Namibia hat 1990 seine Unabhängigkeit erlangt und sich seitdem zu einem politisch und wirtschaftlich stabilen Land entwickelt. Die Verfassung gilt als eine der fortschrittlichsten und liberalsten in Afrika, sie garantiert Gewaltenteilung, Pluralismus und Pressefreiheit. Trotzdem muss sich Namibia derzeit großen Herausforderungen stellen, denn die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Landfrage ungeklärt. Wo wird Namibia in 30 Jahren stehen?
Der freischaffende deutsche Journalist Fabian von Poser (FvP) und Chefredakteur des Sympathie-Magazins „Namibia verstehen“ stellte Gys Joubert (GJ) diese Frage. Gys Joubert ist Visionär und Geschäftsführer der Gondwana Collection, einem der größten Tourismusunternehmen im Land. Er hat zwei Masterabschlüsse in Rechtswissenschaften, hat jahrelang als Anwalt praktiziert und war zehn Jahre im Bankwesen tätig.
FvP: Herr Joubert, die namibische Regierung hat im Jahr 2004 den nationalen Entwicklungsplan "Vision 2030" verabschiedet. Was halten Sie davon?
GJ: Ich halte den Entwicklungsplan für gut und unterstütze ihn, hauptsächlich aus zwei Gründen: Erstens ist er sehr ehrgeizig und zweitens langfristig ausgelegt. Wir brauchen vorausschauendes Denken und langfristige Zielsetzungen. Die Herausforderung für jeden Plan liegt jedoch in seiner Umsetzung und das gilt meiner Meinung nach auch für unsere Vision 2030.
FvP: Welche Faktoren bestimmen ihrer Meinung nach die Zukunft Namibias a) politisch und b) wirtschaftlich?
GJ: Unsere Regierung hat in den vergangenen 28 Jahren ein politisch stabiles Umfeld geschaffen – das wirkt sich förderlich auf die Wirtschaft aus. Mit Blick in die Zukunft müssen wir unbedingt ein sicheres Regelungsumfeld schaffen, das Wachstum fördert. Namibia muss sich in einem zunehmend globalen Umfeld bewähren. Wir müssen uns als Land vermarkten, in dem es sich unbeschwert lebt, man unkompliziert Geschäfte macht, das Investieren leicht macht und das von Besuchern leicht erreicht werden kann.
Namibia hat einen gut entwickelten Privatsektor und vor allem ein stabiles Finanzwesen. Hinzu kommen ein angenehmes Klima, eine relativ gute Infrastruktur, unsere wunderschöne, unberührte Natur und weitere wertvolle natürliche Ressourcen. Trotz unserer niedrigen Bevölkerungszahl haben wir viel zu bieten. Um das für unser Land zu nutzen, müssen wir die Zusammenhänge der Weltwirtschaft verstehen und die Chancen, die sich uns bieten, nutzen.
FvP: Welche Rolle spielt die Lösung der Landfrage und wie kann sie zur Zufriedenheit aller beanwortet werden?
GJ: Selbst in einem so dünn besiedelten Land wie Namibia ist nicht genügend Agrarland vorhanden, um jedem Namibier ein ausreichendes Einkommen aus der Landwirtschaft zu verschaffen. Landwirtschaft spielt in unserem niederschlagsarmen Land eher eine geringe Rolle. Damit meine ich, dass die Landwirtschaft allein Namibia nicht zu einem reichen Land machen wird.
In der Bevölkerung herrscht jedoch große Unzufriedenheit, weil viele Menschen kein Zuhause haben. Land ist dabei eher nebensächlich. Einheitliche, transparente und gerechte Richtlinien auf nationaler und lokaler Regierungsebene könnten zur Erschließung weiterer Grundstücke beitragen und mehr Menschen zu einem Heim verhelfen. Derzeit gibt es nicht genügend Grundstücke; dadurch werden sie unerschwinglich, die Preise sind unrealistisch. Ein Großteil der Bevölkerung kann sich kein eigenes Heim leisten. Ein Zuhause zu haben, ist aber eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass Menschen in Würde leben können.
FvP: Wie kann in Zukunft die Kluft zwischen Arm und Reich geschlossen werden?
GJ: Das Schlagwort ist Bildung. Sie hat eine ausgleichende Wirkung. Als Nation müssen wir alles daran setzen, unseren Kindern eine gute, zweckdienliche Bildung mit auf den Weg zu geben. Nur dann können sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und im Leben erfolgreich sein.
Die Regierung stellt für das Bildungswesen beachtliche Mittel zur Verfügung, trotzdem lassen die Ergebnisse zu wünschen übrig. Der Verwaltung dieser Mittel kommt daher in Zukunft große Bedeutung zu. Außerdem sollten wir unser Bildungssystem kritisch daraufhin prüfen, ob unsere Lehrpläne für die heutige Welt noch relevant sind und ob sie mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt halten. Zweitens denke ich, dass SMEs, also Kleinunternehmen in Namibia, durch regulierende Maßnahmen in die etablierte Geschäftswelt integriert werden sollten. Ich bin davon überzeugt, dass die namibische Wirtschaft willens ist, historisch bedingte Ungleichheiten zu korrigieren. Das kann jedoch nur geschehen, wenn wir mehr Kuchen backen statt den vorhandenen Kuchen aufzuteilen. Wenn die Geschäftswelt dabei vor den Kopf gestoßen wird, dann ist niemandem geholfen, und die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt bestehen.
FvP: Was werden in 30 Jahren die Pfeiler der namibischen Wirtschaft sein? Was braucht Namibia für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung?
GJ: Eine klare Linie in der Rechtssicherheit. Für wirtschaftliches Wachstum braucht man weniger Regeln, nicht mehr. Eine Überregulierung des Marktes könnte sich nachteilig auswirken, vor allem in Afrika. Ich denke, dass unsere Tourismusindustrie die Zukunft Namibias nachhaltig mitgestalten kann. Hier leben nur 2,5 Millionen Menschen. Nachhaltiger Tourismus kann maßgeblich zu Wirtschaftswachstum und vor allem Arbeitsplatzbeschaffung beitragen, vor allem in ländlichen Gegenden abseits größerer Orte, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Dazu müssten alle Interessengruppen an einem Strang ziehen. Wir müssten alle gemeinsam in die erforderlichen Fähigkeiten investieren, die touristische Infrastruktur müsste mit der Industrie wachsen. Auch die nachhaltige und transparente Nutzung weiterer natürlicher Ressourcen könnte zur Armutsbekämpfung und Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten beitragen.
FvP: Was betrachten Sie als Säulen eines wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Tourismus?
GJ: Zunächst müsste ein förderliches Umfeld geschaffen werden. Der öffentliche Dienst und der Privatsektor müssten gleichermaßen in Nachhaltigkeit investieren. Wir benötigen eine angemessene Infrastruktur, wie zum Beispiel Flughäfen und Straßen, und wir brauchen Rechtssicherheit. Wir sollten das schützen, was wir verkaufen: unsere unberührte Natur. Dabei muss uns die Nachhaltigkeit immer am Herzen liegen, vor allem was den Wasserverbrauch und die Wiederaufbereitung von Wasser angeht. Wir müssen der namibischen Öffentlichkeit bewusst machen, wie wertvoll der Tourismus für unser Land ist und wie wichtig ein exzellenter Kundendienst sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor ist. Der Tourismus hat das Zeug, die wichtigste Industrie der namibischen Wirtschaft zu werden – und die nachhaltigste.
FvP: Werden die Folgen der Kolonialisierung und der Apartheid auch in 30 Jahren noch spürbar sein?
GJ: Bei dieser Frage sollte jeder Namibier in sein Herz schauen. Wenn jeder nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat, ohne an seine Mitmenschen zu denken, werden wir leider noch in 30 Jahren die Folgen der Geschichte spüren. Ungerechtigkeiten lösen sich nicht in Luft auf, sie erfordern entschlossenes Handeln. In diesem Zusammenhang möchte ich der Regierung ein Lob für die sozialen und wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen 28 Jahre aussprechen. Sozial sind wir meiner Meinung nach eine kohärente Nation, müssen aber davon ausgehen, dass wirtschaftliche Not Auswirkungen darauf haben könnte. Jeder steht in der Verantwortung etwas zu ändern. Wenn wir das tun, dann wird dieses Erbe in 30 Jahren auf die Geschichtsbücher beschränkt sein.
Die Geschichte erweist sich hier als Gedankenanstoß. Wenn wir verstehen, dass unsere Verschiedenheit uns stärker macht, wenn wir uns nicht nur tolerieren sondern respektieren und unsere Unterschiede schätzen lernen, dann werden wir am Ende wesentlich besser dastehen.
An diesen Credo orientiert sich die Gondwana Collection, setzt es erfolgreich um und hat damit in Namibia Vorbildfunktion.
Das deutsche Sympathie-Magazin "Namibia verstehen" bemüht sich um die Förderung von interkulturellem Verständnis. Es wird vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) herausgegeben.