Wenn ich in den ländlichen Gegenden von Namibia unterwegs bin, sehe ich gelegentlich eine schnittige Diesellokomotive vorbeirauschen. Was für ein Unterschied zu den Dampfzügen von einst, mit denen die Menschen hierzulande reisten, nachdem seit Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Schienenwege gebaut wurden. Während ich an einem Bahnübergang wartete, hatte ich Gelegenheit, über den unglaublichen Wandel nachzudenken, der sich in den sechziger Jahren vollzog, als die Dampflok in Südwestafrika von der Diesellokomotive abgelöst wurde.
„Die große Umstellung auf Dieselantrieb“ sorgte in den Zeitungen für Schlagzeilen. Es war eine enorme Investition: die 115 Diesellokomotiven, die bei General Electric in den USA bestellt wurden, schlugen mit rund neun Millionen Pfund zu Buche. Die starken neuen Lokomotiven konnten mehr Waggons und damit mehr Güter ziehen, und obendrein waren sie schneller als die Dampfzüge. Zudem hatte der Dieseltreibstoff nur ein Zehntel des Gewichts der Kohle, die zuvor für die gleiche Entfernung benötigt wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt in einem überwiegend trockenen Land: die Diesellok war nicht auf Wasserversorgung entlang der Strecke angewiesen. Das war ein Hauptgrund für den Wechsel von Kohle auf Diesel.
Mein Freund und Hobbyhistoriker-Kollege, Walter Rusch, war damals 19 Jahre alt und erinnert sich sehr gut an den Übergang auf die neue Antriebsart. Schließlich war er Heizer auf Dampfloks und dafür verantwortlich, die unersättliche Feuerbüchse mit Kohle zu beschicken. Das war schmutzige Knochenarbeit. Es war keineswegs ungewöhnlich, dass auf der Fahrt von Windhoek nach Keetmanshoop bis zu zehn Tonnen Kohle verheizt wurden. Der Wechsel von der Kohle zum Diesel war nicht nur wirtschaftlich vernünftig, aber für Walter bedeutete er „das Ende der romantischen Ära“. Eines seiner alten Fotos zeigt das Rendezvous einer Dampflok mit der sie ablösenden Diesellokomotive auf den Gleisen in der Wüste zwischen Swakopmund und Walvis Bay – eines der letzten Treffen dieser Art.
Die Anfänge des Dieselmotors gehen sehr viel weiter zurück. Vor 125 Jahren, am 10. August 1893, setzte Rudolf Diesel erstmal den Verbrennungsmotor in Gang, den er konstruiert hatte. Sein Motor bewies der Welt, dass Treibstoff durch Verdichtung – und die daraus resultierende Hitze – entzündet werden kann, statt durch einen Funken. Mit seiner Erkenntnis, den Druck und damit auch den thermodynamischen Wärmewirkungsgrad zu erhöhen, war er den Erfindungen seiner Zeit voraus, so auch dem Glühkopfmotor von Herbert Akroyd Stuart. Die Entwicklung des Verbrennungsmotors hatte allerdings auch ihre Tücken. Als Diesel die Leistungsfähigkeit von Wärme und Brennstoff zu Beginn der 1890er Jahre zunächst mit Dampf untersuchte, verwendete er Ammoniak und wäre bei der Explosion des Motors fast ums Leben gekommen. Er verbrachte mehrere Monate im Krankenhaus und kämpfte mit anhaltenden Gesundheitsproblemen und Sehstörungen. Dennoch feilte er unerschrocken weiter an seinem Model, und 1896 war der Dieselmotor geboren.
Dieser Motor revolutionierte das Transportwesen und die Industrie als Ganzes. Beide waren bis dahin auf die Kolbendampfmaschine angewiesen, bei der 90 Prozent der im Brennstoff vorhandenen Energie ungenutzt blieb. Schritt für Schritt löste der Dieselmotor die Dampfmaschinen auf Schiffen, in landwirtschaftlichen Geräten und später in Lokomotiven, Lastwagen und Autos ab. Er erwies sich auch als sparsamer im Verbrauch als Benzinmotoren.
Rudolf Diesel war es nicht vergönnt, die Weiterentwicklung zu erleben, die sein Motor in den darauffolgenden Jahrzehnten erfuhr. Er war 55 Jahre alt, als er 1913 an Bord der SS Dresden auf dem Weg nach London war und nie ankam. Sein Tod ist immer noch rätselhaft. Die einen glauben, er habe sich das Leben genommen, weil er an dem Gedanken verzweifelte, dass seine viel kritisierten Erfindungen nie genutzt werden würden; andere meinen, dass er ermordet wurde, weil er sich weigerte, den deutschen Streitkräften exklusive Rechte an seinem Dieselmotor zu gewähren. Diesel wollte in London mit Vertretern der Royal Navy über die Möglichkeit verhandeln, britische U-Boote mit Dieselmotoren auszurüsten.
Heute, im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, zeichnet sich erneut ein Wandel ab. Die Welt bemüht sich ihren Kohlenstoffausstoß zu reduzieren, um die Erwärmung der Erde aufzuhalten. Wir gehen abermals einer neuen Ära entgegen: angesichts schwindender Erdölreserven und anderer fossiler Energieträger werden erneuerbare Energiequellen, wie Wind und Sonne und Biobrennstoffe (aus organischen Materialien), nachhaltigere und umweltfreundlichere Alternativen. In dieser Hinsicht war Rudolf Diesel seiner Zeit weit voraus – sein erster Motor, den er am 10. August 1893 startete, lief mit Erdnussöl!
In einer Ansprache erklärte Diesel 1912: „Die Verwendung von pflanzlichen Ölen als Treibstoff mag heute unbedeutend scheinen. Doch im Laufe der Zeit kann es sehr wohl sein, dass solche Öle ebenso wichtig werden, wie Mineralöl- und Steinkohlenteerprodukte es derzeit sind“.
Der 10. August ist Internationaler Biobrennstoff/Biodiesel Tag – zum Gedenken an Rudolf Diesel und seinen Verbrennungsmotor, der vor mehr als einem Jahrhundert von Erdnussöl angetrieben wurde.
Manni Goldbeck