Der Klang der Sirene erreicht die Hütte, die nur hundert Meter entfernt ist. Farmer Paulus, der wegen der bereits seit acht Jahren anhaltenden Dürre nur noch wenige Rinder und Ziegen besitzt, schaut neugierig aus seiner Tür. Ein weißes Licht, das oben an einem Pfahl befestigt ist, zeigt an, dass der Löwe mehr als 600 Meter entfernt ist. Das Halsband des Löwen hat das Frühwarnsystem in der Nähe des Gehöfts ausgelöst. Das Vieh und die Ziegen des Farmers befinden sich jedoch in einem sicheren Gehege (auch „Kraal“ genannt).
Ein grünes Licht zeigt an, dass sich der Löwe nähert und zwischen 400 und 600 Metern entfernt ist. Die Sirene ertönt erneut, und eine der Flutlichtleuchten hat sich eingeschaltet und scheint in die Richtung des Löwen. Paulus kann das Raubtier nicht sehen, hört aber, dass sein Vieh im Kraal nervös wird, da es den Löwen gewittert hat. Nach einer Weile geht das Licht aus. Der Löwe hat sich zurückgezogen, womöglich wegen der Lichter und der lauten Sirene. Die Nacht verläuft ohne Zwischenfälle.
Das von Farmer Paulus verwendete System funktioniert bei Tag und Nacht und warnt die Farmer vor jedem Löwen, der sich nähert, vorausgesetzt, der Löwe trägt ein spezielles Halsband. Der Namibia Lion Trust (NLT) erwarb das erste Frühwarnsystem von Gisela und Joe Noci, die das System entwickelt und erfolgreich mit dem IRDNC (Integrated Rural Development and Nature Conservation), dem Desert Lion Conservation Trust und dem Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Tourismus getestet haben.
Der NLT wurde im Oktober 2019 gegründet. Direktorin Tammy Hoth ist seit 1997 im Bereich Löwenschutz und Konfliktlösung zwischen Mensch und Wildtieren tätig. Einer der Treuhänder ist Fritz Schenk, der als leitender Naturschutzbeauftragter im Etosha-Nationalpark tätig war, später die Palmwag Lodge besaß und dort das Palmwag-Konzessionsgebiet verwaltete. Der bekannte und erfahrene Tierarzt und Dozent Dr. Diethardt Rodenwoldt hilft bei der Betäubung der Löwen. Der NLT ist in den kommunalen Hegegebieten Omatendeka, Ehirovipuka und #Khoadi //Hôas aktiv. Auf Anfrage helfen sie auch kommerziellen Farmen an der südlichen Grenze des Etosha Nationalparks zwischen Kaross und Okaukuejo sowie im Kamanjab-Gebiet.
Die Kosten für ein komplettes Frühwarnsystem mit vier GPS-Halsbändern, vier Frühwarnhalsbändern und der Download von Satellitendaten fuer die Dauer von zwei Jahren belaufen sich auf etwa N$280.000. Aufgrund des schwachen Wechselkurses werden die Kosten jedoch zwangsläufig steigen. Ein Vorteil des Frühwarnsystems besteht darin, dass es in nur einer halben Stunde aufgebaut, ebenso schnell wieder abgebaut und bei Bedarf an einen neuen Standort verlegt werden kann. Das System ist zudem solarbetrieben.
Die Bewegungen eines Löwen werden durch das Halsband aufgezeichnet. Wenn er sich dem Frühwarnsystem nähert, werden die Daten heruntergeladen, gespeichert von den Forschern ausgewertet. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da es enorme Möglichkeiten zur Konfliktminderung zwischen Farmern und Löwen sowie zum Schutz der Löwen bietet.
Es ist wichtig, dass die kommunalen Farmer, bei denen das System installiert wurde, die Ausrüstung instand halten und dafür sorgen, dass ihr Vieh jede Nacht in einem raubtiersicheren Gehege sind. Sie sind auch dazu verpflichtet, Nachbarn zu warnen, wenn Löwen in der Nähe sind. Eine große Hilfe sind die Löwenwächter, die von den Naturschutzbehörden ernannt und vom Namibia Lion Trust vergütet werden. Diese Männer werden vom NLT ausgebildet und spielen eine wichtige Rolle beim Schutz von Löwen und der Eindämmung von Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren.
Der Namibia Lion Trust hat bereits 12 Löwen mit Halsbändern versehen. 30 permanente löwensichere Kraals sowie 15 mobile Kraals wurden von NLT für die Farmer errichtet. Die Kosten für einen permanenten Kraal liegen zwischen N$40.000 und N$50.000 und für ein mobiles Gehege bei N$ 20.000. Momentan sind acht Löwenwächter beim Namibia Lion Trust angestellt, die im Durchschnitt mit drei Konfliktfällen pro Monat konfontriert werden.
Dirk Heinrich