Ein Besuch in Namibias Nationalgalerie in der Windhoeker Innenstadt lohnt sich. Jährlich finden dort verschiedene Vernissagen statt, sie widerspiegeln Namibias dynamischen, zeitgenössischen Kunstsektor.
Die permanente Kunstsammlung ist eine wahre Schatzgrube für Kunstliebhaber von nah und fern. Viele Besuche fühlen sich zu den verschiedenen, ausdrucksstarken Linolschnitten in schwarz-weiß mit afrikanischen Dorfszenen und kirchlichen Motiven hingezogen. Die Linolschnitte sind mit beschreibenden Texten versehen.
Dass es sich bei diesen Linolschnitten um Bilder von John Muafangejo handelt, ist klar erkenntlich. Er ist einer der berühmtesten modernen Künstler Namibias, der auch international ausstellte.
Obwohl Muafangejos Leben 1987 kurz nach seinem 44. Geburtstag jäh durch einen Herzanfall endete, ist seine Hinterlassenschaft nach wie vor präsent und lebendig. Es hat auch damit zu tun, dass Muafangejo der erste schwarze namibische Künstler war, der ethnische Barrieren durchbrach und Kunstliebhaber der verschiedensten Sprachgruppen und Schichten im In- und Ausland faszinierte.
John Ndavesia Muafangejo wurde am 5. Oktober 1943 im Dorf Etunda lo Nghadi im Süden Angolas geboren. Er gehörte zu den Ukwanyama, einer Untergruppe der ethnischen Owambo, die im zentralen Norden Namibias und in Südangola leben. Die Owambo sind die größte Ethnie in Namibia mit verschiedenen Untergruppen.
Muafangejo wuchs in einem typisch traditionellen Gehöft und in einem großen Familienverband auf. Wie alle Jungen damals hütete er das Vieh. Als Erwachsener erinnerte sich der Künstler immer wieder gern an die ersten Jahre seiner Kindheit in der Großfamilie zurück - sein Vater hatte acht Frauen.
1955 starb der Vater, Johns Mutter wurde bekehrte Christin und zog 1956 nach Epinga auf der namibischen Seite der angolanischen Grenze, wo eine anglikanische Missionsstation war. Ein Jahr später folgte John im Alter von 12 Jahren, um fortan bei der Mutter zu leben. Er ging dort auch zur Schule. 1964 besuchte er die Heiligkreuz-Missionsschule in Onamunama und wenig später die anglikanische Saint Mary‘s Oberschule in Odibo, nur einen Steinwurf von der Grenze zu Angola entfernt. Dort entdeckte ein US-amerikanischer Missionar das künstlerische Talent des jungen Mannes. Der Missionar unterstützte ihn bei der Bewerbung für ein Kunststudiums beim „Lutheran Arts & Craft Centre“ der evangelischen Kirche in Rorke‘s Drift in Natal, Südafrika. Das Zentrum wurde 1962 auf Betreiben des schwedischen Ehepaares Ulla und Peder Gowenius gegründet. Es bot damals in der Apartheidszeit eine der wenigen Möglichkeiten für schwarze Künstler, sich fortzubilden.
Muafangejo wurde angenommen und begann Anfang 1968 sein Studium.
Nach achtzehn Monaten bekam der junge Nachwuchskünstler einen Nervenzusammenbruch und wurde ins Hospital eingeliefert. Bei dem freundlichen, sensiblen und stillen jungen Mann wurde Bipolarität festgestellt. Er kehrte nach einigen Wochen nach Rorke‘s Drift zurück und schloss sein zweijähriges Studium im vorgeschriebenen Zeitraum von zwei Jahren ab. Wie Muafangejos Freunde später erzählten, nahm er für den Rest seines Lebens regelmäßig seine Medikamente ein. Wenn es ihm nicht gut ging, verbrachte er einige Zeit in seinem Zimmer, bis er wieder „der Welt ins Auge sehen konnte“.
Schon während seines Studiums wurden Muafangejos Kunstwerke 1969 in der Kunstgalerie von Durban, Natal ausgestellt. Besonders die charakteristischen Holz- und Linolschnitte in Schwarz-weiß fielen auf. Im gleichen Jahr wurden seine Werke in der Kunstgalerie von Natal und dem „Camden Arts Centre“ in London gezeigt.
Es war ein großer und wichtiger Moment für John Muafangejo, seine Mutter, Freunde und die Saint-Mary‘s Oberschule als er nach abgeschlossenem Studium zurückehrte und Anfang 1970 als Kunstlehrer dort unterrichtete. Nach vier Jahren Lehramt wurde Muafangejo 1974 als „Künstler des Hauses“ [statt“resident“ Künstler] nach Rorke‘s Drift eingeladen, nachdem er von der Windhoeker Familie Behnsen ein Stipendium erhalten hatte. Während seines Natal-Aufenthaltes wurden Muafangejos Kunstwerke in Washington, London und Südafrika ausgestellt. Namibias Kunstvereinigung und ihre Mitglieder wie Rosemarie von Seggern, Nana Wagner und Annaleen Eins wurden auf den Künstler aufmerksam und wollten seine Werke ausstellen.
Anfang 1976 war Muafangejo zurück in Odibo und wieder als Kunstlehrer tätig. Der südafrikanische Künstler Walter Battiss veröffentlichte im selben Jahr eine Sammlung von Muafangejos Werken als Druckausgabe, ein ungewöhnliches Engagement in der Apartheidszeit.
1977 entschied sich Muafangejo zu einem großen Schritt und zog von Odibo in die 800 km entfernte Hauptstadt Windhoek, um als selbständiger Künstler zu arbeiten. Die anglikanische Kirche stellte ihm auf dem Kirchengelände in der Innenstadt eine Wohnung und ein kleines Atelier zur Verfügung. Seine Kunstwerke verkauften sich gut.
1978 schaffte die südafrikanische Regierung die Apartheid in Namibia offiziell ab. Die Einwohner aller Sprachgruppen konnten endlich gesellig miteinander verkehren und sich beispielweise in Restaurants treffen, ohne Angst verhaftet zu werden. Allerdings fanden Verhaftungen noch manchmal statt, besonders im Norden, der „Militärzone“.
Inzwischen organisierten Kunstliebhaber und Gönner in Namibia, Südafrika und Übersee für Muafangejos charakteristische Linolschnitte Ausstellungen in Sao Paulo, New York, Berlin, Hamburg und Helsinki.
1986 erwarb der Künstler ein kleines Grundstück in dem Wohngebiet Katutura im Nordwesten von Windhoek und baute sich ein Häuschen, das er im Jahr darauf beziehen konnte.
Bedauerlicherweise verstarb John Muafangejo ganz plötzlich am 27. November 1987 an einem Herzinfarkt, knapp sieben Wochen seinem 44. Geburtstag. „Die Todesnachricht war ein schlimmer Schock“, erinnert sich ein Freund. „Es war auch tragisch, dass John die Unabhängigkeit Namibias am 21. März 1990 nicht mehr erleben konnte.“
Der namibische Künstler hat nicht nur verschiedene Techniken wie Holz- und Linolschnitt hervorragend gemeistert, sondern hat damit seinen eigenen Stil entwickelt und seinen Bildern beschreibende Texte hinzugefügt. Mit dieser Kombination von Wort und Bild vermittelt Muafangejo dem Betrachter seine Beobachtungen des religiösen, politischen, sozialen und traditionellen Lebens. „Texte und Bilder in seinen Werken tragen zum Verständnis bei und schließen Fehlinterpretationen aus“, erklärte Annaleen Eins in einer Würdigung Muafangejos.
1994 wurde im Andenken an den Künstler das „John Muafangejo Art Centre“ (JMAC) gegründet. Das JMAC fördert auch junge Nachwuchskünstler. Das Zentrum war jahrelang in den ehemaligen Kamelställen der deutschen Kolonialzeit oben auf dem Berg hinter dem Premierministeramt untergebacht. Seit 2015 hat das JMAC Räumlichkeiten in der Alten Brauerei (auch als Arts & Craft Centre bekannt) in der Windhoeker Innenstadt. In Katutura wurde eine Zweigstelle eingerichtet.
Im November 1993 wäre Muafangejo 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass wurde in der Nationalen Kunstgalerie eine große Gedenkausstellung organisiert. Zehn Jahre nach seinem Tod hat die Philatelie-Abteilung der Post 1997 zu Ehren des so früh Verstorbenen eine Briefmarke veröffentlicht.
Die größte Sammlung von Muafangejos Werken ist in der Windhoeker Nationalgalerie untergebracht.
Brigitte Weidlich