Am 21. März 2020 feiert Namibia dreißig Jahre Unabhängigkeit und blickt auf drei Jahrzehnte Demokratie, Frieden, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung zurück. Die einstige deutsche Kolonie (1884-1915) wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1920 Mandatsgebiet und von Südafrika bis Anfang 1989 verwaltet. Nach einem Übergangsjahr unter UN-Aufsicht vom 1. April 1989 wurde während einer großen Feierlichkeit um Mitternacht am 20. März zum 21. März in einem Windhoeker Sportstadion die Nationalflagge des unabhängigen, souveränen namibischen Staates gehisst.
Anders als in vielen Ländern, wo durch Freiheitskämpfe Infrastruktur und Zivilverwaltung weitgehend zerstört wurde, war in Namibia die Verwaltung intakt. Militärische Scharmützel waren zumeist in Südangola und in Namibias zentralem Norden konzentriert, wo eine nächtliche Ausgangssperre geherrscht hatte. Die ersten freien, demokratischen Wahlen der Landesgeschichte fanden Anfang November 1989 statt. Rund sechs Wochen vor dem 21. März 1990 verabschiedete die verfassungsgebende Versammlung nach nur knapp neunwöchigen Verhandlungen am 9. Februar ein Grundgesetz.
Namibias international gelobte Verfassung gab 1990 die Richtlinien für die Staatsführung und die Wirtschaftsordnung vor. Ein Zwei-Kammerparlament wurde eingerichtet und die Ernennung der Kabinettsminister wurde festgelegt. Artikel 98 schreibt vor, „dass Namibias Wirtschaft auf einer gemischten Wirtschaftsform basiert“.
Aus Behörden wurden nun Ministerien, wie das Finanz-, Bergbau- und Fischereiministerium. Die Minister und ihre Stellvertreter wurden von Gründungspräsident Sam Nujoma ernannt. Hage Geingob wurde Namibias erster Premierminister, der wiederum die Staatssekretäre ernannte. Seit 2015 ist Geingob der dritte demokratisch gewählte Präsident, dessen zweite und letzte Amtszeit am 21. März 2020 beginnt.
Die neue Regierung unter Gründungspräsident Sam Nujoma übernahm 1990 die meisten Beamten der südafrikanischen Apartheidsära. Ihnen wurde freigestellt, entweder nach Südafrika zurückzukehren oder als Beamte im neu geschaffenen öffentlichen Dienst Namibias übernommen zu werden. Ähnliche Angebote erfolgten für ehemalige Soldaten und Freiheitskämpfer in der neuen namibischen Armee (Namibia Defence Force). Wer auf südafrikanischer Seite gekämpft hatte – bis Anfang 1989 war der 2jährige Militärdienst für männliche Schulabgänger verpflichtend, sonst drohte Gefängnis oder 6 Jahre Polizeidienst –, konnte nun Berufssoldat in der NDF werden. Das gleiche galt für ehemalige Freiheitskämpfer der PLAN (Peoples Liberation Army of Namibia). Unter der Politik der nationalen Versöhnung im unabhängigen Namibia war das Bestreben groß, die Integration zu fördern nach dem Motto: „Ein Namibia, eine Nation“.
Aus der ehemaligen Freiheitsbewegung SWAPO (South West African Peoples Organisation), die im November 1989 bei den Wahlen nur knapp die Zweidrittelmehrheit verfehlt hatte, wurde eine regierende Partei. Die SWAPO hatte nun Regierungsverantwortung und Vorgaben der namibischen Verfassung, wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Besitzrecht für alle Staatsbürger und eine unabhängige Justiz umzusetzen.
Aus historischen Gründen besteht das namibische Recht somit im Wesentlichen aus dem übernommenen Recht Südafrikas und folgt dem römisch-holländischen Recht, das auch noch heute in Südafrika gilt.
1992 fanden die ersten Stadtrats- und Regionalwahlen im unabhängigen Namibia statt. Das Land war kurz vorher in 13 Regionen eingeteilt worden, für die ebenfalls 1992 Regionalratsmitglieder gewählt wurden. Jede Region entsendete anschließend zwei ihrer Mitglieder in den Nationalrat nach Windhoek, die zweite Parlamentskammer umfasste damals 26 Sitze. Der Nationalrat tagt mehrmals im Jahr und revidiert die in der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze.
1992 wurde auch ein neues Gesetz für Stadtverwaltungen eingeführt, seitdem gilt die Kommunalverwaltung als dritte Regierungsebene. Die Freiheit der Städte wurde abgeschafft. Mitglieder des Stadtrates werden seit 1992 alle fünf Jahre nach Parteilisten neu gewählt, Stadtdirektoren erhalten Verträge für fünf Jahre. Ihre Einstellung muss vom zuständigen Minister für städtische und ländliche Entwicklung genehmigt werden.
Nach einer Verfassungsänderung 2014 wurde unter anderem die Kavango-Region in Kavango-Ost und West aufgeteilt und die Anzahl Wahlkreise auf 121 erhöht. Der Nationalrat wurde auf 42 Mitglieder erweitert und die Nationalversammlung von 72 auf 104 stimmberechtigte Mitglieder. Als Hauptgrund wurde Namibias Bevölkerungswachstum angegeben: Namibia hatte vor dreißig Jahren knapp 1,2 Millionen Einwohner, die Bevölkerungszahl hat sich mit inzwischen 2,3 Millionen Einwohnern fast verdoppelt.
Namibias wichtigste Wirtschaftssektoren sind Bergbau (13% des BIP), Landwirtschaft (etwa 4%), Tourismus (3%) und der Fischereisektor (3%). Fangboote aus Südafrika und anderen Ländern hatten bis 1990 Namibias Fischbestände drastisch reduziert. Das neu geschaffene Fischereiministerium erstellte strenge Richtlinien für die nachhaltige Nutzung des Fischbestandes und achtet streng auf ihre Durchführung. Parallel wurde die ‚Namibianisierung‘ eingeführt, das ist die Beteiligung namibischer Staatsbürger aus vorher benachteiligten Bevölkerungsgruppen an Firmen.
Namibia hat massiv in seine Infrastruktur investiert mit inzwischen über 4.000 km geteerten Fernstraßen, Flughäfen, dem Schienennetz bis an die angolanische Grenze (Tsumeb-Ondangwa-Oshikango) und dem Ausbau der Häfen Lüderitzbucht und Walvis Bay. Die Hafenbehörde NamPort hat 2019 die neue Container-Insel in Walvis Bay in Betrieb genommen, eine Investition von knapp N$4 Milliarden.
Namibia hat einen gut ausgebauten Bankensektor mit modernen digitalen Dienstleistungen, dank des gut ausgebauten Mobilfunknetzwerks. Die eigene Stromversorgung wird durch Solar- und Windkraft vorangetrieben.
Namibias wichtigste Exportgüter sind Diamanten, Uranerz, Kupfer, Fisch, Fleisch und Tafeltrauben. Die EU, Skandinavien, China, Hongkong und die USA sind die wichtigsten Exportmärkte.
Seit 2016 ist Namibias Wirtschaft kaum gewachsen, 2018 nur um 0,3 Prozent mit einem Minus im Jahr 2019. Niedrige Rohstoffpreise und relativ hohe Staatsschulden (etwa 43 % des BIP) tragen dazu bei.
Laut offiziellen Angaben hat die Regierung die Armutsrate von rund 28 Prozent auf inzwischen 17,4 % Prozent der Bevölkerung gesenkt. Allerdings hat die Landflucht zugenommen, 55,2 % der Bevölkerung lebt nun in städtischen Gebieten. Etwa 900.000 Menschen leben in nicht befestigten Unterkünften (Blechhütten).
Mehr als 90 % aller schulpflichtigen Kinder besuchen die Grundschule, über 90 % der Einwohner können lesen und schreiben. Unterricht an staatlichen Schulen ist grundsätzlich kostenfrei, ebenso die Lehrmaterialien. Die Regierung zahlt eine monatliche Grundrente für Staatsbürger und Ausländer mit Daueraufenthaltsgenehmigung ab dem 60. Lebensjahr. Die Rente wurde noch zur Apartheidszeit eingeführt, damals jedoch nur für Weiße. Seit 1990 gibt es eine Rente für alle, sie beträgt N$1.300 (Stand Februar 2020). Behandlungen in staatlichen Hospitälern sind für Menschen ohne Krankenversicherung kostenlos, das sind rund 80 Prozent der Einwohner.
Alle im Handelsregister eingetragenen Firmen und Betriebe müssen pro Arbeitnehmer monatlich einen Beitrag als Abgabe für die Sozialversicherung an die Social Security Commission (SSC) abführen. Der Betrag wird 50:50 von Arbeitnehmern und Arbeitgeber getragen. Dadurch erhalten Beschäftigte Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit durch Unfälle am Arbeitsplatz. Für Frauen gilt ein mehrwöchiger Schwangerschaftsurlaub. Ihnen wird im Mutterschaftsurlaub rund zwei Drittel ihres Grundgehaltes weitergezahlt.
Eine gesetzliche Krankenkasse und eine gesetzliche Rentenkasse sind seit Jahren geplant. Derzeit überlegt die Regierung allerdings auch, ob sie ein Grundeinkommen einführt.
Die seit 1995 beschlossene Landreform geht nur langsam voran. Die Regierung kauft Farmen für die Ansiedlung zuvor benachteiligter Staatsbürger auf, die zumeist keine landwirtschaftliche Ausbildung haben.
„Namibia hat verschiedene Herausforderungen zu bewältigen, doch ist in den letzten 30 Jahren viel geleistet und erreicht worden; darauf können wir stolz sein“, sagte Präsident Hage Geingob im Februar auf einem Empfang im Präsidialamt.
Brigitte Weidlich