Während meiner Kinder- und Jugendjahre in den 60er Jahren auf einer Farm östlich von Windhoek sammelte ich Briefumschläge. Sie waren für mich wegen der Briefmarken wahre Schätze. Einmal in der Woche fuhren mein Vater und ich mit dem „Farmbakkie“ (farmeigener Pritschenwagen) zur nahegelegenen Bahnstation Orumbo, um unseren Postsack zu holen, der in einem Blechfass deponiert wurde. Bereits auf dem Weg nach Hause kippte ich die Briefe auf meinen Schoss und bewunderte die Briefmarken. Eine meiner liebsten war jene mit dem 55 m hohen Bogenfels. Das Bild blieb mir immer vor Augen. Es sollte viele Jahre dauern, bis es mir möglich war, in das einst verbotene Sperrgebiet südlich von Lüderitz zu reisen und diese einzigartige Felsformation mit eigenen Augen zu sehen. Erst später erfuhr ich, dass der Bogenfels Anfang des 20. Jahrhunderts aus einem anderen Grund Anziehungspunkt für viele Menschen wurde – wegen Diamanten!
Als 1908 in der Nähe von Lüderitzbucht Diamanten entdeckt wurden, entwickelte sich eine hektische Betriebsamkeit. Viele brachen aufgeregt in die südwestliche Ecke des Landes auf, um ihr Glück zu suchen. Mehrere Bergbausiedlungen wie Pomona, Kolmanskuppe und Bogenfels wurden aus dem Wüstenboden um Lüderitz gestampft.
Anfangs stellten Transportmöglichkeiten für die Deutsche Diamantengesellschaft ein wesentliches Problem dar. Im Vergleich zu den Diamantenfeldern in der Nähe von Lüderitz, die mit Maultierkarren erreichbar waren, mussten die Diamantendörfer weiter südlich auf dem Seeweg versorgt werden. Der Dampfer „Linda Woermann“ transportierte Material und Güter zwischen Lüderitzbucht und Prinzenbucht. Kleine Brandungsboote brachten die Ladung an Land, wo es mit Kamelen, Maultieren und Pferden weiterging. Im Jahre 1913 entstand eine 46,4 km lange Eisenbahnstrecke von Prinzenbucht nach Bogenfels, die zur weiteren beachtlichen Entwicklung des Ortes beitrug. Mit seiner eher ungewöhnlichen Lage inmitten der wasserlosen Namibwüste wurde es bald zum „Zentrum des Südens“. Gebäude, Häuser, Büros und eine Werkstatt wurden errichtet, wie auch eine Klinik mit eigenem Arzt, eine Post, Kegelbahn, Bäckerei und ein Schlachthof. Bogenfels beherbergte eine der ersten Schiechel-Anlagen zur Gewinnung von Diamanten aus geschürftem Kies und Sand, ein Riesenfortschritt zu der Zeit. 1912 wurde die Entsalzungsanlage von Prinzenbucht nach Bogenfels verlagert. Zusammen mit Wasser aus dem Buntfeldschuh-Wasserloch 10 km im Inland war die Wasserversorgung der Einwohner nun ausreichend.
Der Boom um das Diamantenstädtchen Bogenfels war nur von kurzer Dauer. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde die Diamantenförderung vorübergehend eingestellt, um dann 1916 wieder aufgenommen zu werden. Die Produktion setzte sich 1920 nach der Gründung der CDM (Consolidated Diamond Mines) fort, kam jedoch durch die wirtschaftlichen Einschränkungen der Depressionsjahre nach dem Krieg erneut zum Stillstand.
Nicht lange danach verfiel der Ort. Von baufälligen Häusern wurde bereits 1930 berichtet; die Wüste eroberte sich zurück, was ihr gehörte. Es gab diverse Wiederbelebungsversuche der Diamantenindustrie, aber die neuen Diamantenvorkommen waren schnell erschöpft. Zwar wurden Diamanten von guter Qualität produziert, die größeren Exemplare wurden jedoch weiter im Süden in Oranjemund entdeckt, wo sich die Industrie dann etablierte.
Heute ist wenig zu sehen von der einst lebendigen Stadt, und außer ein paar Relikten des Bergbaugewerbes wehen nur Diamantenträume und die Erinnerung an vergangene Zeiten im Wüstenwind. Die Natur mit der ihr eigenen Kraft und Ausdauer ist einem vergänglichen Menschenleben jedoch weit voraus. Und so trotzt der Bogenfels heute noch majestätisch dem wilden Atlantik, weitab jeglicher Zivilisation. Auf einer alten verblichenen Fotografie aus damaliger Zeit kann man Reisende auf einer Pferdekutsche erkennen, den Bogenfels bewundernd – genau wie wir heute, mehr als ein Jahrhundert später, auf bequemere Art in unseren robusten Geländefahrzeugen.
Im Herzen noch immer Geographielehrer, fasziniert mich nach wie vor die frühe Erdgeschichte, deren Spuren wir in unserem Land ständig begegnen. Insbesondere gebogene Felsformationen üben eine gewisse Anziehungskraft auf mich aus. Nach etwa 30 Jahren führte es mich kürzlich mit Coastway Tours wieder an den Bogenfels im heutigen Tsau//Khaeb Naturschutzgebiet (Sperrgebiet), und wieder war ich überwältigt von seiner außerordentlichen Imposanz.
Ich habe den Pont d’Arc in Südfrankreich gesehen und Monument Valley in den USA, habe die Schönheit des Hole-in-the-Wall im Ostkap bewundert und glücklich unter einem kleinen Felsbogen an der Spitzkoppe gesessen... Aber nie und nirgends war ich derart überwältigt von der Unermesslichkeit und Kraft eines Felsgebildes wie am Bogenfels, der durch die Naturgewalt der donnernden Brandung noch eindrucksvoller erscheint – Namibias ganz eigenes Denkmal der Pracht der Natur.
Schichten von Dolomitgestein, die durch ständige Wasserkraft der Wellen erodiert wurden, bildeten den Felsbogen über die letzten 500 Millionen Jahre – eine Zeitdimension, die wir uns nicht annähernd vorstellen können. In weit entfernter Zukunft wird der Tag kommen, an dem der Felsbogen unweigerlich den Elementarkräften des Wassers zum Opfer fallen wird. Jeder, dem der Anblick dieses Naturwunders Bogenfels vergönnt ist, wird um eine einmalige Erfahrung reicher.
Padlangs - Manni Goldbeck