An einem schönen sonnigen Junitag des Jahres 1942 wurde ich in Dresden geboren. Was danach kam, war allerdings weniger sonnig. Krieg, Vertreibung, Flucht, Vater in Gefangenschaft, Mutter verwundet, totale Enteignung; hinzu kam die Drohung, die Familie in das Lager nach Rügen zu deportieren, wo ehemalige sogenannte Junker nichts Gutes zu erwarten hatten (wie sich später vielfach gezeigt hatte).
Mit viel Geschick und Gottes Fügung gelang es, die Familie wieder zu sammeln. Wir zogen in das Haus meiner Großmutter nach Dresden – glücklicherweise stand es noch. Es war das Haus von Melchior Dinglinger, dem ehemaligen Goldschmied von August dem Starken (siehe: das Grüne Gewölbe). Das war jedoch nur der erste Schritt zu einem neuen Leben, welches mein Vater nach der Enteignung schon geplant hatte.
Im Februar 1950 packte er seine ganze Familie ein, und ab ging es nach Südwestafrika, heute Namibia. Da mein Vater Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre dort eine Farm betrieben hatte, zog es ihn wieder nach Afrika. Wir reisten in Zweiergruppen ab, damit es keiner merkte: mit dem Zug von Dresden nach Ost-Berlin, mit der U-Bahn von Ost- nach West-Berlin und dann alle mit dem Flugzeug von Berlin nach London, mit dem Zug von London nach Southampton, mit dem Schiff von Southampton nach Kapstadt und mit dem Zug von Kapstadt nach Mariental in Südwestafrika. Dort lebte mein Onkel, es war unsere erste Station. Die Zugfahrt von Kapstadt nach Mariental (ca. 1.400 km) dauerte wegen Unterspülung der Gleise in der Regenzeit eine Woche - alle sechs Personen in einem Zugabteil im Schlafwagen.
Von Mariental aus pachtete mein Vater eine Farm im Bezirk Okahandja und unternahm alle nötigen Vorbereitungen. Für uns drei Brüder begann nun ein völlig neues Leben, welches für uns Jungs teilweise so ganz nach dem Geschmack heranwachsender Jugendlicher und teilweise voller seelischer Entbehrungen war, zumindest für mich als Jüngstem im Alter von sieben Jahren. Wir mussten alle ins Internat in die Stadt, und die war immerhin etwa 200 km von den Eltern entfernt. Für meine Mutter, die behindert war, wurde das Leben im afrikanischen Busch recht mühsam, und für meine neun Jahre ältere Schwester war es nicht sehr anregend, weshalb sie dann auch sechs Jahre später nach Deutschland zurückkehrte. Für uns Jungs war es die große Freiheit mit Reiten und Jagen und ungebundenem Farmleben, allerdings nur in den Ferien.
Es ergaben sich in den folgenden Jahren für die Familie noch viele Änderungen, aber ich blieb im Internat und in der Schule - erst einige Jahre in Windhoek und dann noch sieben Jahre in Swakopmund, einer kleinen Küstenstadt, die von der einen Seite von der Wüste Namib und von der anderen Seite vom Südatlantik umschlossen ist. Dort lebte ich mich endlich gut ein, denn das Internat war deutschsprachig. Ich war bei den Pfadfindern (Boy Scouts), wurde konfirmiert, ging zur Tanzstunde, sang in der Kantorei, spielte Theater und konnte mit den anderen Schulkameraden allerhand unternehmen.
Eines Tages ergab es sich, dass unser Pfarrer, Reimar Zeller, die evangelische deutsche Jugend um sich scharte und uns einen umwerfenden Vorschlag machte. Es gab damals in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola im Hochland von Chicuma eine kleine deutsche Gemeinde mit Schule und Internat, deren pastorale Betreuung unserem Pfarrer Zeller aufgetragen war. Also schlug er uns vor, ihn dorthin zu begleiten.
Das bedeutete für ihn natürlich eine riesige Verantwortung, Angola war im Jahr 1960 zwar noch friedlich, aber es war ein riesiges, völlig unterentwickeltes Land, dessen Sprache wir nicht verstanden. Dort wollte unser guter Pfarrer nun 30 Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren und fünf Erwachsene drei Wochen lang auf einem großen LKW über 4000 km durch die Wildnis lotsen. Viele Leute im kleinen Städtchen Swakopmund schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und meinten: „Der spinnt.“ Für uns Jugendliche war es allerdings die tollste Idee, die ihm einfallen konnte. Zwar hatten wir im Rahmen der Kantorei und der Theatergruppe auch vorher schon ähnliche Fahrten unternommen, allerdings im eigenen Land, wo auch die Straßen- und Infrastrukturverhältnisse wesentlich besser waren.
Es meldeten sich schließlich 30 Jungs und Mädels, ein Lehrer, eine Krankenschwester, eine junge Dame für die Organisation des Haushaltes, ein Fahrer und eben der Pfarrer. Die Vorbereitungen begannen. Wir gingen schließlich nicht einfach mit leeren Händen auf Ballermann-Urlaub, sondern wollten in Angola etwas bieten. Also wurde „Jedermann“ (die Geschichte vom Leben und Sterben des reichen Mannes) einstudiert, bei der ich ausgerechnet ‚den Tod‘ spielte. Es wurde kräftig Chorgesang geprobt und der Bläserchor übte mächtig die „dicke-Backen-Musik“. Die Gemeinde war nach viel Überredungskunst bereit, die Reise etwas zu subventionieren, denn es gab ja auch Teilnehmer, die nicht aus wohlhabendem Hause kamen.
Wir führten also mit viel Begeisterung unseren „Jedermann“ im „Haus der Jugend“ in Swakopmund auf, sangen nach Herzenslust und fieberten der großen Reise entgegen.
Eines Tages fuhr ein großer gelber LKW (ein umgewandelter Viehtransporter) vor, der beladen werden musste. Das war eine knifflige Aufgabe, denn Theaterkulissen, Musikinstrumente, Mappen mit Noten, Koch- und Essgeschirr, Lebensmittel für 35 Personen zum Teil in einer Kühlkiste, allerlei technische Gerätschaften, Erste Hilfe Ausrüstung, 35 Schlafsäcke, eine Reservemenge an Diesel und Wasser und natürlich das ganze private Gepäck mussten verstaut werden. Dabei waren wir gehalten, uns immer zu zweit einen Koffer zu teilen. Zelte hatten wir keine und Luftmatratzen konnten aus Platzgründen nicht mitgenommen werden. Mein Koffer war ein alter Offizierskoffer, mit dem mein Großvater 1914 als Major in den Krieg gezogen war (den habe ich übrigens heute noch). Nachdem alles gut verstaut war, durften wir alle kunterbunt durcheinander mit aufsitzen. Vor der Abfahrt gab es noch eine kurze Andacht, bei der wir unseren Schöpfer baten, seine schützende Hand über uns zu halten.
Endlich ging es mit fröhlichem Gesang hinaus in die Welt. Weil unser großes Auto ein gelbes war, sangen wir natürlich „hoch auf dem gelben Wagen“, allerdings passte der Text „Felder, Wiesen und Auen, leuchtendes Ährengold“ nicht ganz zu der Wüste, die wir durchquerten. Das störte allerdings niemanden. Im Laufe der ersten Tage fand jeder irgendwo seinen Platz an Bord. Es war Juni 1960, wir hatten unsere dreiwöchigen Winterferien vor uns und konnten die Fahrt bequem auf der offenen Ladefläche beginnen. Ein rollendes Ferienlager.
Gut eingestaubt – denn es gab ja noch keine Asphaltstraßen – erreichten wir am späten Nachmittag unser erstes Etappenziel: Omaruru. Ein kleiner ruhiger Ort in der Mitte des Landes, wo auch mehrere deutsche Familien lebten. Wir kannten Omaruru, denn dort fand alljährlich das evangelische Pfingsttreffen mit Vorträgen, Filmen und Diskussionen (oft am Lagerfeuer) statt. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir auch dieses Mal wieder in privaten Quartieren untergebracht.
Das erste für uns fremde Ziel war Otavi, ein ganz kleiner Ort in einer recht ansprechenden Gegend mit viel Farmerschaft. Dort sollten wir unsere erste „Jedermann“-Aufführung während der Reise abliefern, in einem kleinen Saal im Dorfhotel, wohl der Speisesaal. Weil es hier keine Bühne gab, hatte man für uns einfach mehrere Tische zusammengestellt und daraus eine Bühne gebaut.
Als während der Vorstellung ‚der Tod‘ von schräg hinten an ‚Jedermann‘ herantreten sollte, musste ich irgendwie an einer bestimmten Stelle auf die Bühne. Die war aber auf Tischhöhe, und dummerweise hatte keiner vorher für eine Treppe oder ähnliches gesorgt. Also schob mir jemand schnell eine alte Obstkiste hin. Als ‚der Tod‘ gerade auf der Bühne erscheinen sollte, gab es einen lauten Krach und ‚der Tod‘ verschwand wieder in der Versenkung. Die Obstkiste war zusammengebrochen. Beim Theaterspielen erlebt man eben öfter mal das eine oder andere kleine Malheur.
Am nächsten Tag ging es auf nach Norden. Das Etappenziel war die finnische Missionsstation Engela im Ovamboland. Von hier aus war es nicht mehr weit bis Angola. Hier hatten wir zwei einprägsame Erlebnisse. Zum einen durften wir in die Sauna. Ein ganz neues Erlebnis für uns, denn wer neun Monate im Jahr den afrikanischen Sommer erlebt, dem ist nach zusätzlicher Sauna nicht mehr zumute.
Am Abend durften wir dann vor einer riesigen, aufmerksam lauschenden und etwa 2000 Menschen umfassenden einheimischen Dorfgemeinde „Jedermann“ aufführen. Man hatte uns vorher angekündigt, woraufhin viele Zuschauer zum Teil in weiten Tagesmärschen zu Fuß mit Kind und Kegel angereist waren. Wir spielten ohne viel Lichteffekte zwischen zwei großen Bäumen, die Zuschauer kauerten im Sand. Ein Häuptling, der gut Deutsch sprach und der „glückliche Besitzer“ von 17 Frauen war, übersetzte vor jedem neuen Akt. Die Andeutung eines Vorhanges wehte im sachten Abendwind, und die Mondsichel zeigte sich im fahlen Licht, als ‚der Tod‘ auftrat. Die andächtige Stille war mit Händen zu greifen. In der Ferne waren Rinder zu hören. Es war eine unvergessliche Atmosphäre.
Tags darauf peilten wir die Grenze nach Angola an, die mit endlosen bürokratischen Diskussionen auf uns wartete. Normalerweise bearbeiteten sie in dieser einsamen kleinen Grenzstation mitten im afrikanischen Busch vielleicht zwei oder drei Grenzübertritte täglich, nun kam plötzlich eine ganze LKW-Ladung voll! Da waren sie wohl etwas überfordert. Während sich die Erwachsenen drinnen mit den Formalitäten herumschlagen mussten, machten wir draußen kräftig Musik. Nach langem Hin und Her durften wir endlich die Grenze nach Angola überschreiten.
Wir erreichten das erste angolanische Dorf – Villa Pereira d‘Eca. Dort spielten wir mit der schwarzen Dorfjugend Fußball, für uns Jugendliche ein Novum. SWA wurde damals aufgrund eines Völkerbund-Mandates von Südafrika verwaltet, es galt dort die Apartheid.
Etwa 50 Kilometer hinter dem Dorf wurde das erste Nachtlager in Angola aufgeschlagen. Zunächst musste ein sandiger und von Dornen freier Platz gefunden werden. Dann begann ein geschäftiges Treiben: Feuerholz suchen, Feuer machen, Donnerbalken einrichten, Koch- und Essutensilien abladen, 50 Schlafsäcke abladen, Essen vorbereiten. Jeder suchte sich einen passenden Schlafplatz, wo man den Schlafsack ausrollen konnte. Alles musste recht schnell gehen, denn es wurde schnell dunkel. Nach etwa eineinhalb Stunden gab es Abendessen: herrlich frische, ganz große Brötchen, die wir vorher noch in Pereira d‘Eca gekauft hatten, und dazu Rührei – das war schnell zu machen. Dann wurden die Wachen für die Nacht eingeteilt, die sich in Zweistundenabständen abwechseln und am Lagerfeuer Wache schieben mussten. Auf der dreiwöchigen Reise musste jeder mal ran.
Danach hielt der Pfarrer, der bei uns Päffi hieß, noch eine kleine Andacht: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Da saßen wir in der Dunkelheit am Feuer mitten in der afrikanischen Wildnis, welche Worte hätten da wohl besser gepasst. Dann schlüpfte jeder in seinen Schlafsack und schaute noch eine Weile in den endlosen afrikanischen Sternenhimmel, denn Zelte hatten wir ja nicht. In der Ferne heulten zwei Schakale, und dann schlief jeder voller Erwartung, was wohl am nächsten Tag auf uns zukommen möge, selig ein. Die Nachtwachen, immer zu zweit, hielten das Feuer in Gang, und die letzten zwei von 4 bis 6 Uhr mussten dann schon Kaffee kochen.
Der Morgen war frisch, und da wir mitten im Busch kampiert hatten, machten wir nur eine Katzenwäsche. Zum Frühstück gab es Maisbrei, eine Art „Porridge“ aus Maismehl, wie er im südlichen Afrika üblich ist. Danach musste geputzt, geräumt, beladen und wieder Ordnung geschaffen werden, denn es durfte natürlich aus Umweltgründen kein Schnippselchen zurückbleiben. Noch eine kurze Andacht und dann aufsitzen, denn es lag wieder eine weite Strecke vor uns. Dieser Ablauf wiederholte sich nun zahllose Male, denn die Übernachtungen liefen immer ähnlich ab. Auf ging es zu neuen Abenteuern und derer gab es einige.
Der nächste Ort war Villa Rocadas am Kunene-Fluss. Zunächst wurden die wichtigsten Lebensmittel und Wasser besorgt. Sicher auch Diesel Kraftstoff, aber darum kümmerte sich ganz dezent unser Fahrer. Uns fielen die ganz blau angemalten Häuser auf, was wir so nicht kannten. Wir erfuhren dann, dass dies zur Abwehr von Hausfliegen diente. Den Kunene überquerten wir mit einer Fähre, auf die unser großer LKW gerade noch so draufpasste. Zwei Jungs von uns verpassten die Fähre, sprangen kurzerhand in den Fluss und schwammen hinterher. Da wir ja am Südatlantik aufgewachsen sind, waren wir alle gute Schwimmer.
Anschließend mussten wir durch das Überflutungsgebiet des Kunene, und das war eine einzige Sumpflandschaft. Unser erstes großes Hindernis, das wir prompt rissen. Da saßen wir nun mit unserem voll bepackten, gelben LKW so richtig tief im Schlamassel – und es ging nichts mehr. Schieben, ziehen, Ketten, alles abladen – nichts half. Ich hätte in dem Moment nicht in der Haut unseres Päffi‘s stecken wollen. Aber wer ein guter Päffi ist, der hat einen guten Draht zu unserem Erlöser. Da musste er wohl ein kräftiges Stoßgebet gesendet haben – neben den Jungs, die er losgeschickt hatte, um Hilfe zu holen. Sie kamen mit einem kleinen Portugiesen zurück, der uns helfen wollte. Wie er das wohl machen wollte? Aber was ein guter Geschäftsmann ist, dem kommt im richtigen Moment auch die richtige Lösung.
Er holte 20 starke Ochsen, spannte sie vor den LKW, knallte einmal mit der Peitsche und schon standen wir wieder auf dem Trockenen. Natürlich war die ganze Aktion nicht ganz preiswert, aber was viel wichtiger war, wir waren wieder frei. Wir sprangen alle zur Entstaubung in den Kunene, Päffi hatte Wasser zum Rasieren und dann ging es weiter, denn das Tagesziel war noch lange nicht erreicht. Bei diesem Erlebnis zeigte sich, dass die Natur doch stärker war als alle Technik.
Auf unserem rollenden Feriencamp ging es immer recht gesellig und lustig zu. Da wurde gelacht, gespielt, geraten, gesungen, diskutiert und auch geschlummert. Manchmal gab es die ein oder andere Auseinandersetzung – meistens mit dem Lehrer, der uns immer wieder zu Diskussionen herausfordern wollte. Langeweile gab es nicht. Hin und wieder wurden auch die Theaterrollen geprobt.
Wir waren alle Farmkinder aus einem besonders dünn besiedelten Land. (damals 0,5 Millionen Einwohner auf einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland). Es war ein trockenes Gebiet mit extensiver Viehwirtschaft. Das Land war aber recht gut organisiert mit guten Schotterstraßen und funktionierenden Kommunikationseinrichtungen. Je weiter wir nach Angola vordrangen, erlebten wir dichte Vegetation, Plantagen, Flüsse und sogar Urwald, für uns alles neue Landschaften. Was aber auch auffiel, waren z. B. Telefonleitungen, die nur von Baum zu Baum hingen und manchmal ganz unterbrochen waren; oder Straßen, die auf der Landkarte mit einer dicken roten Linie als Nationalstraßen gekennzeichnet waren und sich teilweise nur als zwei Spuren im Sand erwiesen. Den richtigen Weg zu finden war ja nicht immer leicht.
Bei einer Flussüberquerung gab es nicht mal eine Brücke, sondern nur zwei Stahlstreben, auf die die Reifen unseres Autos eben noch draufpassten. Aus Sicherheitsgründen mussten wir absteigen und auf allen Vieren darüber kriechen. Ein bekannter Werbefilm aus den neunziger Jahren hätte es nicht besser machen können.
Einmal wurde in einem Dorf eine Gruppe Jungs losgeschickt, um Brot zu kaufen. Keiner sprach Portugiesisch. Also wurde ein Wörterbuch zu Rate gezogen, aber es haperte wohl mit der Aussprache. Anstelle von Brot hatten sie wohl nach einem Stock verlangt. Und da Stock ja auch als Gewehr interpretiert werden könnte, war gleich die Geheimpolizei zur Stelle, die in der damaligen wohl schon recht labilen politischen Lage an jeder Ecke präsent war. Es oblag unserem Päffi mit seinen Französischkenntnissen und seinem Friedensberuf, die Lage zu entschärfen. Gott sei Dank ist alles gut ausgegangen.
Dann kamen wir zu einem außergewöhnlichen Ort, dem Lepra-Krankenhaus von Caluquembe, wo uns Pastor Otto und der Arzt durchführten und uns alles erklärten. Es war sehr eindrucksvoll zu sehen, mit welchem Engagement das Personal sich dort um die armen Seelen bemühte. Wir waren alle recht erschüttert über so viel Leid, welches die Ärmsten der Armen ertragen mussten.
Nach einigen Tagen erreichten wir die ersten deutschen Pflanzer und Farmer. Überall wurden wir mit grandioser Gastfreundschaft empfangen. Man verpflegte uns stets großzügig und hatte unsere Campingplätze gut vorbereitet. Wer irgendwie nicht ganz gesund war, durfte im Farmhaus schlafen. Auf einer Farm durften die Mädchen im Fluss ihre Wäsche waschen („aber geht nicht so weit rein, hier gibt es Krokodile“), während die Jungs sich mit Kanufahren vergnügten und dabei tatsächlich Krokodile sichteten.
Nach ein paar Tagen kamen wir in die erste große Stadt nach Nova Lisboa (heute Huambo), wo uns ein deutscher Geschäftsmann fürstlich bewirtete. Bald darauf erreichten wir unsere Endstation, die kleine deutsche Schule mit Internat im Hochland von Chicuma. Der Empfang gestaltete sich sehr herzlich. Die Direktorin Donna Fernandina und unser Päffi hielten jeder eine kleine Ansprache.
Netterweise haben uns die Schüler ihre Schlafzimmer überlassen, damit wir endlich mal wieder in richtigen Betten schlafen und auch duschen konnten. Wo unsere Gastgeber dann schliefen, ist uns verborgen geblieben.
An den drei Tagen, die wir dort verbrachten, besuchten wir eine Kaffee - und eine Sisal-Plantage, die von deutschen Pflanzern betrieben wurden. Diese Besuche waren äußerst interessant, wir lernten sehr viel. Was uns stark beeindruckte waren das Engagement, der unternehmerische Geist und das technische Knowhow, mit dem hier mitten in der Wildnis unter ziemlich schwierigen Bedingungen etwas besonders Produktives aufgebaut wurde. Dazu muss wohl viel Idealismus gehört haben.
Dann kam der Tag, an dem wir unseren „Jedermann“ aufführen mussten. Es war rundherum eine gelungene Vorstellung und wurde von den Schülern, aber auch von den angereisten Farmern und Pflanzern mit Begeisterung aufgenommen. Vorher, am Nachmittag, gab es noch einen Gottesdienst mit Taufen und Konfirmationen, den unser Päffi zuständigkeitshalber abgehalten hat.
Am dritten Tag sangen wir zum Abschied unser “Südwesterlied“ („so hart wie Kameldornholz ist unser Land“), und die Schüler verabschiedeten uns mit der portugiesischen Nationalhymne. Es war ein tränenreicher Abschied.
Die Rückfahrt führte uns über eine andere Strecke, teils mit Übernachtungen im Busch und teils auf dem Gelände der einen oder anderen Farm. Nachts war es im Hochland empfindlich kalt, so dass wir in unseren Schlafsäcken erwachten, als die Landschaft rings umher stark mit Raureif bedeckt war.
Eine Station auf der Rückreise war das hydroelektrische Kraftwerk „Matala“ im Kunene Fluss, welches wir besichtigen durften. Der leitende Ingenieur, der zum Glück Englisch sprach, ließ extra eine Turbine für uns laufen und wir sahen die Wassermassen in die Tiefe rauschen. Überhaupt, das viele Wasser in Angola war für uns Wüsten- und Halbwüstenkinder besonders beeindruckend.
Natürlich mussten während der Fahrt öfter mal Pausen eingelegt werden, um den biologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Dann hieß es immer Mädels rechts, Jungs links, ab in die Büsche. Bei so einer Gelegenheit ging es bei mir nicht so schnell wie gewohnt, weshalb der LKW auch prompt ohne mich abfuhr. Nach etwa 500 Metern merkte unser guter Päffi auch prompt: „Halte mal, da fehlt doch einer“. Da kam ich dann mit hängenden Hosen hinterher gerannt. So gab es für die Gesellschaft halt immer etwas zu lachen.
Und schon kamen wir wieder an die Grenze, wo uns die portugiesischen Beamten schon in Erwartung von kräftiger Blasmusik mit Freude empfingen.
Das erste Übernachtungsziel zurück in Südwest war Okaukuejo, damals ein noch im Aufbau befindliches Touristenlager im Etosha-Nationalpark. Wir schliefen in offenen kleinen Grashütten direkt angrenzend an die Wasserstelle, wo sich nachts Afrikas Tierwelt einfand.
Tags darauf war mein 18. Geburtstag, an dem wir bis Kalkfeld fuhren, ein Dorf in der Mitte des Landes. Dort holte mich mein Vater ab, und ich konnte den einzigen Tag der Ferien zu Hause auf der Farm verbringen. Die Gruppe fuhr noch ca. 70 km bis Omaruru weiter, wo ich am nächsten Tag wieder zi ihnen stoßen konnte.
Und nun kam nach drei anstrengenden, aber auch interessanten und fröhlichen Wochen die allerletzte Etappe bis nach Swakopmund, wo wir am Abend eingestaubt und müde, aber randvoll mit den schönsten Erlebnissen und mit neuem Wissen glücklich und dankbar von unserem rollenden Ferienlager abstiegen. Es war ein unvergessliches gemeinschaftliches Ereignis, welches bei uns tiefe Eindrücke hinterlassen hat. Wir gingen alle noch zu einer kurzen Andacht in die Kirche und dankten unserem Herrn für ein solch unvergleichliches Erlebnis, welches wir ohne irgendwelche schlimmen Vorkommnisse genießen durften.
Hubertus von der Pforte