Namibia Focus

Des einen Tod ist des anderen Brot – Beobachtungen an einer Wasserstelle

Geschrieben von Namibia Focus | Jun 3, 2019 11:34:24 PM

Knappe zehn Minuten, nachdem Naturschutzbeamte einen Giraffenbullen geborgen haben, der in einer künstlichen Wasserstelle im Etosha-Nationalpark ertrunken war, stellt sich der erste Schabrackenschakal ein. Da dieses kleine Raubtier nicht das dicke Fell durchbeißen kann, schnappt es sich die Zunge des toten Tieres und zieht kräftig daran. Zwei Minuten später sind zwei weitere Schakale aufgetaucht, und kurz darauf erscheint die erste Tüpfelhyäne auf der Bildfläche, angelockt vom Verwesungsgeruch des toten Tieres. Derweil die Sonne am Horizont versinkt, tauchen vier weitere Hyänen zwischen den grünen Mopanebäumen auf.

Es ist nicht bekannt, wann genau die Giraffe in die Tränke gestürzt und umgekommen war. Unzählige Tiere wie Schwarznasen-Impala, Burchell´s Zebras, Giraffen, Elefant, Nashorn und Raubadler beäugten den leblosen Körper an der Tränke anfangs argwöhnisch, löschten dann aber doch ihren Durst.

Ein Wollkopfgeier (links) und ein Ohrengeier (rechts) unter zahlreichen Weißrückengeiern am Giraffenkadaver. Sobald keine Hyänen mehr am Kadaver waren, trauten sich die Vögel heran und kämpften um die besten Plätze. Rangniedrige und junge Geier standen am Rand und warteten geduldig auf ihre Chance.

 

Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang sind 23 Tüpfelhyänen am Giraffenkadaver. Sie haben in der Nacht die Bauchdecke geöffnet und die Innereien verzehrt. Auch an einem Hinterlauf und am Kopf haben die Tüpfelhyänen mit ihrer bemerkenswerten Beißkraft das Fell der Giraffe zerbissen und das Muskelfleisch offengelegt. Wenige Meter dahinter laben sich Elefanten an der Wasserstelle. Ein junger Bulle versucht immer wieder die Hyänen zu verjagen, indem er, die Ohren nach vorne gestellt, den Rüssel in ihre Richtung schwingt und laut trompetet. Die gefleckten Raubtiere sind jedoch nicht beeindruckt und lassen  sich nicht verjagen. Die Elefanten sind nervös, denn sie haben einige sehr kleine Kälber dabei. Wieder kommt eine Herde Dickhäuter ans Wasser und versucht ebenfalls, die Hyänen mit Drohgebärden in Schach zu halten.

Die Sonne wandert höher, die Hitze nimmt zu und plötzlich sind die Elefanten verschwunden. Nun trauen sich Zebras und Impalas an die Wasserstelle. Auch ein Warzenschweinkeiler stellt sich ein. Die Hyänen machen die anderen Tiere nervös. Ein großer, über eine Tonne schwerer Elenantilopen-Bulle tritt näher an den Kadaver heran und beäugt ihn zusammen mit einer Oryxantilope. Die Tüpfelhyänen haben kein Interesse an den Antilopen, denn ihre Bäuche sind voll und es gibt noch ausreichend Nahrung. Eine Hyäne nach der anderen macht sich davon, um irgendwo im Schatten ein geruhsames Verdauungsschläfchen zu halten.

Gegen Mittag kreisen am Himmel die ersten Weißrückengeier über der Wasserstelle. Nachdem die ersten Vögel gelandet sind, gehen im Minutentakt weitere dieser Aasfresser aus luftiger Höhe nieder. Auch zwei Ohrengeier und ein Wollkopfgeier landen in der Nähe. Die Weißrückengeier stürzen sich auf den Kadaver. Es wird um die besten Plätze auf und in der toten Giraffe gekämpft. Ranghohe Vögel sitzen oben auf dem Kadaver und drohen mit gespreizten Flügeln. Junge, rangniedrige Geier stehen einige Meter entfernt und warten auf eine günstige Gelegenheit, um auch einige Fleischbrocken herunterschlingen zu können. Ein nahendes Spitzmaulnashorn erschreckt die großen Vögel keineswegs, und auch eine Herde Elefanten stört sie nicht.

Zebras und ein Spitzmaulnashorn kümmerten sich wenig um die Aasfresser am Giraffenkadaver.

 

Als die ersten Hyänen und Schabrackenschakale am späten Nachmittag wieder auftauchen, weichen die Aasgeier zurück und begeben sich zu ihren Schlafplätzen. Langsam aber sicher trifft die Nachschicht ein.

Am darauffolgenden Tag ist zu erkennen, dass die Hyänen in der Nacht ganze Arbeit mit ihrem kräftigen Gebiss geleistet haben. Sie haben sich nicht nur erneut die Bäuche vollgeschlagen und den Kadaver um etliche Kilo Fleisch, Sehnen und Knochen reduziert, sondern das dicke Fell an weiteren Stellen geöffnet, wo sich in den kommenden Stunden Schakale und Aasgeier ihren Anteil holen werden. Um den immer kleineren Kadaver nimmt an der Wasserstelle wieder ein reges Treiben zu, denn die anderen Tiere sind durstig und stören sich kaum an den Aasfressern und dem Geruch des Todes. Nur die Hyänen, die wie am Tag zuvor im flachen Wasser der Tränke Abkühlung suchen, beunruhigen die durstigen Tiere.

Vier Tage nachdem der einst mächtigen Giraffenbulle aus seinem nassen Grab geholt wurde, ist kaum noch etwas von ihm übrig. Als ein Artgenosse vorbeiläuft, nagen zwei Tüpfelhyänen  an den letzten Resten eines Vorderlaufes und eines Hinterbeines. Der Tod dieses einen Tieres hat zahlreichen anderen für mehrere Tage eine Mahlzeit beschert und unzähligen Touristen interessante Beobachtungen. Die Tüpfelhyänen haben es anderen Aasfressern ermöglicht an das Fleisch heranzukommen, denn nur ihr starkes Gebiss konnte das fast zwei Zentimeter dicke Fell des Giraffenbullen durchtrennen.

Dirk Heinrich