Lange betrachtet der Generalinspektor der namibischen Polizei, Generalleutnant Sebastian Ndeitunga, die eingefallene Blechhütte und den danebenstehenden trockenen Baum. Knapp 30 Meter entfernt ist ein altes gemauertes Wasserreservoir zu sehen, und die Umrisse eines Schafkraals sind noch zu erkennen. „Hier habe ich als Junge über ein Jahr alleine gelebt und 601 Karakulschafe gehütet. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich eines Tages als Generalinspektor der namibischen Polizei in einem Hubschrauber hierhin zurückkehren würde“, sagt Ndeitunga. Er erklärt dem heutigen Besitzer der Farm, Dr. Dries Coetzee und dessen Frau Magda, wie er täglich die Schafe über die vielen Steine auf die umliegende Weide getrieben hatte und dass er jeden Freitag alle 601 Schafe zum etliche Kilometer entfernten Farmhaus bringen musste, wo sie vom Besitzer gezählt wurden. Anschließend bekam er seine Ration für die Woche – Fleisch, Zucker, Maismehl und Kaffee – und ging mit seinen Schafen zurück zum Posten.
Sebastian Ndeitunga, 1962 geboren, hatte sehr früh seine Mutter verloren und verbrachte seine Kindheit bei einem Onkel mütterlicherseits in Ohakadu nördlich von Oshakati an der Grenze zu Angola. Er war erst elf Jahre alt, als er sich als Kontraktarbeiter in Ondangwa meldete. „Wir Jungen durften nur als Schafhirten in den Süden des Landes, die jungen Männer konnten auf Rinderfarmen, in den Fischfabriken oder auf den Minen arbeiten“, so der Polizeigeneral. Sein Antrag wurde genehmigt, und mit dem Bus ging es nach Grootfontein, von dort mit dem Zug nach Windhoek und schließlich weiter nach Keetmanshoop.
Der junge Sebastian, der kein Afrikaans oder Englisch sprach, kam an einem Samstag in Keetmanshoop an. Die Reise nach Konkiep, dem heutigen Goageb, ging erst am Montag weiter. Am Sonntagmorgen entdeckte der sehr christlich erzogene Junge eine Kirche, während er in der Nähe des Bahnhofs umherspazierte. „Als ich hineinging schauten mich alle an und ich dachte, sie taten das, weil ich zu spät kam“, erzählt Ndeitunga. Nach dem Gottesdienst stand er draußen und Männer, die an ihm vorbeigingen, sagten immer pasop! Schließlich klärten ihn einige Schwarze in der Nähe auf, dass pasop Afrikaans ist und Pass auf bedeutet; er habe Glück gehabt, dass sie ihn in Ruhe ließen, da er in eine Kirche nur für Weiße gegangen war. Im damaligen Südwestafrika, das von Südafrika als Mandatsgebiet verwaltet wurde, galt damals ebenfalls die Apartheid.
Am Montag schlief der junge Ndeitunga, als der Zug in Konkiep einlief. Er wurde mit anderen Jungen erst kurz vor Aus geweckt und vom Schaffner ausgeschimpft. Nach drei Tagen in Aus ging es am Donnerstag zurück nach Konkiep und dort erwartete ihn Sybrand Coetzee, der Bruder des Farmbesitzers Fanie Coetzee, dem die Farm Nuichas Teil 2 gehörte. Dieser Teil war inoffiziell als die Farm Stofbakkies bekannt. Fanie Coetzee war später einer der Abgeordneten für Südwestafrika im südafrikanischen Parlament. Sebastian wurde einige Kilometer vom Farmhaus entfernt „in einer Kurve an der Hauptstraße“ abgesetzt und sollte einem Pfad in Richtung Westen folgen, bis er bei einem Posten einen damarasprachigen Schafhirten antreffen werde. Besagter Hirte erklärte dem jungen Sebastian, dass er einige Kilometer weiter einen Posten mit Wellblechhütte, Tränke und Kraal finden werde, wo er von nun an wohnen und die dortigen Schafe hüten werde.
„Eines Tages kam ich vom Schafe hüten zurück zu meiner Hütte und musste feststellen, dass Paviane eingebrochen waren und meine gesamten Vorräte gestohlen hatten. In meiner Not schlachtete ich ein Lamm, was zum Glück niemals bemerkt wurde“, erinnert sich Ndeitunga. Er besaß nur einen zerschlissenen Overall, und die vielen Steine überall und das Stechgras machten ihm zu schaffen. Im zentralen Norden des Landes gibt es fast keine Steine, nur weißen Sand.
Nach einigen Monaten traf er einen Schafhirten der Nachbarfarm, der ihm erzählte, dass die Befreiungsbewegung SWAPO eine große Bombe auf das Gebiet werfen werde und viele sterben würden. „Ich wollte zurück ins Ovamboland, obwohl erst etwas mehr als ein Jahr von meinem 18-monatigen Arbeitsvertrag vorüber war. Ich erhielt 10 Rand im Monat und Coetzee sagte, ich bekäme 11 Rand wenn ich bleiben würde. Also blieb ich, hatte aber immer Angst vor der angeblichen Bombe“, erzählt der General. Er wollte immer noch gehen, aber Coetzee überredete ihn, bei seiner verwitweten Schwester Anna Steenkamp auf der Nachbarfarm Koppies Schafe zu hüten, für 12 Rand im Monat. Als eines Tages ein Schaf fehlte, beschloss der junge Ndeitunga zu kündigen. Anna Steenkamp und Coetzee zahlten ihm sein gesamtes Gehalt aus, aber Steenkamp meinte, dass sie nicht seine Zugfahrkarte bezahlen würden, da er seinen Arbeitsvertrag nicht eingehalten habe.
„Ich muss betonen, dass ich während der 17 Monate, die ich auf der Farm Nuichas Teil 2 und Koppies war, niemals misshandelt wurde“, erklärt General Ndeitunga.
„In Keetmanshoop habe ich meine Fahrkarte nach Grootfontein bezahlt und dann in einem Laden viel eingekauft. Danach hatte ich keine Geld mehr, weil ich mich nicht traute Ware zurückzulegen, bevor ich zur Kasse ging“, sagt der General.
In Grootfontein angekommen konnte er keine Fahrkarte für den Bus nach Ondangwa kaufen und arbeitete einen Monat lang für 28 Rand illegal im Fish & Chips-Laden eines Portugiesen. „Bald merkte ich, dass die meisten Angestellten etwas mitgehen ließen und einmal klaute ich eine Konserve. Just an diesem Tag wurde ein anderer Angestellter erwischt und es kam heraus, dass die meisten lange Finger hatten. Wir wurden alle entlassen“, so der Polizeichef. Für einige Wochen arbeitete der junge Sebastian noch bei einer Baufirma und fand dann jemanden, der ihn nach Ondangwa schmuggeln würde – gegen Bezahlung, da er sich illegal in Grootfontein befand und dort illegal gearbeitet hatte. Und so gelangte Sebastian Ndeitunga Ende 1974 in einer Kiste auf einem Bakkie (Pickup) über Oshivelo, dem Kontrollposten zum Ovamboland, zurück nach Ondangwa.
Kurz danach wurde er von der SWAPO (South West African Peoples Organisation) angeworben, nach Angola gebracht und schloss sich PLAN (Peoples Liberation Army of Namibia), dem bewaffneten Flügel der SWAPO, an.
Dirk Heinrich