Es ist früher Morgen am 12. April 1954 auf der Farm Marenphil nordwestlich von Outjo. Die nächtliche Stille wird plötzlich vom anhaltenden Gebell der Hunde gestört. Der Farmer Renier Els springt aus dem Bett, ergreift Kopflampe und Gewehr und fährt zum Gehege. Dort fressen vier Löwen eine Ziege. Aus seinem Fahrzeug schießt Renier auf die Raubtiere. Er vermutet, dass er in der Dunkelheit einen Löwen getötet und zwei weitere verletzt hat. Er kehrt zum Haus zurück.
Als der Tag anbricht, fährt er erneut zum Gehege, dieses Mal in Begleitung seiner Frau Hendrina und der drei Kinder. Sie sehen zwei tote Löwen vor sich liegen und steigen aus. Zeit für Spekulationen über die nächtliche Schießerei bleibt nicht, denn plötzlich taucht eine Löwin auf! Sie stürmt an den Kindern vorbei geradewegs auf Renier zu. Der gibt einen Schuss ab, der die Löwin streift! Im nächsten Moment liegt er unter dem wütenden Tier auf dem Boden. Er verliert sein Gewehr und setzt sich mit bloßen Händen zur Wehr. Hendrina hat ein weiteres Gewehr bei sich, kann jedoch bei dem Gerangel nicht schießen. Sie lässt es fallen, packt die Löwin an den Ohren und versucht, das Tier von ihrem Mann wegzuziehen.
Plötzlich lässt die Löwin von Renier ab und springt Hendrina an. Mit aller Kraft kämpft die Farmersfrau gegen das beißende, kratzende Tier. Dann kracht ein Schuss und die Löwin sackt auf Hendrina zusammen. Renier hat den Lauf seines Gewehres direkt an den Kopf der Löwin gehalten und abgedrückt. Mit viel Mühe zieht er seine Frau unter dem toten Tier hervor.
Die Kinder stehen unter Schock. Sie haben den Todeskampf ihrer Eltern eng zusammengedrängt und voller Entsetzen mit angesehen. Nun drängen sich alle ins Auto und fahren zum Haus zurück.
Hendrina und Renier versuchen, ihre Verletzungen so gut wie möglich zu desinfizieren. Dann bringen sie die Kinder zur Nachbarfarm und fahren weiter zum Arzt nach Outjo, der ihnen bereits auf halbem Weg entgegenkommt. Er verabreicht ihnen an Ort und Stelle Spritzen und leistet Erste Hilfe. Dann geht es weiter zum Krankenhaus in Outjo. Renier wird bald wieder entlassen, Hendrina muss zehn Tage bleiben. Tiefe Narben am linken Arm und an der Schulter zeugen auch im Jahr 2012 noch von ihrem beherzten Eingreifen, als ich die damals 88-jährige im Alterheim besuchte.
Obgleich Renier der Löwin den Todesschuss versetzte, war Hendrina die Heldin jenes Tages. Die Geschichte machte in zahlreichen Zeitungen im In- und Ausland die Runde, sie erhielt Glückwünsche aus aller Welt. „Es war reines Glück, dass wir in diesem Moment richtig gehandelt haben“, erzählt sie mir. „Wir können nichts weiter sagen, als dass der Herr damals seine schützende Hand über uns gehalten hat.“
Den ausführlichen Beitrag über den Löwengegriff von Inke Stoldt finden Sie hier.