Wenn ich im Auto unterwegs bin, habe ich Zeit zum Nachdenken – über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Außerdem ist es mir zur Gewohnheit geworden, auf einer Fahrt mindestens ein- oder zweimal anzuhalten, um mit Menschen zu plaudern, ihre Geschichten zu hören und faszinierende, oft schon vergessene Orte zu besuchen. Padlangs enthält einige der Gedanken und Geschichten, die ich unterwegs gesammelt habe.
Namibia nimmt einen wichtigen Platz in meinem Herzen ein und inspiriert mich stets aufs Neue. Und immer wieder fällt mir bei meinen Fahrten auf, wie erfindungsreich die Namibier sind.
Kürzlich habe ich einen neuen Begriff kennengelernt: Upcycling. Im Gegensatz zum Recycling, der Wiederverwertung von Rohstoffen, ist Upcycling die kreative Veredelung von Abfall. Aus Dingen, die im Müll gelandet sind, wird etwas anderes mit neuem Wert produziert. Wir Namibier machen das mit großem Geschick.
Auf meinen Fahrten durch das ländliche Namibia habe ich viele Beispiele von Abfallveredelung gesehen, die ganz einfach und zugleich sehr clever sind. Meistens halte ich an, weil ich wissen möchte, wer der kreative Mensch ist, und um zu fragen, ob ich ein Foto machen kann. Das führt häufig zu langen Unterhaltungen und neuen Freundschaften. Die Ziegen-Glocke gehört zu meinen Favoriten: Es ist ein umfunktionierter alter Metallbecher, innen mit einer Schraubenmutter versehen, der Ziegen als Glocke umgehängt wird, um Raubtiere zu vertreiben.
Schiedsrichterpfeife und FussballEin anderes Lieblingsstück ist eine Schiedsrichterpfeife, aus Kunststoff- und Metallteilchen raffiniert zusammengebastelt. Und neulich sah ich einen alten Feuerlöscher, der als Topf zum Wasserkochen diente, und eine der Länge nach halbierte Gasflasche, die als Viehtränke genutzt wurde. Eine andere alte Gasflasche fand als Kirchenglocke neue Verwendung.Aber umfunktionierte Gegenstände dienen nicht nur praktischen Zwecken, sie sind ebenso wichtig für Spiel und Spaß. In der Sambesi-Region oben im Norden sah ich häufig Fußbälle aus Plastiktüten, die mit Stoffresten zusammengebunden waren.
Ein leerer Castrol-Öl-Kanister und ein langes dünnes Brett ergeben eine gute „Blechdosen-Gitarre“, mit etwas Fantasie wird eine verrostete Windhoek Lager-Bierdose das Dach eines Spielzeuglastwagens und ein beinloser Plastikstuhl auf dem Gestell einer Schubkarre befestigt, bereitet Kindern stundenlang Vergnügen.
Bisweilen kann etwas Ausgedientes sogar ein nettes Zuhause werden – wie dieser Kombi. Als seine Tage auf der Straße gezählt waren, wurde seine Lebensdauer durch Upcycling verlängert.
Mir sind auch Überbleibsel der Vergangenheit begegnet. Wenn sie sprechen könnten, würden sie eine interessante Geschichte erzählen: beispielsweise ein Soldatenhelm der südafrikanischen Streitkräfte, den eine Ovahimba-Frau als Topf benutzt; oder das Toyota-Logo auf einer rostigen Heckklappe, das geschickt in DTA geändert wurde, das Kürzel für Demokratische Turnhallen-Allianz. Das Ende der Siebziger Jahre entstandene Parteienbündnis DTA hatte das Ziel, die ethnischen Gruppen des Landes in einem demokratischen Namibia zu vereinen. Ein bestimmtes Upcycling-Produkt hat allerdings den Vogel abschossen und mir bewusst gemacht, dass Upcycling vielleicht auch metaphorisch betrachtet werden kann, nämlich dahingehend, dass dem Negativen im Leben etwas Positives abgerungen werden kann: Es waren die Hühnerställe auf der Farm eines ehemaligen Ministers. Sie bestanden aus den Verdecken der Ladeflächen alter Gefängniswagen, mit denen die Polizei einst Kriminelle und Aktivisten transportierte.
Angesichts dieser Fügung des Schicksals musste ich schmunzeln, als ich auf eine andere Landstraße fuhr, den Kopf voller wunderbar nützlicher und kreativer Upcycling-Erfindungen.
Nehmen Sie sich, wenn Sie durch Namibia fahren die Zeit, unterwegs anzuhalten. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie Dinge entdecken werden, die mit unglaublichem Einfallsreichtum und handwerklichem Geschick wiederverwertet und veredelt wurden.
Mannfred Goldbeck