Es sind einige Jahrzehnte vergangen, seit Namibia auf der Weltbühne erschien. 1875 erregte das Land im Südwesten Afrikas zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der westlichen Welt, als der schwedische Entdecker Charles John Andersson seinen Bestseller Notes of Travel in South-western Africa herausbrachte. Weiteres Interesse weckte 1908 der erste Diamantenfund sowie im Laufe der Jahre Begebenheiten wie Sam Davis‘ Reportage über die windgepeitschte Skelettküste 1933, die Unabhängigkeit Namibias 1990 und die Berichterstattung über den Besuch der Schauspieler Angelina Jolie und Brad Pitt 2006, um nur einige zu nennen.
Schon bald verbreitete sich die Nachricht von der natürlichen Schönheit unseres Landes, das sich nicht nur durch vielseitige, atemberaubende Landschaften auszeichnet − von den überwältigenden Sanddünen der Namib bis hin zur üppigen Wasserwelt im Nordosten des Landes −, sondern auch durch eine gute Infrastruktur, stabile Demokratie und Pressefreiheit. Namibia wurde als leicht zu bereisendes und dennoch exotisches Reiseland der „Liebling Afrikas“. Der romantische Reiz, den der schwarze Kontinent schon immer für den unerschrockenen Reisenden hatte, wurde von den faszinierenden Menschen, Landschaften und Tieren noch verstärkt.
Im Vergleich zum Rest der Welt empfängt Namibia eine eher geringe Zahl ausländischer Touristen. Trotzdem zählt der namibische Tourismussektor zu den am schnellsten wachsenden Tourismusindustrien der Welt. Namibia gilt heute als eines der besten und sichersten Reiseländer Afrikas.
Ein Blick auf die vergangenen 28 Jahre zeigt, dass zwei Faktoren die Reiselust wesentlich beeinflussen, nämlich das Vertrauen in das Land und die Erschwinglichkeit. Namibia hat in der Vergangenheit immer dann einen deutlichen Anstieg von Touristenzahlen erlebt, wenn der südafrikanische Rand (und der daran gekoppelte Namibia Dollar) schwach war, wodurch das Reisen in Namibia für Ausländer erschwinglicher wurde. Zudem haben dramatische Ereignisse in Afrika oder anderen Teilen der Welt einen negativen Einfluss auf die Touristenzahlen gehabt. Beispiele dafür sind die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten, die Invasion des Irak im Jahr 2003 oder der Ebola-Ausbruch in Westafrika im Jahr 2014.
Nach den friedlichen Wahlen von 1990 hat die Regierung Namibias an ihrer Absicht festgehalten, die Transparenz zu verbessern und eine zunehmend integrierte, stabile Gesellschaft und Wirtschaft aufzubauen. Dieses Umfeld begünstigte die Entwicklung des namibischen Tourismus zu dem gereiften (wenn auch weiter ausbaufähigen) Industriezweig, der er heute ist. Wenn man bedenkt, dass der Tourismussektor bei der Unabhängigkeit Namibias in den Kinderschuhen steckte, ist das durchschnittliche Wachstum von 5,5 % in den vergangenen 20 Jahren eine außergewöhnliche Leistung. Namibia hat damit den am schnellsten wachsenden Tourismussektor der Welt, der heute mehr als 15% zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt.
Außerdem bot die Reise- und Tourismusbranche im vergangenen Jahr 102.500 Menschen direkt und indirekt Arbeit, was 19,2 % der Gesamtbeschäftigung entspricht. Bis 2025 sollen 186.000 Arbeitsplätze (25,0 % der Gesamtbeschäftigung) geschaffen werden. Das bedeutet einen Anstieg von 5,7% pro Jahr. Damit leistet die Reisebranche einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die in Namibia derzeit auf etwa 30 % beziffert wird. Schätzungen zufolge wird durch jeweils dreizehn zusätzliche Touristen, die Namibia bereisen, ein neuer Arbeitsplatz geschaffen. Die Zunahme der Touristenzahlen in Namibia hätte also unmittelbare und signifikante Auswirkungen auf die Beschäftigungslage des Landes.
Namibia ist das erste afrikanische Land, das den Umweltschutz in seine Verfassung aufgenommen hat. Die Nutzung und der Schutz der natürlichen Ressourcen durch die Einrichtung von kommunalen Hegegebieten ist ein weiteres, bemerkenswert fortschrittliches Umweltkonzept. Namibia gilt als Vorreiter in Sachen ‚Community Based Natural Resource Management‘ (CBNRM).
Insgesamt stehen 42 % des Landes unter Naturschutz. Kommunale Hegegebiete wurden gemäß dem CBNRM-Konzept in ganz Namibia eingerichtet, um die lokalen Gemeinschaften an der Nutzung der natürlichen Ressourcen teilhaben zu lassen und daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. Ferner sollte damit ihre Unterstützung für den Naturschutz gewonnen werden. Die namibische Umweltpolitik begünstigt nachhaltigen Tourismus. Trotzdem befinden sich bisher nur 4 % aller verfügbaren Betten in Namibia in den kommunalen Hegegebieten. Dort bietet sich viel Potenzial für die weitere Entwicklung des Tourismus.
Es liegt auf der Hand, dass die staatlichen und auch privaten Initiativen zur Förderung des Umweltschutzes dazu beitragen, Namibia als hochwertige Reisedestination für einzigartige Naturerlebnisse und Tierbeobachtungen zu etablieren.
Die Tourismusindustrie gilt fast 30 Jahre nach Namibias Unabhängigkeit immer noch als von ‚Weißen‘ dominiert. Während schwarze Namibier in Einstiegspositionen und auf der unteren Ebene gut vertreten sind, sind sie als Eigentümer von Touristikunternehmen, Teilhaber und Hotelmanager eher unterrepräsentiert. Die gegenwärtige Situation ist zweifellos ein Vermächtnis der Apartheid und der Entwicklung der Industrie nach der Unabhängigkeit. Um den Transformationsprozess zu beschleunigen und den Qualifikationsanforderungen der heutigen Tourismusindustrie gerecht zu werden, müssen Aus- und Weiterbildung dringend gefördert und die Servicequalität verbessert werden.
Zudem muss die Infrastruktur Namibias mit den Anforderungen der modernen Welt Schritt halten. Durch zunehmende Verstädterung und Wachstum im Baugewerbe und Bergbau ist der Strom- und Wasserbedarf rapide gestiegen. Obwohl die namibische Straßeninfrastruktur im regionalen Vergleich gut abschneidet, muss in ihre Instandhaltung und ihren Ausbau investiert werden. Die wachsende Tourismusindustrie macht eine Kapazitätserweiterung der Flughäfen notwendig.
Namibia genießt weltweit ein positives Image als sicheres Reiseland und weckt die Erwartung auf ein unvergessliches, abenteuerliches Afrika-Erlebnis. Es liegt in unserer Hand, durch ein kontinuierliches Management der Marke Namibia auf der Weltbühne dafür zu sorgen, dass die Popularität unseres Landes für Reisende erhalten bleibt.
Die Welt ist seit den Anfängen der namibischen Tourismusindustrie viel vernetzter und zugänglicher für Reisende geworden. Das macht sie wettbewerbsfähiger als je zuvor. Um im bisherigen Tempo weiter wachsen zu können, muss der Sektor seine Produkt- und Erlebnispalette ständig weiterentwickeln und den Anforderungen eines immer anspruchsvolleren Touristen gerecht werden.
Die Reisenden von heute wissen mehr und verlangen mehr. Ausrüstet mit Technologie und Zugang zu Informationen über das World Wide Web und Social Media Plattformen, benötigen sie kaum noch die Unterstützung einer dritten Instanz für die Planung und Durchführung ihrer Reisen.
Da Touristen immer mehr Wert darauf legen, persönlichen und authentischen Kontakt zu ihrem Reiseziel herzustellen, sind aufrichtige und einfühlsame Serviceleistungen wichtige Dimensionen des Reiseerlebnisses. Die Tourismusindustrie ist gefordert, ihre Besucher mit beeindruckenden Reiseerlebnissen, verlockenden Unterkünften und spannenden Aktivitäten in diesem immer stärker umkämpften Markt zu begeistern.
Stabile und zuverlässige mobile Datenverbindungen gehören nach wie vor zu den größten Herausforderungen in Namibias ländlichem Raum. Obwohl die Netzabdeckung im Land gut ist, wäre eine erweiterte 3G-Versorgung notwendig, damit Reisende ihre Reiseerlebnisse online teilen können.
Namibia ist bekannt als das Land der Weite. Es hat eine Fläche von 824.268 km² und nur 2,3 Millionen Einwohner (Dichte 2,2 pro km²), die 13 ethnische Gruppen repräsentieren. Diese faszinierende kulturelle Vielfalt, zusammen mit einer außergewöhnlichen Tier- und Pflanzenwelt und einer vorbildlichen Umweltpolitik machen es zu einem nachhaltigen Reiseziel, bei dem der Naturschutz immer eine wichtige Rolle spielen wird.
Laut Regierungsstatistiken hat Namibia in den vergangenen 20 Jahren etwa 20 Millionen Touristen empfangen. Als „internationaler Tourist“ wird jede Person bezeichnet, die sich 24 Stunden lang in einem Land aufhält; eine Definiton, die zum Beispiel auch auf Geschäftsreisende zutreffen könnte. Deshalb kann man davon ausgehen, dass nur etwa ein Drittel der 20 Millionen Touristen, die nach Namibia eingereist sind, hochwertige Freizeittouristen sind. Das lässt viel Raum für weitere Urlauber im Land der Weite, wenn man die folgenden Faktoren berücksichtigt.
Der Tourismus in Namibia folgt einem stark saisonbedingten Muster. In der touristischen Hochsaison von Juli bis Oktober sind die Unterkünfte in der Regel außergewöhnlich gut ausgelastet. Das geht sogar so weit, dass in dieser Zeit oft nicht genügend Betten verfügbar sind. Dagegen liegt die Bettenbelegung in der Nebensaison oft nur bei 25%. Dabei ist Namibia mit seinen 300 Sonnentagen und immer angenehmen Temperaturen zu jeder Jahreszeit ein tolles Reiseland. Während November bis Januar eine beliebte Zeit für Europäer ist, die vor dem Winter flüchten, sind die Monate Januar bis Juni ideal für eine erholsame Zeit fernab von Touristenströmen in einem blühenden, grünen Namibia.
Im Durchschnitt konzentrieren sich 75 % der touristischen Aktivitäten auf die westliche Region, Etosha und die Sambesi-Region, wo sich die bekanntesten namibischen Sehenwürdigkeiten befinden. Der Rest des Landes dient in erster Linie als Einstiegs- oder Transitgebiet. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Niederschlagsmenge von weniger als 150 mm ist der westliche Teil des Landes für die Landwirtschaft ungeeignet. Das Gleiche gilt wegen des kargen Bodens für die Sambesi-Region. Da die Gegend um den Etosha-Nationalpark anfällig für Konflikte zwischen Wildtieren und Farmern ist, könnte dieses Gebiet ebenfalls eher als für den Tourismus geeignet eingestuft werden (im Hinblick auf ihr Landnutzungsmodell im Gegensatz zur Viehzucht). Diese niederschlagsarmen Gebiete haben ein unglaubliches Wachstumspotenzial für den Tourismussektor, wenn sie entsprechend gefördert werden. Eine sozio-ökonomische Studie der Gondwana Collection in ihrem Unternehmen am Fischfluss Canyon (im Niederschlagsgebiet unter 150 mm) ergab, dass die Produktion pro Hektar im Vergleich zur kommerziellen und/oder kommunalen Landwirtschaft 34 Mal höher war.
Nach fast drei Jahrzehnten hat der namibische Tourismussektor die Pionierphase hinter sich gelassen und befindet sich in der Konsolidierungsphase. Das bemerkenswerte Wachstum war und ist für das Land außerordentlich gewinnbringend. Darüberhinaus ist der Tourismus eine der nachhaltigsten Möglichkeiten zur Einkommensgenerierung. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind minimal (z. B. im Vergleich zum Bergbau), außerdem wirkt sich der Tourismus förderlich auf die Erhaltung des natürlichen und kulturellen Erbes unseres Landes aus.
Bei einer umsichtigen Weiterentwicklung des Tourismussektors und förderlichen Bedingungen in seinem Umfeld wird die namibische Tourismusindustrie weiter wachsen und dringend benötigte neue Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Vertrauen der Investoren in unser Land und in den Tourismussektor, unterstützt durch mögliche maßgeschneiderte Anreize, könnte die Zukunft für den Tourismus und die namibische Wirtschaft meiner Meinung nach vielversprechend aussehen. Dabei muss uns immer bewusst sein, dass das nächste Kapitel in der Entwicklung unseres Tourismus eine Reise ist, auf der nur eine effiziente und effektive Vorbereitung stetigen Fortschritt bringt.
Der Tourismus könnte bei erfolgreichen Entwicklungsbemühungen die Nummer eins der namibischen Wirtschaft zu werden. Er ist nachhaltig, bietet viel Raum für Wachstum und birgt enormes Potenzial. Wir haben alle Zutaten: einen ganzen Kontinent in einem Land mit all seiner Vielfalt, seiner natürlichen Schönheit und seinem reichen Erbe.
Mannfred Goldbeck