Namibia Focus

Dreimal 75 Jahre bei Hartlief

Geschrieben von Namibia Focus | Sep 29, 2022 8:19:06 AM
Vom Betrieb der Familien Raith und Hartlief zum Großunternehmen in der Gruppe Ohlthaver & List

"Das gute Fleisch. Unser Know-how, unsere Fähigkeiten. Wir waren fleißig und hatten auch ein bisschen Glück. Der Markt war da. So kam alles zusammen." Mit diesen wenigen und bescheidenen Worten beantwortet Wolfgang Raith die Frage nach dem Erfolgsrezept für das Traditionsunternehmen Hartlief, das mit der Geschichte der Fleischveredelung in Namibia verbunden ist wie kein anderes. Und dessen Name für Wurst- und Fleischprodukte höchster Qualität steht, weit über die Grenzen Namibias hinaus.

Anlass der Frage ist das 75-jährige Bestehen des Unternehmens. Das damit ebenso alt ist wie seine langjährigen Eigentümer, das Ehepaar Wolfgang und Renate Raith (geborene Hartlief). Und doch verliefen die siebeneinhalb Jahrzehnte der drei Jubilare nicht durchgehend Seite an Seite. Hartlief hat eine Vorgeschichte, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht. Und Wolfgang Raith wurde nicht in Windhoek geboren, sondern im Drei-Länder-Eck Deutschland - Schweiz - Frankreich...

Fleisch für Supermärkte und Restaurants

1946, Windhoek. Südwestafrika wird Kraft Mandat des Völkerbundes / der Vereinten Nationen von Südafrika verwaltet. Viele deutschstämmige Männer kehren aus der Internierung während des Zweiten Weltkrieges zurück. Unter ihnen Karl Hoffend, der Eigentümer von Hoffend's Schlachterei in der Kaiserstraße, der heutigen Independence Avenue, gegenüber von der Kudu-Statue. Er hat kein Interesse mehr, seinen Betrieb weiterzuführen, und übergibt ihn an Karl und Inge Hartlief, die ihn in seiner Abwesenheit geleitet haben.

Hoffend's Schlachterei in der damaligen Kaiserstraße, der heutigen Independence Avenue. Foto: Hartlief-Archiv

 

In den 1950er Jahren richten Karl und Inge die Schlachterei neu aus. Sie sind die ersten, die die aufkommenden Supermärkte mit abgepacktem Fleisch beliefern. Zu ihren Kunden zählen auch Restaurants und Hotels. Sohn Werner und Tochter Renate packen während der Schulzeit ebenfalls mit an.

1966 zieht die Schlachterei "auf die grüne Wiese", ins nördliche Industriegebiet. Im gleichen Zuge erhält sie auch offiziell den Namen ihrer Eigentümer: Hartlief. "Die Umbenennung war nur ein formaler Akt", erklärt Renate. "Hartlief war Hartlief, seit meine Eltern den Betrieb 1946 übernommen hatten."

Die Hartlief's Schlachterei nach dem Umzug ins nördliche Industriegebiet. Foto: Hartlief-Archiv

 

Von Südwestdeutschland nach Südwestafrika

1966 ist auch in einschneidendes Jahr für Wolfgang Raith. Geboren 1946 in Lörrach und aufgewachsen als erstes von sechs Kindern in Wehr/Baden im Südschwarzwald, hat er von klein auf im elterlichen Gasthof mit Metzgerei und kleiner Landwirtschaft mitgeholfen. "Zeit zum Spielen gab es kaum", erinnert sich der 75-Jährige an seine Kindheit. "In der Nachkriegszeit war bei uns Gebot der Stunde: Stiefel anziehen und ab in die Wurstküche. Einmal hat mich der Pfarrer aus unserer Schwarzwälder-Schinken-Räucherei herausgezogen und so rußig, wie ich war, direkt mitgenommen in den Kommunionsunterricht."

Die Metzgerei in Wehr/Baden im Südschwarzwald. Eigentümer Max Raith (links) mit seinen Söhnen Wolfgang (Vierter v.l.) und Helmut (vor Wolfgang). Foto: Familien-Archiv Raith

 

Die Schule verlässt Wolfgang nach Klasse 9 mit dem Hauptschulabschluss. Er absolviert eine Metzger-Lehre im Betrieb des Vaters, dann für ein Jahr in Calw eine zusätzliche kaufmännische Ausbildung. Im Laufe eines Volontärsjahrs lässt er sich in Basel zum Traiteur (Fleischfeinkost-Spezialisten) ausbilden. Danach zieht es den erst 19-Jährigen ins Ausland. "Weg vom dominanten Vater", fügt Wolgang Raith hinzu.

Eine Bekannte, die aus Johannesburg stammt, macht ihn darauf aufmerksam, dass Südafrika gerade um Fachkräfte aus dem Ausland wirbt. So fliegt Wolfgang im August 1966 nach Johannesburg und arbeitet dort in einer Biltong- und Trockenwurst-Fabrik eines griechischen Eigentümers. Im November unternimmt er eine Tour nach Südwestafrika/Namibia und trifft Fred Wittneben, der für die Zentralschlachterei einen Schlachter sucht. Da Südwestafrika/Namibia von Südafrika verwaltet wird, ist ein Umzug kein Problem.

Wolfgang Raith 1966 auf seiner Tour mit einem Opel Kadett von Südafrika nach Namibia. Foto: Familien-Archiv Raith

 

Produktpalette erweitert

"Als ich meinen Eltern und Geschwistern daheim von den Möglichkeiten schrieb, die sich hier boten, kamen mein Vater Max und meine Schwester Monika sofort nach Windhoek", erzählt Wolfgang. Dann geht es Schlag auf Schlag. Ende 1967 übernimmt Max Raith die Schlachterei de Jong in der John Meinert Straße. Im Jahr darauf kommen seine Frau Johanna und weitere Geschwister. Max Raith & Sohn verschafft sich rasch einen Ruf als Schlachterei mit Erzeugnissen höchster Qualität. "Als wir anfingen, gab es Wurst- und Aufschnittsorten, die man an zwei Händen abzählen konnte. Die Palette haben wir nach und nach auf mehrere Dutzend Erzeugnisse erweitert", erinnert sich Wolfgang. Ein weiterer Vorteil: Von Deutschland und der Schweiz her wissen die Raiths einen Tierkarkass optimal zu verwerten.

Die Familie Raith in der neu erworbenen Schlachterei in Windhoek (v.l. Monika, Rita, Max, Hannelise und Wolfgang; vorne Thomas und Jürgen. Helmut fehlt auf dem Foto, weil er seine Schule in Deutschland beendet. Foto: Familien-Archiv Raith

 

Anfang 1969 legt Wolfgang Raith in Landshut die Meisterprüfung ab. Nach kurzer Arbeit als Produktionsmanager und Filialleiter bei einem Familienunternehmen in Kapstadt kehrt er nach Windhoek zurück. Er übernimmt die Produktion von Max Raith & Sohn, die mittlerweile ins nördliche Industriegebiet ausgelagert worden ist. Auf ein Grundstück, das direkt an die Schlachterei Hartlief grenzt. Und auf der anderen Seite an den Schlachtbetrieb Kandler.

"Über den Zaun hinweg haben wir uns unterhalten. Darüber, dass wir uns eigentlich gut ergänzen und dass eine Zusammenarbeit für alle von Vorteil wäre." Hartlief beliefert Großkunden, Raith verkauft über den Tresen, Kandler könnte sich auf Rohwurst und Nebenprodukte konzentrieren. Karl und Inge Hartlief wollen sich zur Ruhe setzen, Sohn Werner braucht einen tatkräftigen Partner. "Für mich bot sich die Gelegenheit, meinen eigenen Weg zu finden, ohne dass mir mein Vater hineinregieren konnte", erklärt Wolfgang.

Raith heiratet Hartlief

Eigene Wege geht Wolfgang Raith zu jener Zeit vor allem in der Freizeit. Seit seiner Lehrzeit im Fußball aktiv, spielt er beim Sport Klub Windhoek (SKW) Rechtsaußen. Der Klub finanziert sich auch durch die jährlichen Karnevalsfeiern, die er organisiert. Wolfgang hilft als Kellner. Renate Hartlief, die nach ihrer kaufmännischen Ausbildung in Windhoek ein Jahr lang bei Kühne & Nagel in München tätig war, ist frisch aus Deutschland zurück und kommt mit einer Freundin zum Karnevalsabend. So lernen sich Wolfgang und Renate kennen. Wenige Monate später verloben sie sich, kurz darauf heiraten sie.

Karl und Inge Hartlief (Mitte) mit Tochter Renate und Schwiegersohn Wolfgang Raith Mitte der 1970er Jahre. Foto: Hartlief-Archiv

 

Zur privaten Partnerschaft mit Renate gesellt sich eine geschäftliche mit ihrem Bruder Werner - und mit Eberhard Fülle von Schlachterei Kandler. 1970 entsteht auf diese Weise ("3 names of quality - 1 quality programme") ein Unternehmen mit gebündeltem Know-How. "Wir hatten dabei natürlich auch den Markt in Südafrika im Blick", verrät Wolfgang. "Biltong, Trockenwurst und Wurstwaren aus Südwestafrika standen in gutem Ruf. Außerdem gab es dort kaum Fachkräfte, die ähnlich gut ausgebildet waren wie bei uns." Das erweist sich auch an Werner Hartlief, der nach Kapstadt zieht, in die Heimatstadt seiner Frau Wendy. Und dort rasch Fuß fasst. Werner Hartlief Specialities beliefert Betriebe.

Ausbau in zwei Phasen

Hartlief in Windhoek dagegen stößt an die Grenzen seiner Kapazität. Die Produktionsstätte muss unbedingt erweitert werden. Das geschieht in den Jahren 1972 bis 1983, in zwei Phasen. Um die bestehende Fabrik herum, damit die Produktion weiterlaufen kann. Technik und Qualitätsstandards entwickeln sich weiter. Der jüngere Bruder Helmut, der bei Hartlief eine Fleischer-Lehre durchlaufen hat, geht zur Fleischertechnik-Ausbildung nach Kulmbach und kehrt als Meister zurück. Er kümmert sich um den anspruchsvollen Großkunden Woolworth South Africa. Der zweitjüngste Raith-Sohn Thomas stößt nach seiner Ausbildung zum Fleischermeister in Deutschland zu Hartlief.

Zehnjähriges Jubiläum von Raith's Meat Delicatessen & Kehrer's Backparadies (vorne v.l.): Thomas, Monika, schräg dahinter ihr Mann Dieter Kehrer, Hannelise, Rita mit Ehemann Bernd Seefeldt, Renate und Wolfgang Raith. Foto: Familien-Archiv Raith

 

Familienvater Max Raith dagegen zieht sich mit seiner Frau Hannelise 1973 auf die Farm Otjimpaue bei Omaruru zurück - auf der heute das Wasser der Marke Oasis abgefüllt wird. Die älteste Tochter Monika führt den Betrieb weiter, unter neuem Namen und an neuem Ort. Mit ihrem Mann Dieter Kehrer betreibt sie Raith's Meat Delicatessen & Kehrer's Backparadies im Deli-Markt im Untergeschoss des Gustav Voigts Zentrums in der Stadtmitte Windhoeks. Später zieht sie mit dem Supermarkt um zum neuen Einkaufszentrum bei Maerua Mall.

Wildfleisch nach Europa

Als äußerst lukratives Nebengeschäft für Hartlief erweist sich Wildfleisch. Ein gutes Beispiel für das Gespür der Metzger-Familie Raith für neue Fleischprodukte. "Wenn man in den 1960er Jahren eine Farm besuchte, erhielt man oft eine Wildkeule als Geschenk", erinnert sich Wolfgang Raith. "Aber einen kommerziellen Wert hatte Wildfleisch nicht." Sein Vater begann, Wildfleisch anzukaufen. "Er trank mit Farmern, die gutes Wildfleisch liefern konnten, in seinem Büro Whiskey und gewann sie damit als treue Lieferanten."

Ab 1970 exportiert Hartlief so genannte Primal Cuts aus Großwild, also Rücken, Filet und Stücke aus der Keule. Vakuumverpackt wird das Fleisch per Flugzeug in die Schweiz geliefert - zu sehr guten Preisen. Als im Süden Südwestafrika/Namibias aufgrund guter Regenfälle die Zahl der Springböcke stark zunimmt, wird mit zwei Importeuren aus Deutschland die Firma Windhoek Wild gegründet. Sie exportiert Springbock-Karkassen tiefgefroren nach Österreich, wo sie aufgetaut und entbeint werden. Im besten Jahr sind es 60.000 Karkassen.

Die Produktionsstätte der Firma Windhoek Wild. Foto: Hartlief-Archiv

 

"In Österreich hat man sie als Reh umettikettiert und nach Deutschland verkauft, weil man so höhere Preise erzielen konnte", erzählt Wolfgang Raith und fügt schulterzuckend hinzu: "Wildhändler sind keine Heilige." Doch dieser unheilige Handel rächt sich 1986 mit der Reaktorkatastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl. Denn aus Furcht vor radioaktiver Verseuchung ist Wildfleisch plötzlich nicht mehr gefragt. "Und da man keine eigene Marke für Springbockfleisch entwickelt und beworben hat, konnte man auch niemanden davon überzeugen, dass es absolut strahlungsfrei war." Hinzu kommt eine längere Dürre in Südwestafrika/Namibia. Das Exportgeschäft bricht zusammen. So verlegt sich der Betrieb auf Biltong und Trockenwurst, die hauptsächlich an Woolworth SA geliefert werden.

Hartlief investiert in Ausbildung

Der Fleischbetrieb Hartlief dagegen wächst weiter. Zeitweise beschäftigt das Unternehmen rund 500 Mitarbeiter. Darin zeigt sich auch die arbeitsintensive Produktion. "Wir hatten rund 200 Produkte", erklärt Wolfgang. "Wegen der geringen Menge pro Produkt war es kaum lohnenswert, die Fertigungsprozesse zu automatisieren."

Breite Produktpalette: Eine Vielzahl an Wursterzeugnissen... Foto: Hartlief-Archiv
 
Ein weiteres der vielen neuen Produkte von Hartlief: Pastrami aus der Rinderbrust. Foto: Hartlief-Archiv

 

Damit ist Hartlief auf eine Vielzahl qualifizierter Kräfte angewiesen. "Wir haben sehr viele Mitarbeiter ausgebildet, bis hin zur hausinternen Gesellenprüfung. Einige von ihnen, die ausreichende Deutschkenntnisse hatten, haben wir zur offiziellen Gesellenprüfung nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz geschickt." Renate Raith fügt schmunzelnd hinzu: "Wenn wir später im Land unterwegs waren, wurden wir immer mal wieder von ehemaligen Mitarbeitern angesprochen, die bei Hartlief ausgebildet worden waren."

Auch außerhalb des eigenen Unternehmens geben Wolfgang und Renate Raith ihr Wissen und ihre Erfahrung gerne weiter - bis heute. Etwa an Farmer. Und an das wachsende Tourismus-Unternehmen Gondwana Collection Namibia. "Wir waren öfters in der Canyon Lodge, auch für die Wanderung durch den Fischfluss Canyon, und haben dort die Gründung des Self Sufficiency Centre mit Tipps und Training begleitet. Nach dem Umzug des SSC nach Stampriet haben wir Gondwana darin unterstützt, die Qualität ihrer Fleischprodukte weiter zu verbessern."

Show-Bratwurst als Markenzeichen

Hartlief bildet aber nicht nur aus, sondern holt sich auch immer wieder Know-How ins Haus. Wolfgang Raith: "Es gab einen Austausch mit führenden Unternehmen in Deutschland, der Schweiz, Holland und weiteren Ländern Mitteleuropas, die freizügig ihr fachliches und technisches Wissen mit uns geteilt haben. Wir konnten den Mitarbeitern zwar keine Bezahlung wie in Europa bieten. Aber für sie zählten die Auslandserfahrung und das Kennenlernen einer anderen Kultur. Einige von ihnen sind heute in Führungspositionen in namhaften Betrieben." Selbst eine Institution wird "importiert": Hartlief beteiligt sich an der Gründung der Handwerkskammer.

Schon in den 1960er Jahren sehr beliebt: Die "Show"-Bratwurst von Hartlief auf der jährlichen Windhoeker (Landwirtschafts-)Ausstellung. Am Stand sind auch Inge Hartlief (rechts) und ihre Tochter Renate (3.v.r.). Foto: Hartlief-Archiv

 

Auch im Marketing blickt das Unternehmen über den heimischen Tellerrand. Absoluter Clou: Das Herz als Symbol für Hartlief, eine Anspielung auf das englische heart und das afrikaanse lief = lieb(en). Mit Herzblut und Liebe gefertigt. Zur Einprägung der Marke Hartlief trägt auch die "Show-Bratwurst" bei, eine Wurst mit besonderen Gewürzen. Sie wird extra für die jährliche Windhoeker Messe frisch produziert, die sich um die Landwirtschafts-Ausstellung der Farmer herausgebildet hat. Eine klare Botschaft: Zur Fleischproduktion das veredelte Erzeugnis. "Viele kamen übrigens nur wegen der Bratwurst zur Messe", sagt Renate Raith.

Vom Familienbetrieb zum Großunternehmen

Erfolg und Wachstum des Unternehmens stellen Eigentümer und Management vor neue Herausforderungen. Neben Fachwissen in der Fleischverarbeitung werden Kenntnisse und Erfahrung in der Führung und Ausrichtung großer Unternehmen immer wichtiger. Auch das Umfeld ändert sich. Angestellte und Arbeiter organisieren sich in Gewerkschaften. "Hartlief war stets sehr liberal und in den 1980er Jahren das erste Unternehmen, das bestreikt wurde", erzählt Wolfgang Raith.

Drei Brüder, drei Fleischermeister (v.l.): Thomas, Wolfgang und Helmut. Foto: Hartlief-Archiv

 

Seine Frau und Geschäftspartnerin Renate sehnt sich nach einem kleinen, übersichtlicheren Betrieb. 1989 zieht sie sich aus der Unternehmensführung zurück und eröffnet am Uhrturm im Stadtzentrum von Windhoek ein Bistro. Sie bezieht über Hartlief bestes Fleisch und Know-How und führt Imbissgerichte wie Gyros ein. Der jüngste Schwager Jürgen Raith, Chefkoch und Hotelier, gibt wertvolle Tipps für Küche und Menü. Mit der Aufbruchstimmung nach der Unabhängigkeit Namibias 1990 entwickelt sich ihr Le Bistro am Uhrturm zu einem beliebten Treffpunkt für Namibier aller Volksgruppen.

Das Le Bistro von Renate Raith am Uhrenturm in der Independence Avenue. Foto: Familien-Archiv Raith

 

Thomas Raith wechselt die Branche: Er übernimmt Kehrer's Backparadies, die Bäckerei seines verstorbenen Schwagers. Später bekannt unter dem Namen Raith Bake, sind seine Backwaren an Verkaufswagen erhältlich, die an strategischen Punkten in Windhoek parken. In Swakopmund betreibt Thomas zudem die beliebte "Gelateria". Sein älterer Bruder Helmut zieht nach Kapstadt und beliefert mit seinem Betrieb Raith Gourmet in Belville Industrial den Großkunden Woolworth SA.

Mitglied der Gruppe Ohlthaver & List

2005 fusioniert das Unternehmen mit Farmer's Meat Market. Mehrheits-Teilhaber ist Christo van Niekerk. Mit dem Verkauf seiner Anteile 2019 wird Hartlief Mitglied der Unternehmensgruppe Ohlthaver & List. "Wir haben uns darüber sehr gefreut", kommentiert Wolfgang Raith, während Renate nickt. Denn die Unternehmens-Ziele stimmen im Kernpunkt überein. "Unser Credo war stets: Adding value to Namibian raw material and exporting it to the benefit of Namibia and its people" - Wertschöpfung aus namibischem Rohmaterial und Export zum Nutzen Namibias und seiner Bewohner."

Die Familie Hartlief/Raith bleibt ihrem Unternehmen übrigens bis heute verbunden: Antje Kesselmann, Tochter von Wolfgang und Renate Raith und Enkelin von Karl und Inge Hartlief, übernimmt von ihrem Vater den Sitz im Direktorium von Hartlief. Wie ihre Geschwister Sonja und Gabriela hatte sie von klein auf in den Ferien im Betrieb geholfen. So hat die Familie auch alle drei 75-jährige Jubiläen (mit)gefeiert. Am 8. Oktober 2021 das von Wolfgang Raith, über mehrere Wochen das von Hartlief und am 1. April 2022 das von Renate Raith (Hartlief).

Der Gebäude-Komplex von Hartlief im nördlichen Industriegebiet (oben ist Westen, rechts Norden). Screenshot von Google Satellite, September 2022

 

Der Gebäude-Komplex von Hartlief im nördlichen Industriegebiet, von Süden aus aufgenommen: Vorne der Hartlief Shop, dahinter die Produktionsanlagen mit Büros und Rooftop-Terrasse für Events (mit Haubendächern). Foto: Sven-Eric Stender

 

Hartlief in Meilensteinen
CA-Verpackungsanlage in Betrieb. CA steht für "controlled atmosphere". Foto: Hartlief-Archiv

 

  • Eigenes Labor zur Qualitätssicherung: Jeden Morgen wird die Produktion vom Vortag verkostet, jeder gibt seinen Kommentar ab
  • Warenwirtschaftssystem aus Deutschland zur Entbeinung, Produktion und Verpackung, mit kritischen Kontrollpunkten
  • Erstes Unternehmen im südlichen Afrika mit modernem CA-Verpackungssystem, bei dem Luft herausgesogen und durch sterile Luft ersetzt wird ("controlled atmosphere"); so liegen etwa Aufschnittscheiben nicht zusammengepresst wie bei der Vakuumisierung, sondern locker in der Verpackung
  • Titel "Marketing-Mann des Jahres", verliehen im Jahr 1984 vom Institut für Vermarktungs-Management an Wolfgang Raith und sein Team
    Gründung von Delies (shop in shop) in vier Filialen der Supermarkt-Kette Pick & Pay in Kapstadt
  • Catering für große gesellschaftliche Veranstaltungen wie den jährlichen Karneval des SKW. Größtes Ereignis: eine Konferenz von Round Table International mit mehr als 3.000 Teilnehmern
Wie sieht die Zukunft der namibischen Fleischbranche aus?
Namibias frei laufende Rinder leben gesund. Foto: Sven-Eric Stender

 

"Im Bereich der Karkassen und Primal Cuts vom Rind, die ausgebeint, veredelt und vakuumverpackt werden, ist die Branche gut aufgestellt, meint Wolfgang Raith. "Rindfleisch aus Namibia genießt international einen ausgezeichneten Ruf mit seinen frei laufenden Rindern, die ohne Futterbank, Chemikalien und Hormonen in intakter Natur aufwachsen. Die Südafrikaner schätzen das gesunde, natürliche Fleisch. Die Europäer ebenfalls, die ja mehr und mehr von der Massenhaltung abrücken und mit dem Etikett 'Weide-Rinder' werben. Der weltweite Bedarf an natürlichem Fleisch wächst. Namibia wird ihn nie decken können, wie man ja bereits an den nicht ausgeschöpften Quoten für den Fleischexport nach Norwegen sieht."

Auch für Wildfleisch sieht Wolfgang noch großes Potenzial. "Wenn das Wild fachgerecht gejagt und verarbeitet wird, kann man daraus hochwertige Edelstücke fertigen. Diese Produkte braucht man gar nicht zu exportieren, sondern kann sie in Lodges und Restaurants Touristen servieren, die Namibia bereisen. Das hat eine Riesenzukunft."

Die verarbeitende Branche dagegen muss nach Ansicht des pensionierten Experten "neu denken", noch stärker in Richtung einer "green range" von Fleischerzeugnissen. "Damit meine ich, dass wieder natürlicher produziert wird, wie zu Zeiten meines Großvaters."

 

 

Autor dieses Beitrags ist Sven-Eric Stender. Er stammt aus Hamburg und arbeitet seit 1986 als Journalist. Seit 1998 lebt er in Windhoek und hat sich auf die Themen Reise, Natur, Menschen und Geschichte Namibias spezialisiert. Für Fragen oder Anregungen ist er zu erreichen unter editorial@namibiafocus.com.