Wer durch die rauhe Landschaft der Otavi-Berge fährt und sich Ghaub nähert, fühlt sofort, dass es sich um einen besonderen Ort voller Geschichte und Geschichten handelt: Kilometerlange, verwitterte Mauern aus Felsplatten, uralte Palmen und Gebäude im Stil des frühen 20. Jahrhunderts. Großformatige Fotos in den Zimmern gewähren einen Sprung 100 Jahre, Gravuren in den Felsen der Gegend sogar Tausende Jahre zurück...
Das Gebäude der ehemaligen Missionskirche nach Renovierung und Umbau zum Gästetrakt. Foto: Ghaub
„Endlich ging es dem Norden zu. (...) Unser Wagen war vollgeladen mit Mutters Sachen und Proviant für den Farmbetrieb. Ganz oben unter dem Zelt hatten wir einen niedrigen Platz zum Schlafen. Hinter der Vorkiste war noch ein schattiges Sitzplätzchen für Mutter frei. Diese Vergünstigung hat sie nicht oft und nicht lange genießen können. Neugeborene oder fusskranke Kälber mussten des öfteren diesen Platz haben, da blieb als Sitzplatz nur die harte, schattenlose Vorderkiste. Da ist Mutter dann lieber viel zu Fuss gegangen, um die harten Stösse auf dem Ochsenwagen (...) zu vermeiden. (...) Die endlosen Weiten, die täglich zu durchfahren waren, der üble Staub, den das Vieh verursachte und dass wir erst nach vierzehn Tagen wieder zwei weisse Leute sahen, hat Mutter doch sehr bedrückt.“
So erinnert sich Wilhelm Detering, ab 1901 Farmverwalter der Missionsstation Ghaub, an die Ankunft seiner Frau Auguste in Deutsch-Südwestafrika. Er hatte sie ein paar Jahre zuvor in Deutschland kennen gelernt und nun, im Jahre 1903, nachkommen lassen. Auf der Fahrt von Swakopmund nach Ghaub machen sie Anfang Juni Station in Karibib, um kirchlich zu heiraten.
Dann geht die Reise weiter in die nordöstlich von Otavi gelegenen Berge: „(...) Am 10. Juli 1903 erreichten wir Gaub. (...) 21 Tage Padleben, eine seltsame Hochzeitsreise. Unser erstes Häuschen lag nackt und kahl auf freiem Platze.“ Umgeben war der Platz von dornigem Busch, der sich über das ganze Tal und die Berge erstreckte. Nördlich vom Haus gab es einen Sumpf, Brutplatz vieler Moskitos. Wahrlich kein Paradies, das sich die Rheinische Mission 1895 für die Gründung einer Station ausgesucht hatte.
Grund sind die Berg-Damara, die sich in die Otavi-Berge zurückgezogen hatten, um sich vor anderen Volksgruppen zu schützen. Davon, dass die Gegend bereits seit Urzeiten von San bewohnt war, zeugen Hunderte Felsgravuren, darunter Tierfiguren wie Elefant und Nashorn. Auf die San verweist zudem der Name der Quelle Ghaub, die Überlieferungen zufolge auch wegen des dort stehenden Schilfrohrs und der daraus hergestellten Pfeile oft aufgesucht wurde. Ziel der Rheinischen Mission ist, bei der Quelle von Ghaub ein „Reservat“ zu gründen und die Menschen zum Christentum zu bekehren.
Im Juli 1895 lässt sich Missionar Kremer bei Ghaub nieder. Ein Jahr später schon wird eine kleine, aus Luftziegeln erbaute Kirche eingeweiht. Etwa 20 Kinder besuchen die Missionsschule, zwei Jahre später sind es schon 50, weil sich mehr und mehr Berg-Damara ansiedeln.
Doch das Sumpfgebiet in der Nähe der Station, Brutplatz für Moskitos, macht Missionar Kremer zu schaffen. Nach dem vierten Anfall von Schwarzwasserfieber, einer schweren Form der Malaria mit Nebenwirkungen durch die Behandlung mit Chinin, fährt er Ende 1898 zur Erholung nach Walvis Bay und kehrt erst neun Monate später wieder zurück. Auf seine Klage über den Sumpf hin schickt die Zentrale der Rheinischen Mission in Deutschland einen Ingenieur nach Ghaub. Dieser empfiehlt, einen Graben zur Entwässerung anzulegen und einen ausgebildeten Landwirt auf Ghaub anzustellen.
Offenbar beeindruckt von Kremers Bericht entschließt man sich, Nägel mit Köpfen zu machen: Am 30. Januar 1900 kauft die Rheinische Missionsgesellschaft die Farm Ghaub mit „etwa 9.000 Hektarn“ von der South West Africa Company Ltd. „für 9.000 M. in bar“. Um Ghaub finanziell von der Zentrale abzunabeln, wird Wilhelm Detering als Farmverwalter eingestellt. Er trifft am 26. August 1901 auf Ghaub ein und beginnt sofort mit der Arbeit. Detering legt das etwa zwei Hektar große Sumpfgebiet trocken, macht Ackerland urbar und baut sein Wohnhaus. Im Juni 1903 kommt seine Verlobte, Auguste Stocksiek, aus Deutschland nach.
Als sich am 11. Januar 1904 in Okahandja die Herero erheben, ruht die Arbeit auf Ghaub für zehn Monate. Alle weißen Familien im Land werden in die nächstgelegenen Festungen beordert. Kremers und Deterings fliehen nach Grootfontein. Im April stirbt Missionar Kremer dort an Schwarzwasserfieber, seine Witwe will danach nach Deutschland zurück. Vermutlich im Juli bringen Deterings sie mit dem Ochsenwagen zur Bahnstation Karibib und wollen zugleich Proviant holen. Doch es kommt anders: Die Schutztruppe verpflichtet Detering zu Proviantfahrten, während seine Frau in Karibib bleibt. Am 11. August 1904 findet die Entscheidungsschlacht der Schutztruppe gegen die Herero am Waterberg statt - aber erst Ende Oktober 1904 kommen Deterings nach Ghaub zurück.
In den folgenden Jahren verwandelt Wilhelm Detering die Farm in eine blühende Oase: Er setzt über 600 Bananenstauden, pflanzt Apfelsinen- und Zitronenbäume, Kasuarinen, Maulbeer- sowie Pfefferbäume und legt einen 60 Meter langen Weingang an. Von ihm vermutlich stammen auch die Dattelpalmen, von denen heute noch einige stehen. Er produziert Fleisch, Butter und Käse für den Verkauf an die Bergwerke. Und er lässt das Garten- und Obstland von Steinen säubern und mit der 1,50 m hohen sowie 80 bis 100 cm dicken Steinmauer umgeben, die dem Besucher noch heute durch ihre Länge und akkurate Schichtung auffällt.
Das Feld der Missionsarbeit dagegen liegt sieben Jahre lang weitgehend brach und wird auch danach nur noch für wenige Jahre weitergeführt. Mitte Mai 1911 trifft der später landesweit bekannte Missionar Heinrich Vedder ein. Bis 1914 bildet er Missionsgehilfen aus, die die zumeist überarbeiteten Missionare im Land entlasten sollen.
Im August 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Die deutsche Schutztruppe, die vor den weit überlegenen Verbänden der Südafrikanischen Union immer weiter in den Norden zurückweicht, zieht sämtliche Weizen- und Maisvorräte ein. Auch auf Ghaub werden die Nahrungsmittel knapp und immer mehr Menschen wandern von der Missionsstation ab. Nachdem die Schutztruppe Mitte Mai Windhoek aufgeben muss, bezieht der deutsche Gouverneur Seitz für kurze Zeit auf Ghaub Quartier.
In der Gegend der Otavi-Berge finden die letzten Gefechte gegen die Südafrikanischen Truppen statt. Missionar Vedder berichtet vom 4. Juli 1915, einem "verhängnisvollen" Sonntag. Demnach war die Kirchschule ausgeräumt und zum Lazarett umfunktioniert. Alle Kirchenbänke waren unter einem Feigenbaum im Schatten aufgestellt, aber niemand kam zum Gottesdienst. Man wusste, dass der Feind heranrückte. Zur Mittagszeit fielen die ersten Schüsse, zwei Stunden später rückte die südafrikanische Truppe ein. Am 9. Juli 1915 unterzeichnet die Schutztruppe bei Khorab, etwa zwei Kilometer nördlich von Otavi, die Kapitulation. Heute erinnert eine Gedenktafel an das Ereignis.
Die nächsten Jahre sind nicht einfach auf Ghaub. Die Farmarbeiter fordern von der Mission eigenes Land. 1918 werden Vedder und Detering gegenüber dem südafrikanischen Militärmagistrat beschuldigt, Regierungseigentum gestohlen und vergraben zu haben. Beamte durchsuchen Häuser und Grundstück. Im Prozess erhält Vedder einen Freispruch. Detering kommt nicht vor Gericht; zu Weihnachten 1918 erkrankt er schwer und wird mit Familie nach Swakopmund gebracht, wo er erst im Juni 1919 gesundet. Mittlerweile hat Deutschland in Europa den Krieg verloren. Südafrika erhält das Mandat für Südwestafrika und weist viele Deutsche als „unerwünschte Subjekte“ aus. Vedder erhält am 10. Mai 1919 seinen Ausweisungsbescheid. Damit endet die Missionsgeschichte auf Ghaub. Vedder reist zwar 1922 wieder nach Südwestafrika ein, lässt sich aber in Okahandja nieder.
Von nun an wird auf Ghaub nur noch Farmwirtschaft betrieben. Detering darf im Oktober 1919 zurück. 1938 übergibt der 65-jährige Wilhelm seinem Sohn Karl den Betrieb und kehrt mit seiner Frau nach Deutschland zurück. Doch schon ein Jahr später ist er - ohne Auguste - wieder auf Ghaub, in der Absicht, seinem Sohn zwei Jahre lang unter die Arme zu greifen. Der Zweite Weltkrieg zwingt ihn dann allerdings zum Bleiben. Karl wird interniert, und so verlebt Wilhelm einsame Jahre, bis er am 8. September 1945 in Grootfontein stirbt. Bis 1969 bewirtschaften mehrere Verwalter die Farm, danach liegt sie 27 Jahre lang brach.
Erst im Oktober 1996 erwacht Ghaub zu neuem Leben. Werner List, Vorstandschef des namibischen Konzerns Ohlthaver & List kauft die Farm von der Rheinischen Missionsgesellschaft und lässt alles wieder instandsetzen, renovieren und behutsam erweitern. Im Mai 1999 öffnet die Gästefarm Ghaub ihre Pforten.
Heute ist Ghaub eine Lodge, die modernen Komfort mit historischem Ambiente verbindet. Wo einst Missionare Unterricht und Gottesdienst für die Einheimischen abhielten, wohnen jetzt die Gäste; wo einst Detering mit Frau und sechs Kindern wohnte, sind Rezeption, Küche, Esszimmer sowie Lounge und Bar untergebracht; wo man einst auf der Terrasse Briefe schrieb, schicken Gäste mittels freiem WiFi Botschaften an die Lieben daheim.
Die Farm ist mittlerweile mit den Nachbarfarmen Ganachaams und Nosib verbunden und umfasst insgesamt 19.200 Hektar. Ein großer Teil ist Naturschutzgebiet, in dem wieder viele ursprünglich dort heimische Wildarten vorkommen, darunter Giraffen und Breitmaul-Nashörner. Finanziert wird dies durch Einnahmen aus Übernachtungen und Wildbeobachtungsfahrten. Aber auch der Farmbetrieb läuft weiter - mit Rinderzucht, Maisanbau und Heuernte. Hinzu kommen nun eine Obstplantage und Gewächshäuser für Gemüse und Kräuter.
Spuren der Geschichte sind dennoch überall sichtbar - seien es die kilometerlangen aufgeschichteten Steinmauern, der zugewachsene Entwässerungsgraben beim Wildbeobachtungsstand am Rande der Lodge-Anlage oder die Felsenkanzel und der kleine Friedhof am Rande des Wanderweges mit Gräbern von Missionaren, Gemeindemitgliedern und Soldaten unweit der Lodge...
Sven-Eric Stender, Bush Telegraph Namibia