Wie das übrige Land erblüht auch der Etosha-Nationalpark, wenn nach einer langen Trockenperiode endlich der lang ersehnte Regen fällt und die Natur zu neuem Leben erwacht. Nicht nur Pflanzen lassen frisches Grün sprießen und Blüten in allen Farben und Formen erstrahlen, sondern es schlüpfen auch unzählige Insekten, die im ausgedörrten Boden auf diesen Augenblick des Überflusses gewartet haben. Bunte oder gut getarnte Schmetterlinge fliegen umher, suchen einen Partner und Nektar an den Blüten. Verschiedene Vogelarten kommen aus ihren europäischen oder zentral- und ostafrikanischen Winterquartieren zurück, um den reich gedeckten Tisch für die Aufzucht von Nachwuchs zu nutzen. Vögel, Säugetiere, Reptilien und Amphibien haben die Dürre mit zahlreichen Entbehrungen hinter sich gebracht und sorgen jetzt für Nachwuchs. Im Etosha-Nationalpark geht es in der Natur ums Überleben und um die Erhaltung der Art.
Fällt ausreichend Regen, füllt sich die Fischerpfanne bei Namutoni und das reiche Nahrungsangebot in Form von Kleinstlebewesen im flachen warmen Wasser lockt Flamingos von Walvis Bay und Swakopmund an der Küste. Wie die rosa Vögel wissen, dass ausreichend Wasser und Nahrung im hunderte Kilometer entfernten Etosha-Nationalpark vorhanden ist, bleibt weiterhin ein Rätsel.
Der Mensch ist hier nur Gast und sollte den natürlichen Gang so wenig wie möglich stören. Wir sollten die Natur und ihre Geschöpfe bewundern, von ihnen lernen und begreifen, dass sie ohne uns auskommen, wir aber nicht ohne sie! Wir brauchen die Pflanzen, Insekten, Reptilien, Vögel und die Säugetiere. In der Regenzeit, der grünen Zeit, sollte sich der Besucher in Namibias bekanntestem Nationalpark auf die kleinen Lebewesen konzentrieren, denn sie sind nicht so oft zu sehen wie Giraffen, Elefanten, Löwen, Zebras und Antilopen.
In den austrocknenden Pfützen auf den Schotterstraßen versammeln sich dutzende Schmetterlinge der unterschiedlichsten Arten, teilweise in den buntesten Farben. In Büschen und Bäumen an den Wegen bauen Vögel ihre Nester, manche weithin sichtbar: wie die runden Kugelnester, die Maskenweber aus frischem Gras bauen, oder die unordentlich wirkenden Kapkrähen-Nester aus dornigen Zweigen. Diese Krähen legen die Nestmulde jedoch fein säuberlich mit den Schwanzhaaren von Oryxantilopen und den weichen Federn anderer Vögel aus. Andere Nester sind gut getarnt zwischen Blättern oder Pflanzen auf dem Boden versteckt. Küken, wie die der Kronenkiebitze, folgen den Eltern bereits wenige Tage nach dem Schlüpfen und legen sich bei Gefahr regungslos auf den Boden, wo sie gut getarnt fast nie entdeckt werden.
Auch die Jungen von Antilopen und Gazellen werden in ihren ersten Lebenstagen allein in einem Versteck zurückgelassen, wo sie regungs- und fast geruchlos auf die Rückkehr ihrer Mütter warten, um dann gierig zu säugen. Die Säugetiere können sich in der Regenzeit über den gesamten Park verteilen, da überall Wasser und Futter vorhanden ist. Elefanten und andere Pflanzenfresser nutzen diese Zeit, um in Gegenden zu ziehen, wo es kein permanentes Wasser, aber ausreichend Nahrung gibt. Die Raubtiere müssen ihnen folgen und so passiert es, dass Besucher nicht die Konzentrationen an Großsäugern zu sehen bekommen wie im Winter und in der Zeit vor den ersten Regenfällen. Dafür können aber die vielen kleinen Tiere bewundert werden.
Zwergflamingos und ihre größeren Artgenossen kommen nur in den Etosha-Nationalpark, wenn ausreichend Wasser in der Fischerpfanne bei Namutoni oder in der riesigen Etosha-Pfanne steht. Dann sind dort auch zahlreiche andere Wasservogelarten zu beobachten, wie Nimmersatt, Enten, Gänse, Stelzenläufer, Grünschenkel, Löffler und Regenpfeifer. Die Rotbauchschwalbe, ein interafrikanischer Zugvogel, sitzt auf Büschen am Straßenrand und baut ihre kunstvollen Lehmnester an der Decke von Wasserkanälen unter der Straße. Unzählige Vogelmännchen versuchen in ihrem prachtvollen, farbenfrohen Brutgewand die Gunst der Weibchen zu gewinnen. Andere versuchen es mit teilweise komplizierten Gesängen, mit Gezwitscher und/oder Tänzen.
Die Natur lebt, der Regen hat es möglich gemacht, und der Gast, der Mensch, muss diese Pracht nur entdecken und dann genießen.
Dirk Heinrich