Wir schreiben das Jahr 1969. Die ersten Menschen betreten den Mond, die ganze Welt verfolgt die Mission der ‚Apollo 11‘. Der Kölner Archäologe Dr. Wolfgang Wendt begibt sich auf eine ähnliche Mission, nur in die entgegengesetzte Richtung: Statt ins All stößt er in den Erdboden vor, statt Zukunft heißt das Reiseziel Vergangenheit der Menschheit. In einer Grotte in den Hunsbergen nordöstlich von Rosh Pinah im Süden Namibias, die er ‚Apollo 11‘ tauft, unternimmt er Grabungen und entdeckt dabei eine kleine feinkörnige Sandstein-Platte mit der Zeichnung eines Tieres. Nach der Datierung ist die Sensation perfekt: Mit einem Alter von etwa 27.000 Jahren ist die Platte das älteste Kunstwerk Afrikas, das bis zum damaligen Zeitpunkt zutage kam.
Der 33-jährige Wolfgang Wendt wurde 1968 vom Institut für Urgeschichte der Universität Köln nach Südwestafrika geschickt. „Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich gar nicht so schnell graben konnte, wie ich auf Ergebnisse stieß“, sagte er in einem Gespräch mit Inke Stoldt von Gondwana Collection im Jahr 2012.
Der promovierte Archäologe im Fachbereich Ur- und Frühgeschichte befasste sich nach seiner Ankunft in Südwestafrika zunächst mit der Felskunst im Erongo-Gebirge an der Spitzkoppe und in Twyfelfontein. Anfang 1969 reiste er zum ersten Mal in den Süden, unter anderem auf die Farm Aar, wo sich seiner Meinung nach die schönsten Felsgravierungen des Landes befinden. „Allerdings gibt es dort leider kaum Grabungsstellen, wo man die Zeitgeschichte hätte erschließen können.“
Im April 1969 besuchte er zum ersten Mal die Apollo-11-Grotte, die er aus der Literatur und vom Hörensagen kannte. „Mir ist heute noch ein altes Schwarzweiß-Foto aus der deutschen Kolonialzeit in Erinnerung, auf dem ein Offizier mit Hund auf einem Gelände-Erkundungsgang vor der Grotte steht. Obwohl das Foto mehr als ein halbes Jahrhundert alt war, habe ich die landschaftlichen Merkmale vor Ort sofort erkannt.“
Auf die Frage, warum er ausgerechnet die Apollo-11-Grotte für seine Grabungen ausgewählt hat, sagte Wendt: „Ich habe ganz einfach Glück gehabt! Irgendwo musste ich ja mit meinen Grabungen beginnen. Außerdem ist sie durch das Trockenflussbett des Nuob recht gut erreichbar und hat eine Sickerquelle in der Nähe, deshalb wurde sie wohl auch in früheren Zeiten von Urvölkern als Rastplatz gewählt.“
Die Apollo-11-Grotte am Oberlauf des Nuob Riviers (das in den Gariep/Oranje mündet) erwies sich als wahre Fundgrube. Wendt arbeitete in den Wintermonaten Mai bis September in Intervallen für zwei bis drei Wochen in der Grotte und kehrte dann nach Windhoek zurück, um das gesammelte Material auszuwerten. Immer im Gepäck war sein Nivelliergerät und sein hölzerner Feldbuchrahmen. Auf Millimeterpapier zeichnete er die Umrisse der Grotte ein, erstellte Grabungsschnitte und Profile.
1972 entdeckte er in der Apollo-11-Grotte sein liebstes Fundstück, den zweiten Teil jener Sandstein-Platte, die drei Jahre zuvor sensationell als ältestes Kunstwerk Afrikas deklariert worden war – und bemerkte es zunächst nicht einmal... In seinem Windhoeker Büro begann er, die neuesten Fundstücke auszupacken. Der legendäre Teil 1 der 27.000 Jahren alten feinkörnigen Sandstein-Platte lag auf dem Schreibtisch. Eine Farmersfrau schaute herein, um Hallo zu sagen und entdeckte sofort, dass sich in dem Sammelsurium neuer Stücke Teil 2 der ersten Platte befand. „Das hätte ich bestimmt auch noch gemerkt“, meinte Wendt augenzwinkernd.
Es war ‚art mobilier‘, transportable Kunst, die mitgeführt wurde; den Sandstein gibt es ganz in der Nähe der Grotte. Die vollständige Zeichnung der beiden Platten-Teile ergibt ein mystisches Wesen, halb Tier, halb Mensch. Ähnliche Motive finden sich in den Felsmalereien am Brandberg, die allerdings nicht ‚mobil‘ und mit maximal 4.000 Jahren viel jünger sind. Und Wendt grub weiter. Das Ergebnis: Die Grotte war - mit langen Pausen - seit mindestens 70.000 Jahren bewohnt.
Bis 1982 führte er Forschungsarbeiten für das Institut für Urgeschichte der Universität Köln durch. Nach den Grabungserfolgen in der Apollo-11-Grotte konzentrierte er sich auf den Schwarzrand zwischen Maltahöhe und Helmeringhausen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses blieb Wendt in Südwestafrika und arbeitete als selbständiger Experte.
Er verfasste nicht nur zahlreiche Schriften über seine archäologischen Funde, sondern auch Veröffentlichungen wie das Buch ‚Die Feldspurbahnen Südwestafrikas‘ oder einen Beitrag über den Alten Friedhof in Windhoek im Afrikanischen Heimatkalender. Er hatte weitgefächerte Interessen. Davon zeugten die vollgestopften Bücherregale in seinem Zimmer im Seniorenheim Schanzenoord und ein großer Stapel der Zeitschriften Fokus und Spiegel. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte Dr. Wolfgang Wendt im Altersheim Oude Rust Oord. Am 2. August 2015 starb er im Alter von 81 Jahren. Sein wissenschaftlicher Nachlass liegt im Nationalen Museum von Namibia.