Auf der zweiten nationalen Landkonferenz haben die über 800 Delegierten Anfang Oktober 2018 in friedlicher Atmosphäre entscheidende Änderungen für die Landreform beschlossen – alles im Rahmen der Gesetze. Das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Besitz bleibt im Prinzip bestehen, jedoch dürfen Ausländer zukünftig keine privaten Immobilien mehr in Namibia besitzen. Namibische Staatsbürger dürfen in Zukunft nur eine einzige Farm besitzen. Bevölkerungsgruppen, die während der deutschen Kolonialzeit und der jahrzehntelangen südafrikanischen Fremdherrschaft Land verloren haben, sollen nun bei Ansiedlungsprogrammen bevorzugt werden.
Präsident Hage Geingob hat weißen namibischen Staatsbürgern versichert, dass sie „sicher und willkommen“ in Namibia seien und sich „nicht schuldig für die koloniale und rassistische Brutalität der Vergangenheit fühlen müssen“. Die Konferenz sollte schon 2016 stattfinden, wurde aber zweimal verschoben, da die Bevölkerung mehr Beratungen zur Vorbereitung gefordert hatte.
Fünf Tage lang haben Vertreter der Regierung, des Privatsektors, von Zivilgesellschaften, Kirchen und traditionelle Stammesführer in Windhoek über Reformen für die Landreform diskutiert. Mehr als 40 Referate und Vorträge bis spät abends verschafften in den ersten beiden Tagen Überblick über die fünf im Voraus festgelegten Themen: kommerzielle, kommunale und städtische Landreform, Besteuerung und Abschätzung kommerzieller Farmen und als fünftes Thema Ansprüche auf vorväterliches Land (‚ancestral land‘). Am dritten und vierten Tag teilten sich die Delegierten in fünf Arbeitsgruppen auf, um diese Themen zu erörtern und Empfehlungen auszuarbeiten. Am letzten Tag, dem 5. Oktober, wurden die über 170 Vorschläge dem Plenum vorgetragen und nach längeren Diskussionen und Änderungsvorschlägen in der Endfassung nachmittags als Beschlüsse verabschiedet.
Da wenige Tage vor der Konferenz ein Papier der Regierung aufgetaucht war, dass quasi schon Beschlüsse vorweggenommen und Ansprüche auf vorväterliches Land zwar zur Diskussion zulassen wollte aber nicht geltend machte, weigerten sich über ein Dutzend traditionelle Stammesführer an der Konferenz teilzunehmen. Einige Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen schlossen sich an. Vizepräsident Nangolo Mbumba intervenierte und lud die erbosten Stammesführer zu einem Gespräch ein, das drei Stunden dauerte. Die Stammesführer blieben hart. Präsident Geingob hatte dann zur Eröffnung der Konferenz nachdrücklich alle „Boykotteure“ eingeladen doch noch teilzunehmen, was einige ab dem zweiten Tag taten oder Vertreter schickten.
Das Thema Landverlust der Hereros, Namas, Damaras und San durch Kolonialismus entwickelte sich schnell zum Hauptthema. Verschiedene Stammesführer wie Stephanus Goliath der Nama und Hereroführer Gerson Katjirua schilderten eindringlich in Anwesenheit des Staatsoberhauptes und des gesamten Kabinetts, wie sie nach den Aufständen 1904 bis 1907 durch Verlust von Land und Vieh seither in Armut leben. Trotz Anträgen auf Wiederansiedlung werden viele Hereros, Namas und Damaras übergangen. „Es ist ein Generationstrauma, das bis heute nachwirkt“, sagte ein sichtlich bewegter Präsident Geingob.
Die Delegierten waren sich einig, dass die Landreform seit ihrer Einführung 1995 nicht die gewünschten Erfolge brachte und nur schleppend vorankommt. Ebenso wurde klar, dass viele Beschlüsse der ersten nationalen Landkonferenz von 1991 nicht vollständig umgesetzt wurden. Das gilt unter anderem für die Beschlüsse von 1991, dass Staatsbürger nicht mehr als eine Farm besitzen sollen und dass Farmen von abwesenden ausländischen und namibischen Farmbesitzern – gegen Entschädigung – enteignet werden sollen. Diese Beschlüsse wurden jetzt im Oktober 2018 bestätigt.
Das Prinzip „williger Käufer, williger Verkäufer“ soll abgeschafft und durch andere Methoden der Regierung Farmland aufzukaufen, ersetzt werden.
Die Größe der Farmen soll reguliert werden. Sprachgruppen, die ihr Land während der Kolonialzeit verloren haben, sollen bei Wiederansiedlungen im Verhältnis 70:30 angesiedelt werden (70% dieser Sprachgruppen und 30% alle anderen Sprachgruppen). Eine Kommission soll ernannt werden, die Ansprüche auf vorväterliches Land und dessen Rückgabe untersuchen soll. Der Veterinärzaun soll mittelfristig an die Grenze zu Angola verschoben werden. Nationalparks sollen nicht verkleinert werden. Der Bau einer Entsalzungsanlage an der Küste wurde als Priorität beschlossen, um mit diesem Wasser Gemüse und Getreide in der Namib-Wüste anzubauen. Die Forderung der beiden Altpräsidenten Sam Nujoma und Hifikepunye Pohamba, Namibias Gesamtoberfläche zu verstaatlichen und Farmen nur zu verpachten, wurde nicht zu den Beschlüssen hinzugefügt.
Da inzwischen fast 47 Prozent der namibischen Bevölkerung (insgesamt 2,3 Millionen Einwohner) in Städten lebt und nur noch 53 Prozent auf dem Lande, hat sich die Landkonferenz auch mit Wohnraum und Baugrund befasst. Es wurde beschlossen, dass Ausländer zukünftig keine privaten Wohn-Immobilien mehr besitzen dürfen, nur Grundstücke und Gebäude für gewerbliche Zwecke. Der nach Namibias Unabhängigkeit abgeschaffte Mietkontrollrat soll wieder eingeführt werden. Der Verkauf von Baugrund für sogenannte Entwickler, die darauf kleine Reihenhäuser bauen und mit hohen Profiten verkaufen, soll reguliert werden. Städte sollen mehr Grundstücke für Einfachhäuser erschließen, damit Niedrigverdiener sie bezahlen können.
Namibia wurde 1990 unabhängig. Nach der ersten nationalen Landkonferenz 1991 entschied sich Namibias Regierung für zwei Prinzipien, um die Landreform einzuführen: Wiederansiedlung von zuvor benachteiligten Namibiern auf kommerziellem Farmland und eine vergünstigtes Kreditsystem (Affirmative Action Loan Scheme – AALS) für besser verdienende schwarze und farbige Namibier, um Farmen zu kaufen. Über die sogenannten AALS-Kredite der AgriBank wurden von 1992 bis 2018 rund 3,4 Millionen Hektar gekauft. Weitere 2,8 Millionen Hektar Farmland wurden von schwarzen Namibiern durch normale Kredite von Handelsbanken gekauft. Somit sind insgesamt 6,2 Millionen Hektar kommerzielles Farmland – 648 Farmen in schwarzem Privatbesitz. Sie wurden für insgesamt N$777,4 Millionen (etwa 46,2 Millionen Euros) angekauft. Das bedeutet durchschnittlich N$1,2 Millionen (etwa 71.400 Euros) pro Farm.
Diese Farmen haben durch das von der Regierung eingeführte Prinzip „williger Verkäufer, williger Käufer“ den Besitzer gewechselt. Jeder weiße Farmbesitzer muss zuerst der Regierung seine Farm anbieten, wenn er sie verkaufen will. Lehnt das Landreformministerium ab, erhält der Besitzer ein Zertifikat (,waiver‘), dass er die Farm auf dem freiem Markt einem „willigen Käufer“ verkaufen kann.
Seit 1990 wurden der Regierung 5.688 Farmen (insgesamt 18,2 Millionen ha) zum Kauf angeboten, sie hat bisher nur 549 Farmen mit 3,2 Millionen Hektar für insgesamt N$1,8 Milliarden (etwa105 Millionen Euros) gekauft. „Das zeigt, dass die Landreform über das AALS-Kreditsystem schneller, billiger und erfolgreicher ist“, wies ein Delegierter der Landkonferenz hin. Bis 2018 wurden 5.338 Personen auf von der Regierung gekauften Farmen angesiedelt. Nur sieben Farmen wurden bisher enteignet, den weißen Farmbesitzern wurde jeweils eine dem Markt angepasste Entschädigung gezahlt.
Den neuesten Zahlen der namibischen Statistikbehörde zufolge gibt es 39,7 Millionen Hektar Agrarland und davon sind 27,9 Millionen Hektar – siebzig Prozent - im Besitz von Weißen. Vorher benachteiligte Namibier besitzen 6,4 Millionen Hektar (16 %) des kommerziellen Farmlandes, die Regierung 5,4 Millionen Hektar (14 %). Es gibt 7.506 Farmen und 4.876 Teile von Farmen (portions of farms) in Namibia, insgesamt 12.382 Farmen. Genau 281 Farmen mit insgesamt 1,3 Millionen Hektar gehören Ausländern, teilte der zuständige Direktor im Landreformministerium, Peter Nangolo, mit. Rund 34 dieser Farmen besitzen Ausländer gemeinsam mit Namibiern. Deutsche Staatsbürger besitzen knapp 53 Prozent der 1,3 Millionen Hektar, Südafrikaner 29,3 Prozent, US-Amerikaner 6,8 Prozent (82.024 ha) und Schweizer 3,5 Prozent der 1,2 Millionen Hektar. Auch Briten, Italiener, Holländer, Kanadier, Chinesen, Portugiesen und Russen besitzen Farmland.
Abgesehen von dem AALS-Kreditsystem für schwarze Farmer von 1992 hat Namibias Landreform ab 1995 begonnen. Ziel der Regierung ist, bis zum Jahre 2020 insgesamt 15 Millionen Hektar Farmland für die bis 1990 benachteiligten Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Im Detail bedeutet es, dass die Regierung bis 2020 fünf Millionen Hektar für Wiederansiedlungswecke kaufen will. Bisher wurden 3,2 Millionen ha gekauft. Zehn Millionen Hektar sollen bis 2020 über AALS-Kredite in den Besitz von schwarzen Namibiern gewechselt haben. Bis dato sind 6,2 Millionen Hektar erreicht worden. „Fast zwei Drittel der anvisierten 15 Millionen Hektar sind geschafft, wir sind ist auf einem guten Weg. Wenn die Wirtschaftsflaute ab 2016 nicht gekommen wäre, würde die Bilanz noch besser aussehen“, sagt ein europäischer Diplomat.
Das Gesetz für die kommerzielle Landreform wurde 1995 verabschiedet, das war der Auftakt für die Landreform. Die nationalen Richtlinien für Wiederansiedlung wurden 1998 angekündigt, die Regierung geht von 240.000 Anwärtern für Ansiedlung aus, eine offizielle Liste wurde nie veröffentlicht. Die Aufgaben der traditionellen Stammesführer in ländlichen (kommunalen) Gebieten die Vergabe von Land an Untertanen und Touristikunternehmen betreffend, wurden 2000 im Gesetz für Stammesführer verankert. Das Regelwerk für kommunale Landreform wurde 2001 eingeführt und 2002 das Gesetz für kommunale Landreform verabschiedet. Ende 2017 hat Landreformminister Utoni Nujoma einen neuen Gesetzentwurf im Parlament vorgelegt, der die getrennten Gesetze für kommerzielle und kommunale Landreform vereint. Der Minister hatte einige Tage später den Entwurf zurückgezogen, nachdem die Opposition empfohlen hatte, erst die zweite nationale Landkonferenz abzuwarten.
Brigitte Weidlich