren, dass die Bauarbeiten im Rahmen des staatlichen Entwicklungsprogramms NamParks V durchgeführt werden, das ein nachhaltiges Management der namibischen Küstenparks zum Ziel hat. Es wird vom namibischen Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Tourismus durchgeführt und von Deutschland über die Kreditanstalt für Wiederaufbau kofinanziert.
Der Fortschritt hält auch hier Einzug, in der ältesten Wüste der Welt; allerdings behutsam, um die natürliche Schönheit dieser einzigartigen Landschaft und ihre biologische Vielfalt zu erhalten, was auch den hier lebenden Menschen zugute kommen soll.
Auf dem Rückweg zum The Delight Swakopmund, unserem Zuhause auf Zeit, ziehen wir Bilanz. Unser Ausflug zum Kreuzkap war soviel mehr als ‚Robben gucken‘. Um ein Salzkristall und zahlreiche Fotos und Erinnerungen reicher sind wir uns einig, dass unsere Zeitreise in die älteste Wüste der Welt sich gelohnt hat.
Weitere Schätze vergangener Zeiten am Kreuzkap finden Sie hier.
Inke Stoldt