Es ist erst über ein Jahr her, aber es scheint bereits zu weit entfernt, um es festhalten zu können, um es zu sehen, zu riechen oder greifen zu können. Es ist vergraben tief unter dem Dunkel des Alltags, von Regeln fest umschlungen, in die Enge gedrückt vom Gedanken „Hauptsache gesund bleiben, egal wie“.
Es scheint zu lange her, um das Gefühl Namibia spontan erwachen lassen zu können. Es schmerzt zu sehr, dass es im Moment unerreichbar scheint. Aber manchmal, wenn ich meinem Kopf erlaube zu reisen, erwacht das Feuer der Neugier, des Entdeckens und des Abenteuers in mir und mein Blick geht bis zum Horizont und verschlingt die scheinbare Unendlichkeit der weiten Landschaft mit ihren uns so fremden Farben und Formen, die mir zur Heimat geworden ist.
Gleißendes Morgenlicht scheint meinen Körper zu durchfluten und in Gedanken muss ich blinzeln. Die Wärme verdrängt die Kälte der Nacht und wandelt sich in trockene Hitze. Der Geruch meiner Sonnencreme steigt mir in die Nase, Schweiß bildet sich an meinem Hut und ich scheine den Druck der Sonnenbrille zu spüren. Die letzte kühle Brise verschwindet und der Wüstenwind bringt Sand auf meine Haut. Noch nie habe ich den Gedanken an Staub auf meiner Haut so sehr willkommen geheißen wie jetzt. Noch nie hätte ich so gerne den Staub eines entgegenkommenden Fahrzeugs eingeatmet wie jetzt. Immer wieder stelle ich mir das offenen Fenster meines Landrovers vor, das bereitwillig den Dunst der Freiheit einlässt und den Staub der Schotterstraße zum Geschmack des Abenteuers werden lässt.
Wildtiere säumen den Weg in meinen Träumen: Antilopen, Giraffen, Zebras. Ich schleiche durch den Busch und nehme den feuchtwarmen Geruch auf, den die dampfende Kalahari nach einem Sommergewitter hinterlässt.
Die Tiere scheinen mir Freunde geworden zu sein, ich kann sie alle beim Namen nennen, unzählige Elefanten, Löwen und Vögel und sie scheinen mich wieder zu erkennen und kommen ohne Scheu auf mich zu.
Der nächtliche Ruf eines Fleckenuhus, die markante Melodie eines Haubenbartvogels oder die allgegenwärtigen Tauben und auffälligen Tokos, die den Tag im Hintergrund vokal begleiten, sie scheinen den Tagesablauf zu bestimmen, bei dem die Zikaden und Frösche den Abend ergänzen. Es ist beruhigend zu wissen, dass dies seit Jahrhunderten ohne Unterbrechung geschieht, auch wenn ich nicht da bin.
So wechseln sich Elefantenfamilien mit typischen Begrüßungsritualen am Wasserloch ab. Mit kaum hörbarem Kollern wird der Platz bestimmt, mit Drohgebärden testen Jungbullen ihre Stärke und Mütter zeigen in liebevoller Fürsorge den noch unbeholfenen, hinter den Ohren rosaroten neuen Mitgliedern der Herde, wo es sicher zum Wasser geht. Und das wird auch in Zukunft so sein, auch wenn ich jetzt nicht dabei bin.
Diese vielfach gesehene und durchlebte, von mir kommentierte abendliche Szene erscheint so nah, ich kann die Elefanten riechen und fast mit der Hand berühren, und doch ist sie nur ein Teil meiner Erinnerung, die ich mir nur manchmal zu denken und zu durchleben erlaube. Zu groß ist der Schreck des Erwachens, wenn das Bild zerreißt und die heimische Realität Oberhand nimmt. Vielleicht werde ich „mein“ Afrika gar nicht mehr wiedererkennen? Vielleicht weil es sich verändert hat. Sicher weil ich mich verändert habe.
Mir fehlt die Leichtigkeit meiner afrikanischen Freunde, die ich unerwartet im Supermarkt oder im abgelegenen Busch treffe, die mir Tipps geben und denen ich unbefangen von meiner Familie erzähle. Entfernte Freunde, die ich selten sehe; sie scheinen zu weit weg, um sie zu erreichen. Aber sie sind da und warten auf mich. Menschen, mit denen ich am Lagerfeuer sitze und immer wieder ihren Geschichten lausche.
Lagerfeuer: Zu roter Glut zerfällt das Akazienholz, hart und trocken brennt es lang und heiß. Immer wieder ermuntere ich meine Mitreisenden, ein paar Schritte vom Feuer in die Dunkelheit zu gehen. Geräusche werden verschluckt, nur der eigene Herzschlag ist zu hören, dann fällt der Blick zurück auf die heimelige Geborgenheit unter den zehntausend Sternen. Das kleine Licht, ein Licht in Dunkelheit gehüllt, das Leben zeigt sich in großartiger nächtlicher Natur.
Wenn sich die Tore nach Afrika wieder öffnen, wird mir alles größer, bunter und intensiver erscheinen. Ich werde noch dankbarer für die wertvollen Augenblicke im Busch sein, werde mich an der außergewöhnlichen Freundlichkeit der Menschen freuen. Werde feststellen, das der Himmel noch blauer ist, und die Elefanten riesiger geworden sind. Der Staub wird mir zeigen, ich bin wieder da, in Namiba!
Das Gefühl bei einem Sundowner mit Biltong und GT auf einer einsamen Düne zu sitzen, übermannt mich schon jetzt und meine freudennassen Augen blicken ins schwindende Rot am Horizont. Meine Hand hält die Herzen meiner Familie und Freunde, die in diesem Augenblick mit mir das Gefühl der Freiheit teilen.
Auch wenn ein Stück des Weges noch zu gehen ist. Es lohnt sich. Das Ziel den Träumen und Erinnerungen wieder Leben zu geben zu können, ist nah.
Lambert Heil
Der Namibia-Liebhaber und Autor dieses Beitrags fotografiert seit vielen Jahren Wildlife, Natur, Menschen und typische Reisesituationen in Afrika und Europa. Er bildet den Lebensraum ab, in dem sich das Leben von Menschen und Tieren abspielt. Meist ist es die Natur, manchmal Urbanes, das den Rahmen für das Fotoobjekt bildet.
Der ehemalige Reiseredakteur ist seit fast 30 Jahren Veranstalter von Naturreisen und arbeitet als Zoopädagoge im Münchner Tierpark Hellabrunn. Deshalb kennt er sich bestens mit Mensch, Natur und Tieren aus. Im Rahmen vieler Fotokurse in Tierparks und Wildgehegen, aber auch auf seinen Fotoreisen gibt er praktisches Wissen an Fotografen weiter. Als leidenschaftlicher Wildlife-Fotograf begleitet er deshalb mehrmals im Jahr Interessierte nach Afrika. Er hält darüber hinaus Vorträge über Natur im Allgemeinen und zu Afrika im Besonderen.
Sein Buch Tierfotografie, an dem er als Koautor mitwirkte, erschien Anfang des Jahres 2017 im renommierten Rheinwerkverlag in Deutschland. Darüber hinaus ist er Pentax Markenbotschafter.
Was ist für ihn wichtig in der Fotografie? „Für mich sind Wildlife Fotos mehr als Tierporträts, denn die kann im Zoo jeder machen und das häufig besser und leichter als auf einer Safari. Nicht die Nähe ist für mich einzig entscheidend, sondern der Lebensraum und das Verhalten der Tiere. Im Überblick zeigen sich Zusammenhänge, die man im Detail (auch wenn es noch so schön ist) nicht erkennen kann.“