Namibia Focus

Festus und der geheimnisvolle Einsiedler von Sandwich Harbour

Geschrieben von Namibia Focus | Nov 27, 2020 3:28:42 AM

Geschichten von Abenteuer und verlorenen Schätzen ranken sich um die trostlose, verlassene Küstenlinie Namibias, die frühe Seefahrer in der Hoffnung auf vielversprechendere Gefilde meistens mieden. Einige unerschrockene portugiesische Entdecker fuhren die südwestafrikanische Küste im 15. Jahrhundert dennoch an. Sie waren mit ihren Karavellen in See gestochen, um neue Welten und Handelsrouten zu entdecken.

Diego Cão nannte einen dieser Orte Port d'Ilheo (Spitze der Insel), als er 1486 in die Lagune 50 Kilometer südlich von Walvis Bay segelte. Damals zogen die Vorfahren des ≠Aonin- oder Topnaar-Volks an der Küste entlang und ernährten sich von dem, was der Ozean hergab. Unzählige Vogelarten versammelten sich an diesem vielversprechenden Ort, wo Süßwasser aus dem Aquifer des Kuiseb durch die Dünen sickerte.

Die Lagune, die sich im Laufe der Jahre ständig veränderte, war einst mit dem Schiff zu erreichen und lockte Abenteurer an. Walfänger begannen im späten 18. Jahrhundert, die westafrikanischen Küstengewässer auszubeuten. In den 1840er Jahren folgten Guano-Sammler, die auf vorgelagerte Inseln wie Ichabo strömten, um Vogelkot zu ernten, der in Europa als Dünger begehrt war und als "weißes Gold" bezeichnet wurde. Der natürliche Hafen von Port d'Ilheo wurde unter dem Namen Sandwich Harbour bekannt. Der Name stammt entweder vom deutschen Wort Sandhai, oder von der HMS Sandwich. Das Schiff wurde auf eine Expedition zur Erkundung der Westküste Afrikas geschickt, bevor es 1792 in der Bucht zu Schaden kam. Sandwich Harbour lockte ab den 1850er Jahren verschiedene Industrien an, wie die Fischverarbeitung und später die Rindfleischkonservenindustrie.

Inmitten der faszinierenden Erzählungen von Schiffswracks, deren Treibgut an die Strände gespült wurde, gibt es die Geschichte eines exzentrischen deutschen Einsiedlers, der Ende der 1880er Jahre in Sandwich Harbour ankam. Mit einer französischen Militäruniform bekleidet traf er zusammen mit einem Händler aus Kapstadt ein, der ihn in Walvis Bay abgeholt hatte. Er trug einen Koffer mit medizinischen Instrumenten bei sich und wurde von Otto, seinem Foxterrier, begleitet. Verschiedene Gerüchte ließen vermuten, dass er einige Zeit in der Fremdenlegion gedient hatte.

Schüchtern und introvertiert errichtete der Einsiedler in einiger Entfernung der Siedlung eine Hütte aus Treibholz und angeschwemmten Brettern. Obwohl er von den einheimischen Fischern, die er behandelte, als "schweigender Herr Doktor" bezeichnet wurde, sprach er Deutsch, Französisch und Englisch. Er erlangte hohes Ansehen und es wurde ihm sogar nachgesagt, dass er über Kenntnisse der Tierkreiszeichen und der Geologie verfüge. Er besorgte Medikamente für seine Patienten von vorbeifahrenden Schiffen und kümmerte sich um die medizinische Versorgung der lokalen Gemeinschaft.

Über den schweigsamen Einsidler waren viele Gerüchte im Umlauf, nicht nur über seine Herkunft, sondern auch über seine Absichten. Einige glaubten, er sei auf der Suche nach dem sagenumwobenen Schatz eines verschollenen ostindischen Seefahrers. Der Legende nach befanden sich die Reichtümer eines Großmoguls an Bord, als der Seefahrer nach der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung im dichten Küstennebel Schiffbruch erlitt. Die überlebenden Seeleute und Passagiere sollen den Schatz am Strand oberhalb der Hochwassermarke vergraben haben.

Obwohl der Einsiedler anscheinend kein Glück bei der Schatzsuche hatte, blieb der örtlichen Fischergemeinde eine weitere Begebenheit im Gedächtnis. Eines Tages entdeckte der Hund des Einsiedlers bei einem Spaziergang in den Dünen ein intaktes Skelett und mehrere britische Münzen aus der Zeit vor 1850. Der Einsiedler barg alle Knochen und setzte das Skelett mit Draht wieder zusammen. Er nannte es Festus und stellte es in der Ecke seiner Hütte als Leibwächter auf. Er versah die Augenhöhlen mit Stücken alter Spiegel, steckte eine antike Tonpfeife in seinen Mund, benutzte Robbenhaut auf seinem Schädel als Haar und versah ihn mit Ohren aus Muscheln. Er kleidete Festus mit Stiefeln und einer ausrangierten khakifarbenen, mit Münzen verzierten Jacke, die ihn wie einen mit Orden behängten Offizier aussehen ließ. Bei Vollmond setzte er Festus vor seine Hütte, wo dessen Spiegelaugen im Mondschein funkelten und die Arme im Wind flatterten. Vor diesem Anblick schreckten selbst die Tapfersten zurück!

Der Einsiedler verbrachte den Rest seiner Tage in Sandwich Harbour, wo er an den Stränden und Dünen spazieren ging, die lokale Bevölkerung unterstützte und von ihr Vorräte für seine Dienste erhielt. Sein Vermächtnis und das seiner Leibwache Festus überlebten noch lange nach seinem Tod. Diamantenminenarbeiter und Polizisten, die auf dem Weg nach Conception Bay waren, übernachteten gewöhnlich in seiner Hütte, die unter dem Namen "Übernachtungspontok" bekannt wurde. Da sie nicht mutig genug waren, das Quartier mit dem Skelett des ertrunkenen Seefahrers, Abenteurers, Piraten oder Walfängers zu teilen, stellten sie Festus bei ihren monatlichen Besuchen nach draußen. Nach wiederholten Beschwerden von Arbeitern, die an umherwandernde Gespenster glaubten, erließ Polizeikommandant Van Coller 1929 schließlich den Befehl, Festus zu entfernen. Zwei Polizisten auf Kamelen wurden mit dieser Aufgabe betraut. Als der eine von seiner Aufgabe als Leichenbestatter erfuhr, bekam er Magenbeschwerden und verschwand für drei Tage, sodass seinem Kollegen die Aufgabe zuteil wurde, Festus nach dreißig harten Jahren Wachdienst kurzerhand zur Ruhe zu betten. Er vergewisserte sich, dass dem Skelett vorher die Wirbelsäule gebrochen wurde, damit der Tote nachts nicht umhergeistern würde. Ein Holzkreuz wurde aufgestellt, und eine leere Boegoeberg-Branntweinflasche und einige Muscheln markierten die Ruhestätte. Das Grab verschwand 1935 im Wüstensand.

Sandwich Harbour wurde schließlich dem pfeifenden Wind, den Vögeln und Schakalen überlassen. 1890 wurde die Sandbank, die die natürliche Bucht schützte, zum Teil weggespült, wodurch der Hafen für Schiffe zu flach wurde und die Menschen gezwungen waren, auf dem Landweg weite Strecken durch die Wüste zurückzulegen. Heute ist Sandwich Harbour Teil des Namib-Naukluft-Parks. Übrig geblieben sind lediglich ein paar Ruinen und Muschelhaufen sowie die reiche Geschichte von Unternehmertum, Abenteuer, Mysterien und Intrigen, darunter die Geschichte vom schweigsamen Einsiedler und seinem Leibwächter Festus.

Ron Swilling