Namibias sternklarer Himmel abseits der größeren Städte ist bei Hobby-Astronomen international bekannt. Einige Gästefarmen haben sich darauf eingestellt und halten ein Teleskop für die Sterngucker bereit.
Weniger bekannt ist, dass knapp 100 km westlich von Windhoek in 1.800 m Höhe seit 2002 einige riesige Spiegelteleskope nahe dem majestätischen Gamsberg stehen und im Dienste der Wissenschaft nach kosmischen Strahlen suchen. Da geht es um Gamma-Strahlen aus dem Weltall, die von Energiequellen verursacht werden, so weit weg wie die Milchstraße und Galaxien viele Lichtjahre entfernt. Auch die Dunkle Materie und sogenannte schwarze Löcher gehören in das Forschungsprogramm der weltweit größten Spiegelteleskop-Anlage für Gamma-Strahlen.
Rund 260 Wissenschaftler von vierzig wissenschaftlichen Instituten aus 13 Ländern, darunter auch Namibia, sind an dem H.E.S.S.-Projekt auf Farm Göllschau beteiligt. Die Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland und das Bundesforschungsministerium haben vor rund zwanzig Jahren gemeinsam für das Projekt sechs Millionen Euro aufgewendet und tragen damit über 75 Prozent der Gesamtkosten von 7,6 Millionen Euro.
Die Abkürzung H.E.S.S. steht für „High Energy Stereoscopic System“ und mit dem Akronym wird gleichzeitig der österreichische Entdecker der Gamma-Strahlen, Victor Franz Hess (1883–1964) geehrt. Hess war ein österreichischer Physiker, der am 7. August 1912 die kosmische Strahlung entdeckte und durch Forschungen nachgewiesen hat. Dafür erhielt er 1936 den Nobelpreis für Physik.
Die Fundamente für die ersten vier Teleskope wurden schon im Jahr 2000 gegossen, eine namibische Firma baute die gigantischen, tonnenschweren Stahlkonstruktionen. Das erste der vier an den Eckpunkten eines 120 m langen Quadrats aufgestellten Teleskope wurde Mitte 2002 fertiggestellt und empfängt seitdem Gamma-Strahlen. Bis Dezember 2003 wurden auch die restlichen drei Spiegelteleskope aufgestellt. Sie wiegen je 60 Tonnen, inklusive der schweren Kameras, die in der Mitte der Parabolspiegel platziert sind. Die Spiegel der Teleskope setzen sich aus je 382 runden Spiegelfacetten von 60 cm Durchmesser zusammen. Die insgesamt 1.528 Spiegel aller vier Teleskope ergeben eine Gesamtfläche von 432 m².
Die kreisförmigen Teleskope können auf Rollen gedreht werden und die riesigen Spiegelflächen sind verstellbar. Allein In den ersten zehn Jahren haben sie acht neue Energiequellen entdeckt. Inzwischen wurden hunderte wissenschaftliche Berichte und Artikel über die vom H.E.S.S. Teleskop gesammelten Daten zu Gammastrahlen und ihrer Auswertung veröffentlicht.
Die sich immens schnell bewegenden Gamma-Strahlen werden durch blaues Licht für die Kameras der Teleskope ‚sichtbar‘ – mit Hilfe der Tscherenkow-Blitze. Das erklärt sich so: Wenn sehr energiereiche kosmische Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen, werden je nach Art des Teilchens durch verschiedene Prozesse neue Elementarteilchen gebildet, die ein Licht – eher gesagt Lichtblitze – erzeugen können, die Tscherenkow-Blitze. Die dauern nur Milliardstel Sekunden, aber Wissenschaftler können aus ihnen tatsächlich die Herkunftsrichtung der kosmischen Teilchen bestimmen.
Genau dieser Effekt ist für die Beobachtung wichtig, weil unter anderem die Gammastrahlung von kosmischen Explosionen die Erdatmosphäre nicht durchdringt und deshalb von Teleskopen auf der Erde nicht direkt wahrgenommen werden kann. Das geht gewissermaßen nur mit H.E.S.S.-Teleskopen. Diese bläulichen Blitze sind nach ihrem Entdecker, dem russischen Pawel Alexejewitsch Tscherenkow (1904–1990) benannt worden.
Zum zehnten Bestehensjahr der Spiegelsternwarte in Namibia kam 2012 ein fünftes Teleskop dazu. Es steht in der Mitte des Quadrats, ist knapp 40 m hoch und überragt die vier anderen Teleskope. Es hat einen Durchmesser von 28 m. Sein Spiegel hat 875 sechseckige Spiegelfacetten mit 90 cm Durchmesser. Die Gesamtspiegelfläche beträgt 614 m². Das kolossale Gesamtgewicht beträgt 600 Tonnen. Das fünfte H.E.S.S Teleskop ist das derzeit größte Spiegelteleskop der Erde.
2015/16 wurden die vier kleineren Teleskope modernisiert. Dabei sind die sogenannten Photomultiplier-Kameras mit neuer Elektronik und neuem Belüftungs- und Pneumatik-System ausgestattet worden. Anfang 2019 hat der H.E.S.S. Lenkungsausschuss beschlossen, die Spiegelsternwarte vorerst noch drei Jahre fortbestehen zu lassen. Ebenso wird die riesige Kamera des fünften Teleskops – inzwischen sieben Jahre alt – durch eine neue, noch bessere Kamera ersetzt.
2015 wurde Chile von einem internationalem Konsortium als Standort für eine Tscherenkow-Teleskop-Gruppierung (engl.: Cherenkov telescope array – CKA) für die Gammastrahlen-Astronomie ausgewählt. Durch die Beobachtung von Tscherenkow-Blitzen in der Erdatmosphäre können Rückschlüsse auf astronomische Gammastrahlenquellen wie Galaxien gezogen werden. Mit der neuen Kameras werden alle fünf H.E.S.S. Teleskope in Namibia für das internationaleTscherenkow-Projekt gerüstet sein, wenn dessen Pilotphase abgeschlossen ist.
Wissenschaft und Technik entwickeln sich immer weiter in neue Dimensionen und andere Forschungsgruppen arbeiten an einem neuen Radioteleskop. Namibia wird sich mit neun anderen Afrika-Staaten an dem weltweit größten Radioteleskop beteiligen, das in Südafrika entsteht. Schon 2017 hat Namibias Regierung eine dementsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Australien ist ebenfalls beteiligt. Das ‚Square Kilometre Array‘ (kurz SKA) ist ein in der Entwicklung befindliches Radioteleskop, das eine Gesamt-Sammelfläche von ungefähr einem Quadratkilometer haben soll. Es wird über einen großen Frequenzbereich operieren. Tausende Teleskop-Schüsseln werden in verschiedenen Ländern errichtet mit etwa einer Million Antennen. In Namibia werden vier kleinere Stationen gebaut. Die Standorte sind Maltahöhe, Karibib, Okahandja und Opuwo. Namibische Wissenschaftler und ihre Studenten werden an den Forschungen beteiligt. Durch seine Größe soll die Empfindlichkeit um das 50fache gegenüber anderen Radioteleskopen gesteigert werden. Zur Auswertung der Daten werden dann Hochleistungsrechner und Langstrecken-Netzwerke mit einer Kapazität benötigt, die den heutigen weltweiten Internetverkehr übertrifft. Die Empfangsstationen in den verschiedenen Ländern werden bis zu 3000 km von einem Zentrum entfernt aufgestellt werden. Das soll extrem hochauflösende Bilder des Himmels ermöglichen.
Einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zufolge soll das SKA imstande sein, die Lücke in der Geschichte des Universums zu untersuchen, die 300.000 Jahre nach dem Urknall beginnt, als das Universum transparent für Strahlung wurde, und sich bis zu der Zeit eine Milliarde Jahre nach dem Urknall erstreckt. Das war der Zeitpunkt, in der die ersten jungen Galaxien aufleuchteten.
„Das SKA-Radio-Astronomie-Projekt ist eines der größten Projekte dieser Art weltweit“, sagt Dr. Michael Backes, Physikdozent an der Universität von Namibia.
Brigitte Weidlich